Die beiden Menschlein kauern ängstlich in ihrer überdimensionierten Tupperware-Box, tasten nach einem Ausweg aus der Gefangenschaft, während sie von allerhand neugierigen Riesenechsen beäugt werden. Die Welt steht Kopf auf dem Gemälde, das im Eingangsbereich der Lorica hängt, der grössten Reptilienzucht der Schweiz, unscheinbar eingebettet am Stadtrand von Zofingen AG.

Der Künstler ist gleichzeitig der Inhaber der Lorica. Simone Piovan heisst er, ein junger Mann in Jeans und Kapuzenpullover, die langen Haare zum Pferdeschwanz zurückgebunden. Kamerascheu ist er und fast schon dankbar für eine Zeit, in der er eine Maske über dem Gesicht tragen darf, ohne schief angeschaut zu werden. 

Und doch ist Piovan ein charismatischer Anwalt für eine tierfreundliche Terraristik. Sein Gemälde symbolisiert seine Mission. «Wir haben hier die Möglichkeit, den Menschen ein gutes Vorbild zu sein. Ihnen den Respekt vor jedem noch so kleinen Tier beizubringen.» Man glaubt ihm, dass er meint, was er sagt. «Jeder, der Geschäfte treibt, trägt eine Verantwortung für seine Umwelt.»

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Diese Verantwortung hat Piovan vor gut zehn Jahren übernommen. Selbst ist er schon viel länger Terrarien-Fan, als Kind, sagt er, habe er Ameisen beobachtet, während die anderen Fussball spielten. «Ich war schon damals ein bisschen ein Freak.» Aktiv wurde er nach einem Reptilientransport, bei dem er dabei war. «Das waren Dornschwanzagamen, die in die Schweiz gebracht wurden», erzählt er. «Als ich gesehen habe, wie die behandelt wurden und in welchem Zustand sie in der Schweiz ankamen, konnte ich es kaum glauben.» 

Mit einer klaren Zielsetzung
Das grösste Problem in der Haltung von exotischen Haustieren war jahrzehntelang der Transport der Tiere. Während stark gefährdete Tiere oft durch das Washingtoner Artenschutzabkommen geschützt und ihr Import verboten war, wurden andere Arten haufenweise als Wildfänge ihrer Heimat in Südamerika, Asien oder Afrika entnommen und quer durch die Welt an Liebhaber exportiert. «80 Prozent der Tiere sterben bei diesen Transporten», sagt Piovan.

«Terraristik ist so ein schönes Hobby!» Piovans Augen ist anzusehen, wie ihn der Gedanke bewegt. «Dass da so etwas Grausames dahintersteckt, ist schrecklich.» Er machte sich zum Ziel, die Wildfänge aus der Schweiz zu verbannen. Verkaufte seine Anteile einer Druckerei und gründete – mithilfe eines grossen Schweizer Zoofachgeschäfts – die Lorica.

Terrarium reiht sich an Terrarium, mehr als 1400 Glasbehälter sind es insgesamt, die mit rund 150 Tierarten bestückt sind. Viele von ihnen sind Echsen. Geckos, Warane, Agamen. Aber auch Vogelspinnen und Skorpione werden hier gehalten, gezüchtet und verkauft. Schlangen füllen eine ganze Wand, Käfer und Wandelnde Blätter passen in eine kleine Ecke.

Überwintern bei sieben Grad
Simone Piovan steht vor einem Terrarium, das mit «Halsbandleguan» angeschrieben ist.  Eine bläulich schimmernde Echse mit schwarzen Bändern um den Hals sitzt auf einem Stück Korkrinde und verfolgt aufmerksam das Geschehen vor ihr. «Diese Tiere wurden früher massenhaft importiert. Es gab einfach niemanden, der es hingekriegt hat, sie zu züchten.» 

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Er selber hatte auch Mühe, hat jahrelang herumgepröbelt, bis er es endlich geschafft hat. Bei genau sieben Grad musste er den Leguan überwintern, damit er endlich Eier legte. «Wir mussten damals ein Heidengeld für einen Kühlschrank zahlen, der die Temperatur so konstant halten konnte», sagt
Piovan. Aber es hat geklappt, die Echse auf dem Korkstück ist schon die x-te Generation, die Zucht ist voll in Schwung und der Schweizer Bedarf an Halsbandleguanen durch die Zofinger Zucht allein praktisch abgedeckt. «Der Anfang ist immer das Schwierigste. Die folgenden Generationen werden immer robuster und leichter zu züchten.» Inzwischen würden die Leguane sogar ohne grad-genaue Kühlschrankbehandlung Eier ins Terrarium legen.

Ähnliche Erfolge konnte Piovan mit Arten feiern, die in freier Wildbahn kurz vor dem Aussterben stehen. Bei einigen führt er ein Zuchtbuch und bemüht sich, sie – zumindest in Gefangenschaft – so breit wie möglich an Züchter zu verteilen, damit die Art mit einem einigermassen breiten Genpool erhalten bleibt.

Bereit, mehr zu bezahlen
Inzwischen ist Piovan seinem Ziel, die Wildfänge aus der Schweiz zu verbannen, recht nahe gekommen. Und das ganz ohne Verbote und obwohl seine Echsen deutlich teurer sind als importierte Tiere. «Wir hatten vor zehn Jahren schon ziemlichen Gegenwind von Importeuren, denen machten wir natürlich ihr Business kaputt.» Die Terraristik-Fans hingegen seien mehrheitlich bereit gewesen, für eine ethische Tierhaltung mehr zu bezahlen.

Trotz höherer Preise und gut laufendem Geschäft lässt sich laut Piovan kein Geld mit der Reptilienzucht allein machen. Damit die Lorica rentabel ist, setzt der Inhaber auf seinen Shop, in dem er Terraristik-Zubehör verkauft. Unter den 13 Angestellten ist auch ein Künstler, der ganze Terrarium-Rückwände in Handarbeit baut. Piovan berät, welche Pflanzen zu welcher Echse passen, und nimmt kaltblütige Feriengäste bei sich auf. 

Und neuerdings – seit diesem Frühling wirtschaftet die Lorica eigenständig – lädt Simone Piovan auch Schulklassen und Privatpersonen zu Führungen ein oder hilft Spinnenphobikern, ihre Ängste zu überwinden. Alles mit dem Ziel, den Tieren Respekt entgegenzubringen. Entsprechend ist bei ihm auch kein Streichelzoo zu erwarten – die Reptilien bleiben in ihren Terrarien. Da macht Piovan auch für den «Tierwelt»-Fotografen keine Ausnahme.