Schaut man sich die Szene mit den Schweizer Taubenrassen genauer an, dann fällt einiges auf. So haben die Luzerner Rassen einen Aufschwung erfahren, wie er noch vor Jahrzehnten unvorstellbar gewesen ist. Gerade in alten Katalogen ist zu sehen, dass die sogenannten langschnäbligen Schweizer Taubenrassen wesentlich beliebter waren. Heute versteht man darunter die Berner, Thurgauer, Zürcher und Aargauer Rassen. Was hat also dazu geführt, dass die Luzerner Rassen in für die Taubenzucht kurzer Zeit so beliebt wurden?

Hierzu muss man etwas genauer in die Geschichte dieser Tauben eintauchen. Alle Schweizer Taubenrassen haben einen bäuerlichen Hintergrund. Die Rassen lebten auf den Bauernhöfen und stellten für ihre Besitzer so etwas wie einen Zeitvertreib dar, wenngleich auch die landwirtschaftliche Nutzung nicht hintanstehen sollte. Im Klartext heisst das, dass alle Tauben, die dem gewünschten Schönheitsideal nicht entsprachen, den Speiseplan bereicherten. Fleisch war zu allen Zeiten ein hochwertiges Lebensmittel und gerade früher nur selten auf dem Tisch zu finden. Taubenfleisch war also durchaus gefragt und beliebt.

Jede Region hat ihren Weissschwanz
Die Tauben sollten aber auch schön sein, sodass sie eine Zierde des Bauernhofes darstellten. Klar war, dass die Tauben im Freiflug gehalten wurden. Die Züchter haben deshalb  auf Farben und Zeichnungsbilder gezüchtet, die am Himmel gut zur Geltung kommen. Ein Aspekt, den wir heute kaum noch kennen, da die meisten Tauben in Volieren gehalten werden. Es ist also verständlich, dass vor allem Weissschwänze begehrt waren. Nicht umsonst gehört dieses Zeichnungsbild zu den beliebtesten unter den Schweizer Rassen. 

Im Grund gibt es keine Region, die nicht ihren Weissschwanz hervorgebracht hat. Während jedoch im Thurgau und im Bernbiet alle Rassen über eine grosse Tradition verfügen, sind alle anderen mehr oder weniger jüngeren Datums. 

Wenn sich heute die einzelnen Typen doch gravierend unterscheiden, war das früher nicht der Fall. Die Luzerner Tauben unterschieden sich von der Figur her kaum von den langschnäbligen Rassen. Das Kopfprofil war etwas gezogener und der Schnabel etwas kürzer. Das Hauptunterscheidungsmerkmal war – etwas übertrieben ausgedrückt – fast der behoste Lauf. Denn auch die anderen Schweizer Tauben waren in der Stirnpartie bei Weitem nicht so markant wie heute. Im Buch «Die Taubenrassen» von Joachim Schütte verdeutlichen Bilder das.

Der Aufschwung der Luzerner Rassen in diesem Ausmass ist eine Erscheinung der letzten 25 Jahre. Die Züchter haben den Kopf und die Figur wesentlich mehr in den Fokus ihrer züchterischen Arbeit gestellt. Einkreuzungen mit Orientalischen Mövchen oder Show Racern haben einen Typ geschaffen, der unter den Züchtern sehr gut ankommt. Die Tauben wurden wesentlich kürzer in der Hinterpartie und der Kopf substanzvoller. Das betrifft vor allem den Schnabel und auch die Stirnbreite.

Schon immer eine kleine Zuchtbasis
Mit diesen Einkreuzungen haben sich aber auch Begleiterscheinungen eingeschlichen. Man denke nur an die ausgeprägten Hengstnacken vieler Vertreter, die stark aufgerichtete Haltung und das aufgesträubte Gefieder. Alles Dinge, die man bei einer Luzerner Taube nicht sehen will.

Auch die Farbenschlagpalette wurde enorm erweitert. Man schaue sich heute nur die riesige Anzahl an Luzerner Einfarbigen und Schildern an, die man bei den Ausstellungen zu sehen bekommt. Selbst bei den Luzerner Elmern und Rieselköpfen sieht man nun immer wieder vermehrt Tauben. Nur die Weissschwänze scheinen von diesem Aufschwung nichts abzubekommen. 

Dazu muss man wissen, dass die Zuchtbasis schon immer klein war. Vielleicht ist das auch der Grund, weshalb man sie bisher nur im schwarzen Farbenschlag zu Gesicht bekommt. Auch mit Einkreuzungen kommt man hier nicht richtig weiter. Denn spätestens wenn die Zeichnung wieder stimmt, ist man auch im Typ wieder mächtig zurückgefallen. Es gehört nämlich zum Schwersten in der Taubenzucht, einen weissen Schwanz bei farbigem Keilgefieder zu züchten. Entweder sind nicht alle zwölf geforderten Schwanzfedern weiss oder im Keil sind schimmelige oder weisse Keilfedern. 

Ein gewisser Zusammenhang ist hier zu erkennen, sodass die Züchter schon immer auch Tauben mit etwas pigmentierten Schwanzfedern in der Zucht behalten. Damit haben sie die Gewähr, dass immer genügend Farbsättigung in der Bauch- und Keilfarbe vorhanden ist. 

Gerade in der Farbe, die man sich satt und möglichst glanzreich wünscht, sind die Luzerner Weissschwänze lange Zeit in der früher fast immer vorhandenen duffen Farbe aufgetreten. Übrigens so, wie man es lange Zeit auch von den Rieselköpfen her kannte. Erst seit neuerer Zeit hat sich hier etwas gewandelt und sie sehen glanzreicher aus. Die Züchter legen ihr Hauptaugenmerk auf die Erhaltung der Rasse überhaupt, sodass die Erweiterung der Farbenschlagpalette, die laut Standard ja durchaus möglich ist, nicht im Vordergrund steht.

Eine Rasse für Idealisten
Problematisch gestaltet sich leider noch immer die Augenrandfarbe. Durch das schwarze Gefieder und das dunkle Auge sieht es am schönsten aus, wenn auch der Rand zart und unauffällig ist. Leider ist dieser meistens noch hell – gerade bei Alttieren – und auch von etwas gröberer Struktur. Im Interesse der Rasse gilt es, hier zuchtfördernd zu bewerten.

Das gilt auch für die Kopfpunkte. In der Kappe sind sie selten so hoch angesetzt und auch spitz im Auslauf. Ausserdem ist der Kamm meistens unterbrochen. Auch in der Schnabelsubstanz müssen sie noch aufholen. Hier wirken viele Tiere zu spitz, wie die Züchter sagen. Auch muss die Stirn im Vergleich zu den anderen Luzerner Rassen breiter werden. Überhaupt fehlt dem Kopf die entsprechende Markanz und Wuchtigkeit. 

Dafür zeigen viele Luzerner Weissschwänze bis heute noch die früher geforderte Behosung bei fast nackten Zehen. Das kann ihnen heute, wo alle Luzerner Rassen eine Bestrümpfung haben müssen, also zum Verhängnis werden. Hier darf man die Trauben nicht zu hoch hängen. Sonst wird die sowieso geringe Basis noch mehr dezimiert. 

Man muss sich freuen, wenn die wenigen Züchter trotz aller Schwierigkeiten ihren Luzerner Weissschwänzen treu bleiben. Auch dann, wenn sie von hohen Auszeichnungen  ausgeschlossen sind. Eine Rasse lebt von ihren Idealisten. Gerade der Luzerner Weissschwanz kann sich glücklich schätzen, dass er allen Widrigkeiten zum Trotz diese noch hat.