Das sich eine Orientturteltaube verflogen habe und in der Schweiz landete, sei keine grosse Überraschung gewesen, heisst es bei der Schweizerischen Vogelwarte auf Anfrage der TierWelt. Die Art sei auch schon in Tschechien und Österreich aufgetaucht, es sei also nur eine Frage der Zeit gewesen, bis sich ein Einzeltier zu uns verfliegen würde. Dass sich einzelne Individuen von unterschiedlichen Vogelarten verfliegen, ist also kein seltenes Phänomen. Meistens bleiben die Irrgäste jedoch nur ein paar Stunden oder Tage. Die Orientturteltaube wurde zwei Jahre in Folge an ihrem aussergewöhnlichen Überwinterungsort gesichtet. Nach Auskunft der Vogelwarte sei die Chance sehr klein, dass sich das gleiche Tier zweimal an den gleichen Ort verirren oder zwei Exemplare dort auftauchen.

Doch wie können sich Vögel «verfliegen»?

Schweizer Zugvögel, wie Schwalben oder Störche, überwintern meist im Süden. Wie der Orientturteltaube kann es ihnen passieren, sich zu «verfliegen». Dazu gab die Vogelwarte Sempach auf Anfrage verschiedene Erklärungsansätze. Einerseits können die Vögel «verdriften». Das heisst, dass die Tiere durch einen Windrichtungswechsel oder einen Sturm in die falsche Richtung fliegen. Andererseits könne es auch sein, dass die Tiere im Frühling zu weit in den Norden fliegen würden, um zu brüten. Das ist auch unter dem Begriff «Overshooting» bekannt, weil die Vögel quasi über das Ziel hinausschiessen. Ein weiterer Grund, um von der Route abzukommen, kann eine Zugumkehr sein:  Die Vögel fliegen in die umgekehrte Richtung, also statt nach Südost nach Nordwest.

Orientierung dank Genetik

Der Orientierungssinn von Vögeln wird meist vererbt. «Abzugszeit, Zugrichtung und Zugentfernung sind bei den meisten Zugvogelarten genetisch vorgegeben.», informiert der Deutsche Naturschutzbund (Nabu). Deshalb ist es nebst weiteren Erklärungen möglich, dass die Orientturteltaube in Sulgen einen Gendefekt hatte und als Folge auf eine falsche Route gelangte. Auch die Unerfahrenheit von jungen Zugvögeln kann ein Grund sein für das «Verfliegen».

Sonne, Magnetfelder und Sterne zur Navigation

Zur Navigation haben die Tiere nicht nur ihre genetische Grundlage. Studien gehen davon aus, dass sich die Tiere an drei Faktoren orientieren: dem Sonnenstand, den Sternen und dem Erdmagnetfeld. Vögel können die Himmelsrichtung am Stand der Sonne ableiten, zudem sollen sie die Schwingungsrichtung des Lichtes (Polarisation) sehen können. Das ermögliche auch an bewölkten Tagen die Orientierung, wie Spektrum.de aufklärt.

In der Dunkelheit der Nacht orientieren sich Vögel meist an den Sternen, darunter auch einige der Grasmücken. Dies ist eine Gattung von Singvögeln, welche bei uns in allen Höhenstufen angetroffen werden kann und ihre Winterquartiere in Afrika hat, schreibt die Vogelwarte Sempach.

Die komplexeste Form der Orientierung ist jene anhand des Erdmagnetfeldes. Wie dies genau funktioniert, ist unter Wissenschaftlern noch umstritten. Man vermutet jedoch, dass Vögel eine Art magnetischen Kompass besitzen müssen, um das Magnetfeld wahrnehmen zu können. Bestimmte Vogelarten wissen, ob sie in Richtung der Pole fliegen oder sich parallel zum Äquator bewegen.

Der Orientierungssinn von Vögeln ist komplex und tief in die Genetik eingemeisselt. Die Navigation über Sonne, Magnetfelder und Sterne ist ausgefeilt, aber nicht unfehlbar – wie unser exotischer Irrgast aus dem Thurgau zeigt.