Wildfänge
Ausverkauf der Korallenriffe?
Der Handel mit exotischen Tieren ist ein Milliardengeschäft. Millionen Fische, Schlangen und Vögel werden Jahr für Jahr in der Wildnis gefangen und landen in Aquarien, Terrarien und Volieren. Wie schlimm solche Wildfänge für die Bestände sind, ist allerdings umstritten.
Grosse Augen, silbrig-grauer Körper mit dunkelbraunen Querbändern, lang gezogene Flossen mit weissen Punkten drauf: Der Banggai-Kardinalbarsch ist ein hübsches Fischchen. Eines, um das sich ein Drama abzuspielen droht, das sinnbildlich steht für viele Wildtiere. Die Schönheit des Kardinalbarsches ist nämlich auch Aquarianern nicht entgangen. Als er 1996 erstmals an einer Aquaristikmesse in Nürnberg ausgestellt wurde, setzte ein Run auf den rund fünf Zentimeter langen Fisch ein. Um die Nachfrage zu decken, wurden bald Hunderttausende Tiere pro Jahr gefangen und um die ganze Welt verfrachtet.
Mit Folgen: «Der Bestand hat in den letzten 20 Jahren um mehr als 90 Prozent abgenommen, eine Erhebung schätzt, dass gerade noch 1,4 Millionen Fische übrig sind – und es werden jährlich immer noch rund eine halbe Million gefangen», sagt die Berner Meeresbiologin Monica Biondo, die derzeit ihre Dissertation zum Handel mit marinen Zierfischen schreibt und sich als Mitarbeiterin der Fondation Franz Weber für den Schutz der Meerestiere einsetzt.
Ein Lebensraum von wenigen Buchten
Das Problem des Banggai-Kardinalbarsches (Pterapogon kauderni) ist, dass er sowieso schon begrenzte Möglichkeiten hat. Er lebt in Korallenriffen im indonesischen Banggai-Archipel, einer abgelegenen Inselgruppe mit einer Fläche von rund 5000 Quadratkilometern. Da der Kardinalbarsch dort aber nur in wenigen Buchten vorkomme, betrage sein tatsächliches Verbreitungsgebiet gerade einmal 23 Quadratkilometer, sagt Biondo. Das ist so gross wie der Murtensee. Kein Wunder, befürchtet sie, dass die Bestände schon in wenigen Jahren leer gefischt sind. «Dem Banggai-Kardinalbarsch geht es bald an den Kragen.»
Und der Banggai ist nicht allein. Die Haltung von exotischen Fischen, Schlangen, Schildkröten oder Vögeln ist ein beliebtes Hobby, der Handel mit in der Wildnis gefangenen Tieren ein Milliardengeschäft. Genaue Zahlen sind zwar dünn gesät. Aber eine Untersuchung aus dem Jahr 2003 etwa schätzt, dass jährlich rund 30 Millionen Zierfische aus Korallenriffen gefangen und verkauft werden. Und eine andere Studie zeigt, dass die EU von 2004 bis 2014 offiziell fast 21 Millionen lebende Reptilien importiert hat.
Erstautor dieser Studie ist Mark Auliya vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung in Leipzig. Laut ihm gefährdet die Nachfrage in Europa und den USA das Überleben etlicher Reptilienarten aus aller Welt. «Besonders gefragt sind seltene, farbenprächtige, bedrohte oder charismatische Arten», sagt er. Ein Beispiel ist der Psychedelische Felsengecko (Cnemaspis psychedelica), dessen orange, blauviolett, gelb und grün leuchtendes Schuppenkleid seinen Entdecker wohl an farbenfrohe Hippie-Partys erinnerte (siehe «Tierwelt» Nr. 50/2016). Die Art lebt ausschliesslich auf einem kaum zehn Quadratkilometer grossen Inselchen in Vietnam: Forscher zählten nur wenige Hundert Exemplare. Trotzdem – oder gerade deswegen – wird der Gecko in Europa regelmässig zum Verkauf angeboten, für rund 3000 Franken pro Paar.
Es gebe zig andere, ähnliche Beispiele, sagt Auliya. Etwa den Blauen Baumwaran (Varanus macraei). Auch der Lebensraum dieses bis zu 60 Zentimeter langen Reptils ist klein; es lebt nur auf der indonesischen Insel Batanta, die kaum grösser ist als der Bodensee. Entdeckt wurde er erst im Jahr 2001, ironischerweise weil Forschern ein Tier in die Hände geriet, das falsch deklariert nach Deutschland verschifft wurde. Seither sind mehrere Tausend Blauwarane aus Indonesien ausgeführt worden – angeblich allesamt aus Nachzuchten. «Das ist allerdings wenig glaubhaft, denn die Fortpflanzungsrate dieser Tiere ist relativ gering», sagt Auliya. Wildfänge seien wesentlich lukrativer.
Wie schlimm es um den Blauen Baumwaran tatsächlich steht, ist schwierig zu beurteilen. Denn den Bestand im Freiland hat nie jemand erhoben. Das gilt auch für viele andere Tiere: Bei den Reptilien stehen gerade einmal für 4600 von insgesamt 10 450 Arten genügend Daten zur Verfügung, damit die Weltnaturschutzunion IUCN für ihre Rote Liste beurteilen kann, ob und wie stark gefährdet sie sind.
Keine Kontrollen, keine Zahlen
Noch unübersichtlicher ist die Situation bei den Meeresfischen. Von den rund 4000 bekannten marinen Zierfischen seien rund 70 Prozent von der Roten Liste noch nicht erfasst, sagt Monica Biondo. Sie hat für das Jahr 2009 exemplarisch untersucht, wie viele Korallenfische und was für Arten in die Schweiz importiert werden. Insgesamt zählte Biondo rund 28 000 importierte marine Zierfische, die 440 Arten angehörten.
Schweizer Salzwasser-Aquarianer stand das Grüne Schwalbenschwänzchen (Chromis viridis), ein kleiner Riffbarsch aus dem Indopazifik. Dahinter folgten der Falsche Clownfisch (Amphiprion ocellaris), bekannt aus dem Animationsfilm «Findet Nemo», der Gemeine Putzerfisch (Labroides dimidiatus), die Gelbschwanz-Demoiselle (Chrysiptera parasema), der Juwelen-Fahnenbarsch (Pseudanthias squamapinnis) und der Banggai-Kardinalbarsch. Allerdings sei dies wohl nur die Spitze des Eisbergs, sagt Biondo. Von den Behörden erfasst werden nämlich nur Einfuhren aus Nicht-EU-Ländern; für EU-Importe und für Online-Käufe gibt es keine Zahlen. Ihrer Schätzung nach könnte sich die tatsächliche Importzahl auf über 200 000 marine Zierfische pro Jahr belaufen. «Es gibt kaum Kontroll- und Schutzbestimmungen», sagt sie.
Laut Biondo sind die allermeisten Salzwasserzierfische Wildfänge. «Im Gegensatz zu Süsswasserfischen pflanzen sie sich kaum je in Gefangenschaft fort», sagt sie. Bei Fang, Transport und Handhabung würden zudem viele Fische verenden. «Fischer schütten zum Beispiel Gift ins Korallenriff, um die Fische zu betäuben und leichter abfischen zu können», sagt sie. «Dabei sterben viele Fische und andere Tiere.» Wildfänge seien deshalb aus tierschützerischer Sicht problematisch.
Zerstörte Lebensräume
Anderer Ansicht ist Erich Bühlmann, der Präsident des Schweizerischen Dachverbands der Aquarien- und Terrarienvereine (SDAT). Man müsse unterscheiden zwischen Süsswasser- und Meeresfischen, sagt er. Für Süsswasserfische sei der Wildfang kein Problem. Vielmehr gebe es viele Beispiele, etwa den Roten Neon, bei denen einheimische Fischer dank der Wildfänge die Gewässer-Biotope sorgfältig schützten. Die grösste Gefahr gehe von den Habitatzerstörungen aus.
«Bei marinen Zierfischen sind leider die Fangmethoden mit Gift noch oft ein Problem.» Dies schädige nicht nur die Fanggründe, sondern wirke sich auch auf die Qualität der gefangenen Fische sehr negativ aus. «Es ist aber keine Art bekannt, die durch die Aquaristik ausgerottet wurde, weder im Süsswasser noch im Meer», sagt Bühlmann.
Dem pflichtet Mathias Lörtscher vom Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen bei. «Der Handel kann zwar ein Faktor sein», sagt er, «die weitaus grösste Gefahr stellen aber der Verlust an Lebensräumen oder der Klimawandel dar.» Ihm seien keine Tierarten bekannt, die nachweislich wegen Wildfängen für die Tierhaltung ausgestorben seien. «Bei den Pflanzen jedoch gibt es einige Frauenschuh-Orchideen, die kurz nach ihrer Beschreibung in der Natur nicht mehr gefunden wurden, weil sie aufgrund ihrer Seltenheit weggesammelt wurden.» Und der Spix-Ara (siehe Box Seite 16) sei durch intensive Sammeltätigkeit für den Papageienhandel im Freiland ausgerottet worden und komme nur noch in Gefangenschaft vor.
Lörtscher räumt ein, dass gerade bei den Korallenfischen viel zu wenig über Bestände und Gefährdung bekannt ist. Bei den Amphibien, Reptilien, Vögeln und Säugetieren jedoch seien Arten, deren Bestände durch den Handel gefährdet sein könnten, zum grössten Teil dem Washingtoner Artenschutzabkommen Cites unterstellt. Cites verpflichtet die Mitgliedsstaaten – je nach Gefährdung einer bestimmten Art – sich an Handelsbeschränkungen oder gar komplette Handelsverbote zu halten. «Einerseits sollen die betroffenen Arten vor übermässiger Nutzung geschützt werden», sagt Lörtscher. «Andererseits soll dieser Handel aber auch erlaubt sein, solange er nachhaltig ist.»
Kontrollierter Handel statt Verbot
Laut Lörtscher gibt es einige Beispiele dafür, dass ein kontrollierter, nachhaltiger Handel Arten besser schützt als ein komplettes Handelsverbot. Vom Mississippi-Alligator (Alligator mississippiensis) lebten in den 1970er-Jahren nur noch 100 000 Exemplare in den Sümpfen im Süden der USA. Heute zählt man trotz intensiver Nutzung allein in Louisiana rund drei Millionen Tiere. «Zudem konnte man dank der Nutzung grosse Feuchtgebiete intakt halten, die sonst in Zuckerrohr- oder Reisplantagen umgewandelt worden wären», sagt Lörtscher, der das Tierkomitee von Cites präsidiert.
Es gibt allerdings auch Kritik an dem multilateralen Abkommen. Das Problem von Cites sei, dass es oft nur Empfehlungen an die jeweiligen Behörden abgebe, statt fehlbaren Ländern wirklich auf die Finger zu schauen, sagt Mark Auliya. Zudem dauere es oft sehr lange, bis eine Handelsbeschränkung oder ein Handelsverbot für eine bedrohte Art gelte. Davon kann Monica Biondo ein Liedchen singen. Sie setzt sich mit der Fondation Franz Weber seit Jahren dafür ein, dass der Handel mit dem Banggai-Kardinalfisch unter strenge Kontrolle gestellt wird. Das ist bislang nicht gelungen. Zwar habe Cites Indonesien damit beauftragt, bis nächstes Jahr ein Schutz- und Managementprogramm zu unterbreiten, sagt Biondo. Doch sie befürchte, dass das nicht reichen werde.
Ausgesetzt am falschen Ort?
Auch hier gehen die Meinungen auseinander: SDAT-Präsident Bühlmann hält Biondos Darstellung für übertrieben. Der Banggai-Kardinalbarsch sei ungefähr 400 Kilometer von seinem eigentlichen Lebensraum entfernt ausgesetzt oder ausgewildert worden und habe so grosse Populationsdichten erreicht, dass er nicht mehr als gefährdet gelten könne, sagt er. «Ausserdem ist diese Art einfach nachzuzüchten, was auch getan wird.» Biondo kontert, dass der Handel trotz der Zuchterfolge Wildfänge bevorzuge, weil die billiger seien. Und Aussetzungen an Orten, an denen es den Banggai nie gegeben hat, hält sie für einen grossen Fehler. «Zum einen wird der Fisch dort ein Konkurrent für andere, zum anderen sind die Bestände dieser ausgesetzten Fische so klein, dass sie die Nachfrage nie decken werden.»
Vielleicht also braucht es zum Banggai mehr und verlässlichere Zahlen – so wie für Tausende andere Tierarten auch. Nicht nur zur Gefährdung, sondern auch über den Handel. Biondo hofft, in ihrer Dissertation neue Zahlen auswerten zu können, um jene Arten ausfindig zu machen, welche europaweit besonders stark gehandelt werden. Auch für die Schweiz könnten bald bessere Zahlen vorliegen: Ständerat Daniel Jositsch verlangt in einem Postulat, dass der Import von marinen Zierfischen genauer erfasst wird. Bundesrat und Ständerat haben dem Ansinnen bereits zugestimmt – mit dem Ziel, die Korallenriffe besser zu schützen.
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