Nur gerade 161 Quadratkilometer gross ist Texel. Damit ist die holländische Insel im Wattenmeer etwas kleiner als der Kanton Appenzell Innerrhoden. Vergleichbar sind auch Einwohnerzahl und die Bevölkerungsdichte. Damit enden aber die Ähnlichkeiten. Denn während das hügelige Appenzell für seine Sennenhunde und die Alpfahrten mit Kühen bekannt ist, bezeichnen die Holländer das topfebene Eiland als Schafsinsel. Tatsächlich leben auf Texel etwa gleich viele Schafe wie Menschen: gut 14 000. 

Die Geschichte des «Texelaar» als eigene Rasse nimmt ihren Anfang vor gut 150 Jahren: Heimische Landschafe wurden mit verschiedenen englischen Fleischschafrassen gekreuzt mit dem Ziel, mehr Fleisch zu erzeugen. Jahrzehnte später machte die Kunde der ausgezeichneten Fleischleistung der Rasse die Runde. Das Texelschaf eroberte von der Nordseeinsel aus noch vor dem Zweiten Weltkrieg Frankreich, in den 1960er-Jahren Deutschland und seit den 1990er-Jahren Neuseeland und Australien. Heute gibt es nirgendwo sonst so viele Texelschafe wie in den Schafnationen Down Under.

Leichtere Geburt mit schmalem Kopf
In die Schweiz kam das holländische Schaf vor 20 Jahren: 1999 wurden die ersten reinrassigen Texel aus Deutschland und Frankreich importiert. Seit 2008 wird ein Herdebuch geführt. Ende März lebten knapp über 3600 Texelschafe in der Schweiz – darunter auch ein Bock und fünf Muttertiere mit ihren elf Jungtieren im zürcherischen Uetikon am See. Ihr Besitzer, Roland Käppeli, kam vor fünf Jahren auf das Texelschaf.

Er sei mit Braunköpfigen Fleischschafen (BFS) gross geworden, sagt der Züchter, der hauptberuflich bei der Gemeindeverwaltung arbeitet. «Ich hatte mit ihnen viel erreicht und etwas die Freude an der Rasse verloren.» Also suchte er eine neue Herausforderung – und als sein Vorbild, Oswald Metz, auf die als
ruhig, umgänglich und widerstandsfähig geltenden Texelschafe umstieg, kaufte auch Käppeli zwei weibliche Texel-Lämmer im Bernbiet, holte den Bock bei Metz und startete seine eigene Zucht. Dass er etwas Neues probierte, hat er bis heute nicht bereut.

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«Das Texel ist ein vifes Schaf, das nach der Geburt schnell aufsteht und bei der Mutter trinkt. Deshalb nehmen die Lämmer auch schnell zu.» Texel sind mittelgrosse bis grosse Schafe, mit knapp 70 Zentimeter sind Männchen und Weibchen etwa gleich gross. Die Böcke sind bis 90 Kilogramm schwer, auch die Auen können bis 80 Kilogramm wiegen. Sie haben helle, weisse bis gräuliche Wolle; Beine und Kopf sind unbewollt. Die Stirn ist flach und sollte nicht zu breit sein. «Die schottischen Texel haben einen extrem breiten Kopf», sagt Käppeli, «ich schaue, dass sie einen schmalen Kopf haben.» Dann sei auch die Geburt leichter.

Auch mal Einzelgänger
Zwillinge sind die Norm, auch bei seinen Tieren. Bereits bei den gut zehn Tage alten Lämmern, die vergnügt mit dem BFS-Nachwuchs auf der Weide auf und ab hüpfen, stechen die charakteristischen Merkmale der Rasse sofort ins Auge: die kräftigen abstehenden Ohren, der muskulöse kurze Hals und vor allem die Muskelpakete an den Innen- und Aussenkeulen der im Vergleich zu den gleichaltrigen Braunköpfigen Fleischschafen kurzen Beinchen. Eines der Lämmer ist ein regelrechter «Brummer». Käppeli sagt lachend: «Er war neun Kilogramm schwer bei der Geburt, normal sind sie knapp fünf Kilogramm schwer. Und seine Mutter ist ausgerechnet die kleinste Aue.»

Texelschafe sind weniger Herdentiere als andere Rassen, sie weiden auch mal einzeln und verstreut auf der Wiese. Auf ihrer dem Wind und den Gezeiten ausgesetzten Heimatinsel in der Nordsee sind sie die idealen Deichpfleger, da sie einerseits mit ihren Hufen den Boden festtrampeln und andererseits das Gras kurz futtern. «Texel brauchen nicht nur gutes und fettes Gras und bringen doch immer noch die gleiche Leistung», sagt Käppeli und ergänzt, dass man sie beim Fressen eher bremsen müsse.

Seine Herde verbringt den Winter im Unterland am Zürichsee. Anfang Sommer geht es für die Muttertiere und die weiblichen Jungen auf die bocklose Alp in Elm. Deshalb bleiben alle Texel-Böcke, Vater wie Nachwuchs, bei den Käppelis in Uetikon. Während er die jungen Auen in der Regel zur Nachzucht verwende, kämen die jungen Böcke – je nach Qualität des Tieres – entweder zum Metzger oder würden lebend verkauft.

2018 war kein gutes Jahr, der Schafzüchter behielt keines der Jungtiere: «Es waren gute Schafe, aber sie haben nicht zu meiner Herde gepasst», erklärt Käppeli. Der diesjährige Nachwuchs aber sehe sehr gut aus. Wie aufs Stichwort steigt in einer Ecke des Stalls die Unruhe. Die Dorper-Aue ist offenbar eine gute halbe Stunde nach dem ersten Lamm kurz davor, das zweite zur Welt zu bringen. Das schwarze Köpfchen schaut bereits heraus. «Komm, Maite», ermuntert Käppeli sie, «du musst schon mitarbeiten.» Das Schaf dreht sich im Kreis, gut beobachtet vom Züchter, der schnell zum Schluss kommt, dass hier etwas nicht stimmen kann. Tatsächlich kommen die Beinchen nicht gerade hinaus, wie sie sollten. Also muss Käppeli das zweite Weibchen regelrecht herausziehen.

Kaum auf der Welt, wird es von der Mutter abgeleckt und ermuntert aufzustehen. Nach wenigen Minuten ist die kleine Dorper-Familie ein Herz und eine Seele. Sie gehöre wie einige BFS seinem 17-jährigen Sohn Remo, der ihn als Züchter durchaus auch herausfordere, wie Roland Käppeli lächelnd sagt. Mit der familieneigenen Konkurrenz und mit der Beschäftigung mit den Texel sei auch die Freude an den Braunköpfigen Fleischschafen zurückgekommen.

 

Dieser Artikel erschien erstmals 2019 in der «Tierwelt».