Der Nebel hält den Bergwald fest umschlossen. Die Silhouetten der Virunga-Vulkane sind schon am frühen Morgen hinter dichten Wolkenschwaden verschwunden. Im Dunst lassen sich die Umrisse der Baumriesen jetzt nur noch erahnen. Ihre von Bartflechten und Schlingpflanzen überwucherten Äste greifen ins Nichts. 

«Nur nicht vom Wetter schrecken lassen», sagt Jolie Mukiza, «das ändert sich hier manchmal stündlich.» Die 26-jährige Naturführerin steht in ihren Gummistiefeln bis fast zum Rand im Schlamm. Gemeinsam mit ihrer Wandergruppe ist sie unterwegs auf dem Dian-Fossey-Weg in Ruandas Vulkan-Nationalpark. Der Pfad war einst der Heimweg der weltbekannten amerikanischen Primatologin zu ihren Schützlingen in den Bergen an der Grenze zu Uganda und dem damaligen Zaire. 

«Die Einheimischen hielten sie erst für verrückt», sagt Mukiza. Ein Mensch – noch dazu eine weisse Frau – die allein unter den Gorillas leben wollte? So etwas schien 1967 ausgeschlossen – und gefährlich. Die Ruander nannten Fossey ehrfurchtsvoll Nyiramachabelli: die Frau, die allein auf dem Berg lebt.

Sanfte Riesen im Nebel
Urplötzlich steht ein Berggorilla am Wegrand, als habe ihn jemand als Türsteher im Nebelwald angestellt. Der zottelige Silberrücken beäugt misstrauisch die Touristen, die zum Grab der berühmten Zoologin pilgern. Die Gruppe hält den Atem an. Unmissverständlich hebt der Gorilla die Schultern und stellt seine mächtigen Muskeln zur Schau. Aufgerichtet würde er jeden der Wanderer an Grös-se übertreffen. Mit der schieren Kraft seiner Arme könnte er sie in Stücke zerreissen. Aber die Gorillas im Nebel sind sanfte Wesen. «Keine Angst! Er ist ein Nachfahre der Tiere, die Fossey erforschte», sagt Mukiza ruhig. «Heute gibt es hier im Umkreis sieben an Menschen gewöhnte Gruppen.» Der Muskelmann ist schnell wieder im Unterholz verschwunden.

Zum ersten Mal hatte Fossey die Berggorillas 1963 in Uganda zu Gesicht bekommen. Die Begegnung mit den Menschenaffen sollte nicht nur ihr Leben, sondern auch die Geschichte des Artenschutzes und der Verhaltensforschung prägen. Am 24. September 1967 gründete sie die Karisoke-Forschungsstation auf der ruandischen Seite der Virunga-Vulkane. Über Jahre näherte sich die Verhaltensforscherin den Tieren in endloser Geduld, studierte ihre Kommunikation und ihr Sozialleben. Viel von dem, was die Forschung heute über die Tiere weiss, geht auf Fosseys Studien zurück.

Von der ersten Hütte, in die die Primatologin einzog, sind nur noch die Fundamente erkennbar. Darüber rumort ein Bienenvolk im Blätterdach eines Urwaldbaums. «Besser Abstand halten!», empfiehlt Mukiza. Später richtete sich Fossey etwas oberhalb eine neue Unterkunft ein. Hier fanden Mitarbeiter am 27. Dezember 1985, kurz vor ihrem 54. Geburtstag, den leblosen, mit einer Machete niedergestreckten Körper der Forscherin neben ihrem Bett. 

«Bis heute weiss man nicht, wer sie ermordet hat», sagt Mukiza. «Ich selbst glaube, dass es Wilderer waren.» Bis zu ihrem Tod kämpfte Fossey gegen Tierfänger, die junge Gorillas an Zoos verkauften und aus Körperteilen ihrer Eltern und Geschwister Souvenirs für skrupellose Touristen herstellten. Fossey machte sich auch Jäger zum Feind, die es auf die Büffel und Antilopen abgesehen hatten. Deren Fallen wurden auch immer wieder für die Menschenaffen zur Todesgefahr. «Noch heute finden die Ranger manchmal welche», erklärt Mukiza, «aber glücklicherweise haben wir seit Jahren keine Gorillas mehr an Wilderer verloren.»

1500 Dollar für eine Gorillabegegnung
In Ruanda und Uganda hat der Schutz der Tiere heute oberste Priorität. Mit dem Gorilla-Tourismus verdienen die beiden ostafrikanischen Länder Millionen. In diesem Jahr hat Ruanda den Preis für eine Begegnung mit den Tieren im Vulkan-Nationalpark auf stolze 1500 Dollar angehoben. Der strenge Schutzstatus hat dafür gesorgt, dass die Population der Berggorillas in den letzten Jahrzehnten immer weiter gewachsen ist. Inzwischen sollen es wieder mehr als 900 Tiere in Ruanda, Uganda und der angrenzenden Demokratischen Republik Kongo sein. 

Die Bewahrung ihres natürlichen Lebensraums kommt auch vielen anderen Tierarten zugute. In den Virunga-Bergen profitieren andere Primaten wie die Goldmeerkatzen und seltene Vogelarten davon. In Uganda ist der Bwindi-Regenwald, in dem fast die Hälfte aller Berggorillas lebt, auch einer der letzten Rückzugsorte für Schimpansen, Östliche Vollbartmeerkatzen und Mantelmangaben. Die Berggorillas helfen so auch die Lebensräume für ihre kleineren Brüder zu erhalten.

Als Dian Fossey ihre Forschung begann, standen die Berggorillas noch am Rand des Aussterbens. Mukiza führt ihre Wandergruppe zum Grab der Forscherin. Auf einer kleinen Lichtung im Urwald ist neben dem Gorilla­friedhof von Karisoke eine einfache Gedenktafel für die Primatologin angebracht. «Niemand liebte die Gorillas mehr» steht darauf geschrieben. Neben ihr liegt Digit, das Gorillamännchen, der Erste seiner Gruppe, dessen Vertrauen Fossey gewann. Digit wurde 1977 von Wilderern umgebracht. «Dass sie ihn getötet haben, war für mich vermutlich das traurigste Ereignis in all den Jahren», schrieb Fossey später.

Nach Digits Tod setzte Fossey ihren Kampf gegen Wilderer mit zunehmender Härte fort.  «Für mich ist sie eine Heldin», sagt Mukiza, «ohne sie hätte es nie eine Annäherung zwischen Mensch und Gorilla gegeben.» Als Kind sah Mukiza zum ersten Mal den Film «Gorillas im Nebel» mit Sigourney Weaver in der Rolle von Dian Fossey. Mit 19 Jahren war sie die jüngste Frau, die als Guide ihre Arbeit im Nationalpark begann.

Noch nicht ausgelernt
«Ich wünschte, Dian Fossey könnte den enormen Erfolg ihrer Schutzbemühungen heute selbst sehen», sagt die deutsche Primatologin Winnie Eckardt, «ihr ist es zu verdanken, dass die Berggorillas die einzigen Menschenaffen der Erde sind, deren Population  wächst.» Eckhardt ist gerade von einem Einsatz in den Virunga-Vulkanen zurück. Gemeinsam mit ruandischen Studierenden erfasst sie Daten über verschiedene Gorilla­gruppen im Nationalpark. 

«Wir haben einiges erreicht», sagt Eckardt, «aber es gibt noch immer viel zu tun.» Der Druck durch eine wachsende Bevölkerung, die Gefahr durch eingeschleppte Krankheiten und der Einfluss von Kimaschwankungen auf das Nahrungsangebot der Berggorillas machen die kleinen Populationen der Tiere weiter verwundbar. Trotzdem blickt die Forscherin optimistisch in die Zukunft.

«Die Ruander sind sehr stolz auf ihre Gorillas und wissen um den Wert der Tiere», sagt Eckardt, «ihre Gesundheit und ihre Wanderbewegungen werden streng überwacht, sodass  Wilderei praktisch nicht mehr vorkommt.» Gibt es nach 50-jähriger Forschungsgeschichte überhaupt noch Neues über die Berggorillas zu entdecken? Eckardt lächelt. «O ja, ich lerne noch immer bei jeder Begegnung etwas Neues.»