Für Gruselfilme und Schauermärchen bilden Moore die perfekte Kulisse. Dichte Nebelschwaden verschlucken eine karg anmutende Vegetation und erschweren die Orientierung. Dazu droht ein sumpfiger Untergrund einen versinken zu lassen. Vor dem «Eingang» des vier Hektaren grossen Hochmoors Hagenmoos bei Hausen am Albis ZH deutet allerdings nichts auf ein solch bedrohliches Szenario hin.

Einzig der Hinweis von Ariel Bergamini, sich am Abend gründlich auf Zecken abzusuchen, sorgt für etwas Unbehagen. Doch je tiefer wir in das Moor eintauchen und je mehr der promovierte Biologe über die Landschaft von nationaler Bedeutung erzählt, desto mehr geraten die kleinen Blutsauger in Vergessenheit.

[IMG 2]

«Das Hagenmoos ist ein besonders interessantes und vielfältiges Hochmoor», schwärmt Bergamini. «Es bildet sehr anschaulich die Geschichte der Schweizer Moore ab.» Diese ist, wie in anderen Ländern auch, nicht gerade ruhmreich. Rund 90 Prozent der Moorflächen sind hierzulande in den vergangenen 100 Jahren verschwunden. Hauptverantwortlich dafür ist der Torfabbau des Menschen. 

Torf besteht aus nicht vollständig abgebautem Pflanzenmaterial, das einen Gehalt an organischer Substanz von mindestens 30 Prozent hat und im getrockneten Zustand brennbar ist. Der von Torfmoosen gebildete Torf hat aus­serdem für das Pflanzenwachstum sehr günstige Eigenschaften, wie eine grosse Wasserspeicherkapazität und vorteilhafte strukturelle Eigenschaften. Zudem ist er frei von Unkrautsamen und Nährstoffen, und pH-Werte lassen sich exakt kontrollieren, weshalb er hoch im Kurs des Gartenbaus steht. «In der Zeit des Zweiten Weltkrieges opferte man zudem Moorflächen, um beispielsweise Kartoffeln anzubauen», sagt Bergamini.

Wichtig für den Klimaschutz
Wie gravierend die Trockenlegung von Mooren ist, drang erst spät ins Bewusstsein des Menschen. Ein Meilenstein war 1987 die Annahme der Rothenthurm-Initiative zum Schutz der Moore. «Das war enorm wichtig», betont der Experte. Denn die Feuchtgebiete warten nicht nur mit einer einzigartigen Biodiversität und einem schwammartigen Hochwasserschutz auf, sondern sind auch enorm wichtig für den Klimaschutz. «Torfmoos speichert Kohlenstoffdioxid. Vor allem global hat das eine grosse Bedeutung»,
erklärt der Mitarbeiter der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL). 

Entwässerte Moore setzen dagegen grosse Mengen an Kohlenstoffdioxid, Methan und Lachgasen frei. Zum Lachen ist dieser Umstand keineswegs, denn das lange Zeit unterschätzte Treibhausgaspotenzial von Lachgas ist fast 300 Mal höher als das von Kohlendioxid. Gute Gründe also, Moore zu schützen, zumal Torfschichten maximal um einen Millimeter pro Jahr wachsen. Das entspricht tausend Jahren für einen Meter.

«Wir wollen uns aber nicht zu sehr auf das Negative konzentrieren», sagt Bergamini, während er sich gebückt, aber trittsicher durch das Dickicht bewegt und stets aufmerksam auf die Vegetation achtet. Das macht er nicht nur aus Leidenschaft, sondern auch, weil es seine Aufgabe ist. Der Moos-Spezialist ist nämlich für das langfristige, 2011 angelaufene Monitoringprojekt «Wirkungskontrolle Biotopschutz Schweiz» verantwortlich. Dabei geht es um eine Art Bestandsaufnahme von rund 7000 ökologisch bedeutenden Arealen. «Wir geben Einschätzungen zum Zustand von Mooren, Auen, Trockenwiesen und Amphibiengebieten ab», erzählt der Schaffhauser. «Danach müssen Bund oder Kantone entscheiden, ob etwas unternommen wird.»

Die bisherige Tendenz sei eine zunehmende Verbuschung von Mooren und eine abnehmende Feuchtigkeit. Beides ist unerwünscht. Es gebe aber auch durchaus positive Beispiele von Regenerationen. Das einst von Mönchen für ihre Wassermühle genutzte Hagenmoos gehöre eindeutig dazu, sagt Bergamini und verweist auf die sogenannte Bulte-Schlenkestruktur. Bei ihr handelt es sich um erhöhte Kuppen aus Torf und Torfmoosen, die zusammen mit nassen, teils wassergefüllten Vertiefungen ein Mikrorelief bilden.«Das ist ein unübersehbares Zeichen für ein wachsendes Hochmoor», erklärt der Wissenschaftler. Er zupft ein wenig Torfmoos ab und nimmt es buchstäblich unter die Lupe, um es mit 20-facher Vergrösserung zu begutachten. «Wir haben es hier mit Sphagnum magellanum zu tun, einer typischen Torfmoosart in Hochmooren. Wenn ihre unteren Teile langsam verrotten, entsteht daraus Torf.» 

Moosbeeren gehören ins Hochmoor
Keine 30 Meter weiter freut sich der Botaniker erneut: «Absterbende Bäume. Sehr schön.» Was zunächst für Stirnrunzeln sorgt, klärt Bergamini schnell auf. Das ist in diesem Fall positiv, weil es hier zu feucht für Bäume ist. Das können sogar Laien auf Schritt und Tritt spüren. Denn der Boden federt in diesem Bereich beinahe wie ein Trampolin. Kein Wunder also, dass es manch stolzen Baum umgehauen hat. Besonders eindrücklich ist dabei der Wurzelteller einer Fichte, auf dem eine dünne Torfschicht sichtbar ist.

Zwar begegnen wir immer wieder auch achtlos weggeworfenem Abfall und verbotenen Feuerstellen, doch ein eindrücklicher Torfmoosteppich im Herzen des Hochmoors wischt diese negativen Eindrücke schnell zur Seite. «Das sieht sehr gut aus, obwohl vielleicht etwas zu viel Pfeifengras dazwischen wächst», sagt Fachmann Bergamini. Pfeifengräser seien ein Zeiger für Wechselfeuchte und Nährstoffe, die normalerweise nicht in einem Hochmoor auftreten sollten. 

Dafür strahlen Bergaminis Augen, als er Moosbeeren erblickt. Das Heidelbeergewächs mit seinen roten Früchten gedeiht nur an permanent durchnässten Plätzen. Der WSL-Forscher sucht sogleich fieberhaft nach fleischfressenden Pflanzen, die sich in solchen Gefilden ebenfalls wohlfühlen. Erfolglos. Das tut der guten Laune aber keinen Abbruch. Mittlerweile hat die Sonne den Kampf gegen die Wolken gewonnen. Sie taucht das Hochmoor in ein majestätisches Licht und lässt einen angesichts der neu erworbenen Kenntnisse über die Bedeutung dieses Lebensraumes demütig innehalten.

Am Ende der Exkursion hat die Kleidung mit zahlreichen braunen und grünen Flecken zwar ein Camouflage-Muster angenommen, doch dafür gibt es keine Spur von Zecken. Lediglich ein paar Mückenstiche sind zu verzeichnen. Ein äusserst fairer Preis für die tiefen und bleibenden Eindrücke von einer wertvollen Urlandschaft.

Literaturtipp
Martin Stuber, Matthias Bürgi: «Vom ‹eroberten Land› zum Renaturierungs-projekt», Verlag: Haupt, ISBN: 978-3-258-08115-1, ca. Fr. 36.–

Der Text erschien erstmals 2019 in der «Tierwelt».