Ein unscheinbarer Bauernhof in Zufikon bei Bremgarten im Aargau. Dort, wo es normalerweise ins Tenn geht, ist eine Türe offen, Zwitschern im Innern. Der Blick durch die Türe fällt auf einen hellen, länglichen Raum mit einer Sitzgruppe linker Hand, den Wänden entlang ziehen sich acht grosse, ausgeleuchtete Volieren.

Ein schlanker Mann mit schwarzen, gewellten, fast schulterlangen Haaren und einem Dreitagebart hantiert vor den Volieren. «Hier kommen immer wieder Leute vorbei», sagt Michele Coviello wenig später und zeigt bereitwillig seinen ganzen Stolz: eine auserlesene Schar an einheimischen Vögeln, Kanarien und Mischlingen.

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Der Volierenboden besteht aus Eichengranulat gemischt mit Hanfgranulat und Bereichen mit dunklen Holschnitzeln. «Zur Dekoration», sagt der Ästhet Coviello. Seine Vögel finden in ihren Gehegen auch Sand, Muschelsand sowie Grit mit Mineralien. In einer erhöht stehenden, flachen Wasserschale baden sie.

Junge Kanarienvögel fliegen in frische, belaubte Zweige, filigran gelb und schwarz gefärbte Nordische Distelfinken picken eifrig an verblühten Sonnenblumenköpfen und versuchen, die schmackhaften, fetthaltigen Samen herauszuklauben. Da! Ein Farbtupfen sondergleichen! Ein Nordischer Gimpel mit leuchtend roter Brust fliegt ans Gitter, hält sein Köpfchen schräg. Coviello lächelt.

Obwohl er Wildvögel hält, sind sie überhaupt nicht scheu. Sie gehen ihren normalen Beschäftigungen nach. Dazu haben sie viele Gelegenheiten, denn Coviello hat jede Voliere in einen besonderen Lebensraum verwandelt. Der gesamte Raum ist sehr ansprechend, Coviellos erweitertes Wohnzimmer. «Ich muss mich wohlfühlen können. Das ist wie beim Essen, das Auge isst ja schliesslich auch mit», sagt der 50-Jährige. Der ehemalige Personenschützer und Sicherheitsinstruktor leidet an einer schweren Krankheit. An manchen Tagen komme er kaum aus dem Bett, sagt er. «Hier tanke ich auf. Die Vögel geben mir Kraft.» Seine Partnerin Alexandra hilft und unterstützt ihn, wo sie nur kann.

Fasziniert vom Gesang
In einer Voliere flattern kleine bräunliche Vögel mit schwarz umrandeten Federn und filigranen, spitzen Schnäbeln. «Das sind Birkenzeisige», erklärt Coviello. Er sitzt jetzt auf einem bequemen Bürostuhl und beobachtet mit entspannten Gesichtszügen das bunte Treiben in einer Voliere. «50 Prozent einer guten Zucht bestehen aus Beobachten.»

Bei Coviello begann alles in Herisau AR in der Kindheit mit dem Satz: «Vater, darf ich auch einen haben?» Sein Vater, der aus der süditalienischen Region Basilicata in die Schweiz kam, züchtete Belgische Wasserschläger, Gesangskanarienvögel. Der kleine Michele sorgte schon bald für seinen eigenen Kanarienvogel Cico. Was Michele später perfektionieren sollte, übte er bereits als Kind. «Mein Vater wollte den Gesang der Stieglitzmischlinge verbessern», erzählt er. Schon Cico habe er genau beobachtet und ihn mit einem weiblichen Stieglitz gekreuzt. 

Die Mischlingszucht hat in Italien eine lange Tradition. Sie entstand zu einer Zeit, als es kein Radio gab. Liebhaber kreuzen Vögel, um den Gesang zu verschönern. Es ist nicht einfach, dass Kreuzungen gelingen, da für eine erfolgreiche Brut beide Paarpartner stimuliert werden müssen. Wenn auch etliche Arten so nahe verwandt sind, dass man sie miteinander verpaaren kann, so hat doch jede ihre besondere Eigenschaft, auch in brutbiologischer Hinsicht. Man muss im Voraus denken und stets brutwillige Kanarienweibchen für die Verpaarungen bereithalten. Die Brutbereitschaft erreicht Coviello mit Steigerung der Lichtintensität.

Ausgeklügeltes Lichtsystem
Als seine Mutter erkrankte, wollte der Vater die Vögel aufgeben. Sein damals 14-jähriger Sohn Michele sagte: «Nein, das darf nicht sein, ich übernehme alles.» Seither er hat sich ein enormes Wissen angeeignet und seine Zuchträume optimiert. Coviello weiss heute: Wenn er Stieglitze mit Kanarien kreuzt, dann müssen sie in einem separaten Raum sein. «Damit sie nicht den teilweise unreinen Gesang anderer Vögel aufnehmen.»

Coviello ist fasziniert vom Vogelgesang. Seine Erfolge sind beachtlich. Mit einer Kreuzung Schwarzzeisig × Kanarienvogel wurde er nicht nur Champion de Berne, sondern gewann in diesem Herbst auch an einer spezialisierten Ausstellung für Mischlinge in der Gegend von Mailand, wo er mit Hunderten anderen Spezialisten konkurrierte. «Ich will den Geschwistervogel auch an die SwissBird bringen», sagt das Mitglied des Vogelliebhabervereins Ornis Bern, einer Sektion von Ziervögel Schweiz. 

In einer Voliere fliegen Dreifarbenpapagei- und Gouldamadinen. «Ich sammle derzeit Erfahrungen mit diesen Arten», sagt der Vogelliebhaber, der alle Volieren in seinem Zuchtraum selber gebaut hat und sie mit Fluoreszenzröhren mit ultraviolettem (UV) Lichtanteil beleuchtet. «UV-A und -B sind wichtig.»

Er wechsle die Röhren alle sechs Monate, denn das ultraviolette Licht werde mit der Brenndauer der Lampen schwächer. In der Nacht leuchtet ein künstliches Mondlicht. «Das hilft den Vögeln, damit sie in der Dunkelheit wieder ihr Nest finden, sollten sie einmal erschrecken und aufflattern.» Der Mond scheine aber nur bis fünf Uhr morgens. «Dann ist es bis zum Tagesanbruch ganz dunkel», sagt der Tüftler.

Aufwendige Futterzubereitung
Ein Ventilator, der rund um die Uhr geräuschfrei läuft, sorgt für stets gute Luftqualität. Bei der Luftansaugvorrichtung befindet sich eine Klimaanlage. Sie halte die Temperatur gleichmässig auf rund 20 Grad. Zu grosse Temperaturunterschiede seien schlecht. Coviello betont aber auch, dass er die einheimischen Arten wie Grünfinken, Distelfinken und Gimpel vom Herbst an durch den Winter in einer Aussenvoliere hält. «Für diese nördlichen Arten sind Temperaturunterschiede entscheidend, damit sie gesund bleiben und auch gut züchten.» Ein Zimmerbrunnen sorgt für eine Luftfeuchtigkeit von 60 bis 70 Prozent. 

Damit ein Vogel langfristig gesund bleibe, brauche er natürliche Futterbestandteile. Seine Futterzubereitung ist aufwendig. Er mischt Spirulina-Pulver unter geschälte Sonnenblumenkerne – ein Leckerbissen für seine Vögel, die sofort ans Gitter kommen, wenn er dieses Cyanobakterien-Pulver reicht. Als Aufzuchtfutter gibt es Couscous vermengt mit Eifutter, Haferflocken und Perilla, die Samen eines Lippenblütlers. «Perilla reiche ich das ganze Jahr, damit setzen die Vögel kein Fett an.» Die Nordischen Distelfinken, die Coviello hauptsächlich züchtet, füttert er fünf Tage in der Woche mit Kanariensaat und Perilla, am Wochenende mit Stieglitzsamen.

Coviellos Vögel nisten in Körbchen, die er mit Kunsttanne verkleidet oder in Plastiknestern. Teilweise züchtet er auch in Käfigen. Coviello ist bereit für die SwissBird: Gimpel, Distelfinken und Kanarienmischlinge will er präsentieren. «Ausstellungen faszinieren mich. Ich bin immer neugierig auf die Vögel der anderen Züchter.» Täglich verbringe er mehr als zwei Stunden bei seinen Vögeln. «Das ist meine Erholung.» Er lächelt still, während ein rotes Kanarienmännchen ein Lied schmettert.

Der Text erschien erstmals 2019 in der Nummer 50 der «Tierwelt».