Nicht einmal 200 Jahre ist es her, dass der sechste Kontinent von der Menschheit entdeckt wurde, und nur wenig mehr als 100 Jahre, dass ein Mensch ihn betreten hat. Viele Entdecker und Seefahrer zahlten ihren Wissensdurst mit dem Leben. Heute ist es sehr viel leichter und angenehmer, die Antarktis zu entdecken. Trotzdem bleibt eine solche Reise stets ein kleines Abenteuer, denn Wetter- und Eisverhältnisse sind noch immer unvorhersehbar und können den Reiseverlauf massgeblich beeinflussen

Die Farben des Eises

Expeditionsleiter und Experte für Polargeschichte Arne Kertelheim, der bereits über 40 Mal in der Antarktis unterwegs war, erklärt, dass Eisberge für gewöhnlich milchig weiss schimmern, weil sich die langen Wellen in Rot und Orange problemlos an den störenden Luftbläschen vorbeidrängen können. Sind die Eisblöcke wie im antarktischen Weddell-Meer jedoch stark komprimiert, entsteht ein dunkelblauer Ton. Das gefrorene Wasser wirkt dann wie ein ganz schwacher Farbfilter und schluckt die langen Wellen.

Hindurch kommen lediglich die grünen und blauen Kurzwellen. Und so zeigt sich selbst bei trübem Wetter die Schönheit des eisigen Kontinents auf eine ganz besondere Art. Ist der Himmel so richtig grau, dass man in heimischen Gefilden fast depressiv werden möchte, schimmert die Antarktis in allen erdenklichen Farbtönen. Je nachdem wie das Licht in den Eisbergen gebrochen wird, sehen sie weiss, blau oder sogar schwarz aus. Hin und wieder sind auf den Ozeanen sogar grüne Eisberge zu sehen. Ihre Farbe wird vermutlich durch Meeresorganismen, etwa pflanzliches Plankton, hervorgerufen, die aus dem Meerwasser oder aus der Luft in das Eis hineingelangt sind. Grün sind vor allem solche Eisberge, die an ihrer Unterseite Eiszuwachs bekommen und sich später irgendwann umgedreht haben.

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Der Gigant unter den Eisbergen

Den schönsten und eindrücklichsten Eisbergen begegnet man unter anderem im 55 Kilometer langen Antarctic Sound. Hunderte strahlend weisser Eisblöcke, Mammutwürfel, treiben hier mit gigantischem Stolz auf dem Wasser. Unter ihnen auch der sogenannte «B15Y»-Eisberg mit einer Kantenlänge von etwa 16 Kilometer, ein Teilstück des grössten je registrierten Eisberges, des «B15».

Der «B15» löste sich 1956 vom Ross-Schelfeis, das die südliche Hälfte des antarktischen Rossmeeres bedeckt und eine Fläche von rund 525 000 km² vorweist. Seinerzeit hatte der Eisberg-Gigant eine Länge von 295 Kilometer und eine Breite von 37 Kilometer. Der Koloss ragt 40 bis 60 Meter aus dem Wasser heraus, unter Wasser hat er eine Grösse von 160 bis 250 Meter. Im Laufe seiner Reise durch das Südpolarmeer ist er jedoch in verschiedene Teile zerbrochen. Das sogenannte Kalben von grossen Gletschern und Schelfeis ist eine natürliche Konsequenz der Weiterentwicklung und hat nichts mit der Klimaerwärmung zu tun. Von Strömung und Wind angetrieben, driften durchschnittlich grosse Eisberge etwa zehn Kilometer pro Tag. Sie treiben zunächst an der Küste entlang, kollidieren mit anderen Eisbergen, laufen an seichten Stellen auf Grund und können dort für Jahre festliegen.

Tiere haben immer Vorfahrt!

Auch die Tierfotografin und Naturschützerin Sylvia Stevens zieht es immer wieder in die Heimat der Pinguine und Wale. Nur zu gut weiss sie um die Fragilität des weissen Kontinents und gerade die Tierwelt ist gegenüber Störungen durch den Menschen besonders sensibel. «Werden Tiere unnötig aufgeschreckt, führt dies zu Wärme- und Energieverlust, der angesichts des antarktischen Klimas und der extremen Lebensverhältnisse schnell zu lebensbedrohlichen Schwächungen führen kann», erklärt sie eindringlich.

Verlassen erwachsene Tiere zudem ihre Brutstätten, sind die Eier und Jungtiere schutzlos den hungrigen Skuas, den Raubmöwen, ausgesetzt. Daher sollte vor allem bei brütenden Pinguinen und anderen Vögeln immer ausreichend Abstand eingehalten werden. Das oberste Gebot in der Antarktis lautet also: Tiere habe immer Vorfahrt! Abstand halten! Und niemals den Fluchtweg zwischen Einzeltier und Kolonie oder zum Wasser

Die Antarktis erlebt man mit allen Sinnen, vor allem auf Paulet Island – einer kleinen, beinahe kreisrunden Insel an der Spitze der antarktischen Halbinsel. Die Insel ist bevölkert von einer der grössten Adéliepinguin-Kolonien. Die über 200 000 kleinen Pinguine haben regelrechte Promenadenwege angelegt, um zu ihren Brutplätzen zu gelangen.

Setzt man sich mit etwas Abstand daneben, so dauert es nicht lange und emsige Pinguine marschieren vorbei – häufig mit einem kleinen Stein im Schnabel, denn die Adéliepinguine sind hervorragende Baumeister. Sie brüten auf flachem bis hügeligem Gelände und bauen ihre Nester aus zusammengetragenen Steinen, dem einzigen hier zur Verfügung stehenden Nistmaterial. So bleiben die Eier trocken, weil die Bodenfeuchtigkeit ferngehalten wird.

Paulet Island nimmt man sehr intensiv wahr, denn die Pinguine kommunizieren ständig miteinander, und schon lange vor der Anlandung kann man ihr «Eau de Paulet» riechen. Ja, so elegant Pinguine in ihrem Frack und der weissen Hose wirken, in Wahrheit sind sie richtige Stinker. Der Guano-Mief hängt sehr lange in den Expeditionsjacken fest. Das beeindruckende Erlebnis auf Paulet Island macht den penetranten Geruch jedoch mehr als wett. Mit etwas Glück kann man hier die Aufzucht der Jungen beobachten. Die Antarktis fasziniert mit ihrem Tierreichtum und dem damit verbundenen lebendigen Treiben, welches der fremdartig anmutenden, eintönigen und eigentlich lebensfeindlichen Landschaft entgegensteht. 

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Jäger der Antarktis
Seeleoparden verdanken ihren Namen der gefleckten Haut. Charakteristisch ist der lange,  schlanke Körper mit den grossen Vorderflossen. Sie wirken auf Menschen häufig wie Schlangen. Mit ihrer Körperform und den grossen Zähnen sind sie bestens für die Jagd in der Antarktis ausgestattet.

Trotz ihrer Länge von bis zu 3,60 Metern und einem Gewicht von bis zu 450 Kilo bewegt sich der Seeleopard mit bis zu 40 km/h durch das Wasser. Ihre Lieblingsspeise sind Pinguine. Mit ihnen treiben sie ein regelrechtes «Katz-und-Maus-Spiel» . Seeleoparden jagen die Pinguine, bis diese in die Nähe des Eises gelangen, schneiden ihnen dann den Weg ab, treiben sie zurück ins tiefe Wasser und jagen sie weiter. Clevere Pinguine stellen sich nach einiger Zeit einfach tot und mit etwas Glück, wenn der Seeleopard keinen Hunger hat, verliert er den Spass und lässt vom Pinguin ab.

Seeleoparden besitzen selbst nur zwei natürliche Feinde: Killerwale und Haie. Doch nur sehr selten werden sie, aufgrund ihrer Schnelligkeit, von diesen beiden Tierarten erlegt. Sie können in freier Wildbahn bis zu 26 Jahre alt werden, was ein eindeutiger Hinweis darauf ist, wie gut sie den harschen Klimabedingungen der Antarktis gewachsen sind.

Die Antarktis hat eine Fläche von 13.829.430 Quadratkilometern – und ist damit etwa 1,3-mal so gross wie Europa. Auch im antarktischen Sommer, von Dezember bis Februar, sind 99 Prozent der Antarktis mit Eis bedeckt, zum Teil bis zu 5000 Meter dick.

Die grössten Süsswasserreserven der Erde stecken im Eis der Antarktis – rund 70 Prozent des auf der Erde verfügbaren Trinkwassers. Dies ist einer der vielen Gründe dafür, dass die Eiskappe eine so wertvolle Ressource ist.

Eine riesige Gebirgskette trennt die Antarktis in eine östliche und eine westliche Region. Die Gebirgskette ist eine der längsten der Erde und erstreckt sich über rund 4.800 Kilometer. Teile sind unter Eis und Schnee begraben, doch einige Gipfel sind so steil, dass sie schneefrei sind.

In der Antarktis gibt zwei aktive Vulkane. Einer davon liegt unter dem Eis der Antarktis und erzeugt dort Eruptionen. Der andere Vulkan, der Mount Erebus, ist einer der wenigen Vulkane auf der Erde, in dessen Krater sich ein dauerhafter See aus geschmolzener Lava befindet.

Da es nie regnet oder schneit, ist der Kontinent der trockenste der Welt.Durchschnittlich ist es der windstärkste Ort der Erde. Forscher, die diese südliche Landmasse erkunden, haben Windgeschwindigkeiten von bis zu 327 km/h gemessen.

Schreiende Teewärmer

Auf Königspinguine, nach den Kaiserpinguinen die zweitgrösste Art, trifft man in der Fortuna Bay in Südgeorgien. Sie legen nur ein Ei und bauen anders als die Adélies keine Nester, sondern verwahren das Ei auf ihren Füssen. Wenn die Jungen geschlüpft sind, verwandelt sich die Bucht in ein Meer von Tausenden flauschigen braunen Jungtieren, die wie Teewärmer oder alte russische Männer in einem zu grossen Pelzmantel aussehen. Dicht an dicht gedrängt trotzen sie dem Schneetreiben. Pinguine so weit das Auge reicht. Kaum vorzustellen, dass eine Mutter hier ihr Junges allein an der Stimme wiederfinden kann.

Königspinguine sind nur in wenigen Regionen auf der Welt anzutreffen: Südgeorgien scheint wieder ein Paradies für diese Vögel zu sein. Der Bestand in der Subantarktis wird auf rund 3,5 Millionen geschätzt. Die Bestände haben in den letzten Jahren in allen Brutkolonien zugenommen, nachdem es während des 19. und 20. Jahrhunderts aufgrund der Seehundjagd und des Abschlachtens der erwachsenen Tiere zur Ölgewinnung aus der reichen Fettschicht zu deutlichen Bestandsrückgängen kam.

Verlassene Walfangstationen

Auch anderen Tieren ging es ans Fett. Auf den Jagdstationen schlachteten Walfänger Anfang des 20. Jahrhunderts Zehntausende Wale. Hier schlug einst das Herz eines ganzen Industriezweiges. In der Cumberland Bay stehen noch immer die Überreste der alten Walverarbeitungsstation Grytviken. Fast 60 Jahre lang war die Station in Betrieb, überstand zwei Weltkriege und eine Weltwirtschaftskrise. Alleine ihr fielen 54 100 Wale zum Opfer aus denen 455 000 Tonnen Waltran und 190 000 Tonnen Fleisch gewonnen wurden. Profitgier rottete viele Walarten fast vollständig aus. Ob sich der Walbestand jemals erholen wird, ist fragwürdig. Heute ist Grytviken eine Geisterstadt mit verrosteten Kesseln und zerfallenden Häusern. Nach und nach hat die Natur sich die Stadt zurückerobert, und Seeelefanten liegen unbedarft auf den alten, brüchigen Holzpiers. Für sie scheint die Welt hier wieder in Ordnung zu sein.