Idaho, Montana, Florida und Dakota. Das sind nicht nur US-Bundesstaaten, sondern auch die Namen der Laufenten, die im Mai 2020 in einem Garten mitten in Winterthur ZH unterwegs sind. Ihr Auftrag: Schnecken fressen. Und zwar alle. Für das eingespielte Vierergespann ist das kein Problem. Den ganzen Tag flitzen die flaschenförmigen Vögel durch den Garten, spüren die ungeliebten Weichtiere samt Eiern auf und holen sie mit ihrem Schnabel geschickt aus der Erde.

Bei so einer wichtigen Mission können sie natürlich keine Rücksicht auf frisch eingepflanzte Setzlinge und andere zarte Sprösschen nehmen, sondern watscheln munter alles platt. Das junge Grünzeug hat aber noch den ganzen Sommer Zeit, sich zu erholen. Denn die Laufenten sind nur für eine begrenzte Zeit in diesem Garten daheim. Die dazugehörige WG hat sie für einen Monat gemietet. Damit können die neun Bewohnerinnen und Bewohner nicht nur auf biologische Weise der Schneckenplage Herr werden – die Enten sorgen auch für beste Unterhaltung.

Enten als Attraktion
So laufen sie nämlich meist fröhlich quakend in einer Viererreihe durch die Gegend, manchmal sogar noch in perfekter farblicher Abstufung mit der weissen Florida an der Spitze, gefolgt von der cremefarbenen Idaho und der braunen Montana mit dem dunkelgrauen Erpel Dakota. Immer wieder gönnen sich die Enten zwischendurch ein Bädchen und schwimmen entspannt in den mitgemieteten Wannen umher.

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Kein Wunder, sind sowohl Hausbewohnende als auch Nachbarn begeistert. «Wir überlegen uns schon, uns permanent Laufenten anzuschaffen», sagen Erstere. «Wir mögen das Geschnatter», meinen Letztere. Auch Passantinnen und Spaziergänger blicken mit freudigem Erstaunen in den Garten, zeigen die Enten ihren Kindern und Enkeln, stellen Fragen. Wenn es dunkel wird jedoch, steht jemand anders am Gartenzaun: der Fuchs. Er wurde wohl von den Enten angelockt, denn: «Einen Fuchs habe ich hier vorher noch nie gesehen», sagt eine WG-Bewohnerin.

Füchse und Marder sind auch der Grund, weshalb es wichtig ist, dafür zu sorgen, dass die Laufenten jeden Abend zurück in ihr Häuschen gehen, wie Amélie Lindner bei der Übergabe betont. Die 18-Jährige ist Lauf­enten-Besitzerin, -Züchterin und -Vermieterin. Zu ihrem Service gehört es nicht nur, die Enten samt Häuschen, Futter und Badegelegenheiten bei ihrer Kundschaft abzuliefern, inklusive Häuschen, sondern auch, die Zäune um die Gärten zu prüfen und allenfalls welche aufzustellen. Dabei erhalten Entenmietende ein ausführliches Briefing. So ist es nämlich genauso wichtig, die Enten bei Tagesanbruch wieder rauszulassen, ihr Wasser zu wechseln, sie zu füttern und das Häuschen auszumisten.

Das sagt der Tierschutz«Generell steht der Schweizer Tierschutz STS der Vermietung von Tieren kritisch gegenüber. Es gibt viele Faktoren, die stimmen müssen, damit eine Vermietung fürs Tier nicht belastend ist», erklärt Lucia Oeschger von der STS-Fachstelle Heimtiere. Die Vermietung müsse mit einer sorgfältigen Information über Bedürfnisse, Haltungsbedingungen und Umgang mit den Tieren einhergehen. Es sei zu beachten, dass die temporären Halter die alleinige Verantwortung für die Tiere tragen, auch aus rechtlicher Perspektive. Sie müssen die gesetzlichen Vorschriften kennen und einhalten, damit sie sich nicht strafbar machen. «Je nach Tierart variiert die An­passungsfähigkeit», sagt Oescher, «gewisse Tiere sind für eine Vermietung gänzlich ungeeignet.» Zum Beispiel lehne der STS die Vermietung von trächtigen oder säugenden Kaninchen oder Jungtieren an Schulen ab. Dasselbe gelte für die Ausleihe von Bruteiern und Küken an Schulen oder an Privatpersonen. Der STS sieht die Vermieter in der Pflicht, Tiere nur an Personen abzugeben, welche die Rahmenbedingungen für eine gute Haltung erfüllen können: «Das Wohl der Tiere muss zu jeder Zeit im Mittelpunkt stehen.»

Miete ist Vertrauenssache
Ausserdem nutze sie die Besuche bei ihrer Mieterschaft auch, um sich persönlich davon zu überzeugen, dass es den Enten dort auch wirklich gut geht, verrät Lindner fast ein Jahr später auf dem Hof in Leimiswil BE, den sie mit ihrer Mutter, Schwester, zwei Hunden, drei Katzen, acht Schafen, zwei Kaninchen, einer ganzen Bande Hühnern und natürlich den Laufenten bewohnt. «Es ist für mich eine riesige Vertrauenssache, meine Tiere wegzugeben. Wenn ich sehe, dass es nicht passt, nehme ich sie wieder mit», sagt Lindner, «und wenn es ihnen schlecht geht, hole ich sie sofort ab.»

Auf die Laufenten gekommen ist die Fachmittelschülerin über ihren Stiefvater, der die Rasse unbedingt halten wollte, als die Familie noch in Berlin wohnte. «Als wir hierhergezogen sind, hatte er dann auch sofort vier Laufenten», erzählt Lindner, die die Verantwortung für die Tiere übernahm, als der Stiefvater auszog. Eine Freundin wollte die Laufenten ausleihen, danach ein Mann aus dem Dorf. Das war vor sechs Jahren. Heute umfasst Lindners Herde 38 Tiere, von denen fast alle derzeit in einer Vermietung unterwegs sind. Seit drei oder vier Jahren werde ihr Angebot rege genutzt, sagt die Züchterin. «Bis Ende Juni bin ich ausgebucht.»

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Grosse Verantwortung
Vermietet werden die Laufenten meist in Zweier- und Dreierteams. «Laufenten bilden, schon wenn sie jung sind, ihre Gruppen und sind dann immer zusammen», erklärt Lindner. Deshalb werden die Gruppen auch bei der Vermietung nicht getrennt. Ausserdem werden sie immer mit dem gleichen Häuschen weggegeben. «So haben sie immer etwas Bekanntes dabei.» Dass das Vermieten die Tiere stresst oder ihnen schadet, glaubt Lindner aber nicht: «Am Anfang sind sie manchmal noch etwas schüchtern, aber sie gewöhnen sich schnell ein. Und dann sind sie total entspannt.» Kritische Stimmen gebe es schon. «Aber ich sehe nicht, was daran Tierquälerei sein soll.»

In Winterthur hat sich die WG schliesslich dazu entschieden, sich keine eigenen Laufenten zuzulegen. «Es ist schon eine grosse Verantwortung», bestätigt Amélie Lindner. «Die Tiere werden 14, manchmal sogar 19 Jahre alt und es muss immer jemand da sein, der sich um sie kümmert.» Das mussten auch die Mitbewohner einsehen, nachdem sie einen Monat lang bei Sonnenaufgang Entendienst geleistet hatten. Ausserdem fanden sie, dass der Garten nun auch genug mit Entenkot gedüngt worden war. 

Dass die Laufenten äusserst effiziente Schneckenvertilger sind, würde indes niemand bestreiten. Gegen Ende des Monats hatten sie alle aufgefressen. Und während ausgerechnet die Mitbewohnerin mit der Schneckenphobie möglichst viele Häuschenschnecken rettete, brachten die Nachbarn zusätzliche Nacktschnecken aus ihren Gärten vorbei. Auch diese verschlangen Idaho, Montana, Florida und Dakota dankbar. Die vier sind in Winterthur immer willkommen. Mieten würde man sie jederzeit wieder.

www.amelieslaufentenverleih.ch