Menschenaffen
Ein bisschen Frieden für Labor-Affen
Jahrelang lebten sie in Gitterkäfigen, in denen sie kaum aufrecht stehen konnten. Dann haben die Schimpansen aus der Pharmaforschung in einem österreichischen Safaripark ein neues Leben geschenkt bekommen. Doch ihre harte Vergangenheit holt sie noch immer ein.
Die Tür ist seit vier Jahren Tag und Nacht geöffnet. Hinter ihr liegt die Freiheit. Nicht so unendlich, wie wir Menschen sie uns vorstellen würden. Diese Freiheit besteht aus einer Fläche von gut 2000 Quadratmetern. Hier wachsen Gras und Bäume, in der warmen Jahreszeit zwitschern die Vögel, der Blick zum Himmel ist unversperrt. Dass eine massive Mauer das Gelände umgibt, vermittelt zwar den Eindruck, hier könnte jemand eingesperrt sein, aber das trifft die Wahrheit nur bedingt. Diese begrenzte Freiheit gehört Tieren, die über Jahre, teils Jahrzehnte zu Versuchszwecken in Gitterkäfigen in einem Labor gefangen gehalten worden waren. Tieren, die uns Menschen so nahe stehen, dass wir mit ihnen je nach Analysemethode bis zu 99 Prozent der Gene teilen. Für sie ist die Anlage kein Gefängnis, sondern eher ein Paradies.
Wir befinden uns im österreichischen Gänserndorf, einer Kleinstadt mit gut 10 000 Einwohnern, knapp 40 Kilometer nordöstlich von Wien, im Marchfeld gelegen und vor allem für Spargel oder Spinat bekannt. In Tierschützerkreisen mittlerweile auch für seine 38 Schimpansen, denen Michael Aufhauser von Gut Aiderbichl hier in idyllischer Abgeschiedenheit ein kleines Stück Leben zurückzugeben versucht – für alles, was Martha, Isidor, Helene, Spätzle, Blacky und all den anderen angetan worden war.
Mit Aids und Hepatitis infiziert
Die österreichische Pharmafirma Immuno hatte die Schimpansen nach und nach seit 1980 angeschafft, um an ihnen neue Medikamente zu testen. Einige waren als Tierkinder in Afrika von Wilderern geraubt und nach Europa verfrachtet worden. Weil die Tiere nicht krank waren, als sie ins Labor kamen, infizierte man viele künstlich mit jenen Krankheiten, gegen die die Pharmaforscher Mittel finden wollten: Aids und Hepatitis. Wer in der gesunden Kontrollgruppe landete, hatte es aber auch nicht besser.
Pflegerin Renate Foidl, die uns das Gelände in Gänserndorf zeigt, arbeitete schon damals bei den Schimpansen. Früher trug sie in der Umgebung der Affen ausschliesslich Schutzkleidung. Regelrechte Raumanzüge, wie sie sagt, «weisser Overall und Astronautenhelm». Jetzt kann sie im legeren Aiderbichl-T-Shirt über die Anlage spazieren. «Tierpfleger bei den Versuchsaffen, das war damals alles andere als ein Traumjob», erzählt sie. «Ich hatte bei den Affen nur ein Praktikum absolviert. Aber da wusste ich: Diese Tiere brauchen mich viel dringender als die im Zoo. So blieb ich bei ihnen.» Ihre Schützlinge kennt sie nun seit fast 25 Jahren. Und die Affen sie.
1997 übernahm der US-Pharmariese Baxter die österreichische Immuno. Es war der Beginn einer neuen Ära, denn Baxter hatte einerseits kein Interesse daran, die Forschungen nach einem Impfstoff gegen Aids fortzusetzen, und wollte andererseits keinesfalls mit diesen zwischen sterilen Gitterstäben und ohne Kontakt zu Artgenossen lebenden Kreaturen in Verbindung gebracht werden. Ohnehin erwiesen sich die Versuche bald als obsolet, denn die Schimpansen wurden durch das Immunschwächevirus gar nicht krank. Und so übersiedelten sie 2002 in die Stallungen des Safariparks in Gänserndorf. Immerhin sicherte Baxter die weitere Finanzierung zu – die Verantwortung für die Tiere trägt seit 2010 das Gut Aiderbichl.
Das Trauma der Vergangenheit
Auf unserem Rundweg kommen wir an zwei Gehegen vorbei, in denen jeweils nur ein Schimpanse lebt. Es sind Thomas und Peter, die ihre Aggressionen nicht kontrollieren können, wenn sie mit anderen zusammentreffen. Ein ausgerissener Finger und ein abgebissenes Ohr sind die Bilanz der Versuche, die beiden in eine Gruppe zu integrieren. Die schriftlichen Kurzbeschreibungen der Pflegerin lauten: «Thomas, geboren am 09. 04. 1986 in einem Forschungslabor in den Niederlanden. Dienst in Österreich als Versuchsaffe von 1994 bis 1999. Wurde mit Hepatitis C infiziert.» – «Peter, geboren (vermutlich) 1983 in Sierra Leone, Dienst als Labor-Affe in Österreich von 1986 bis 1999; nicht gruppierbar wegen heftiger Beissattacken.» Bei den meisten anderen Tieren klappten die Versuche des neuen Zusammenlebens aber gut, manche wurden gar zu unzertrennlichen Freunden.
Die meisten Tiere sind heute zwischen 30 und 40 Jahre alt. Mehr als die Hälfte ihres Daseins verbrachten sie als Testobjekte, wurden regelmässig in Narkose gelegt und mit Spritzen oder Biopsien malträtiert. Hunderte Male. Das Trauma ihrer Vergangenheit ganz besiegen und jemals so leben können wie in der Natur aufgewachsene Artgenossen, das werden die Primaten von Gänserndorf nie.Wie es in den Tieren aussehen mag, was das Leben im Labor wirklich mit ihnen gemacht hat, lässt sich nur erahnen. Früher lernten sie als Hauptlektion: Menschen bedeuten nichts Gutes. Die meisten der Schimpansen entwickelten darum heftige Aggressionen. Neurosen, Anfälle, Selbstverletzungen oder Stereotypien waren die Regel, nicht die Ausnahme. Noch nie hatte Renate Foidl zu einem der Schimpansen direkten Kontakt. Bliebe nur ein einziges Mal die Sicherheitsschleuse offen, es wäre lebensgefährlich.
Der grösste Tag im Leben der Schimpansen dürfte wohl der 5. September 2011 gewesen sein. Es war jener Tag, an dem sie erstmals das Aussengehege in Gänserndorf betreten durften. Bis zu diesem Augenblick kannten die Schimpansen keine frische Luft, keine Sonne, keinen Wind und keinen Regen. Sie waren noch nie auf Bäume geklettert, hatten nie Gras aus dem Boden gezupft oder gar den Weg einer Ameise studiert. Den Moment, in dem sich die Tür öffnete und die ersten Mutigen ihre Nasen in die Sonne streckten, mit aufgerissenen Augen, verunsichertem Gehüpfe und Blicken voller Ungläubigkeit auf der Schwelle standen, fing das Aiderbichl-Team mit Kameras ein. Bilder, die mehr sagen als 1000 Worte – das Video ist auf der «Tierwelt»-Website zu sehen.
Von Angst und Misstrauen beherrscht
Schon in den Wohnzimmern, wie Renate Foidl die Innenanlagen nennt, konnten die Tiere viel dazulernen. An Stricken und Holzstämmen übten sie das Klettern – Babby Boy beispielsweise brauchte ewig dazu. Ohne Rampen und Leitern, die ihm die Tierpfleger bauten, hätte er es wohl nie geschafft. Foidl: «Den Schimpansen war auch nicht klar, dass sich Dinge bewegen können. Wir hatten Schaukeln aufgehängt und wenn man die wegstösst, kommen sie wieder zurück. Das weiss jedes Kind, aber die Schimpansen haben sich wahnsinnig erschrocken.»
Schreckhaft sind einige von ihnen bis heute, und die Resozialisierung so schwer traumatisierter Tiere ist wissenschaftliches Neuland. Es gibt keine Bücher, in denen man nachlesen kann, was mit einem Primaten zu tun ist, der sich die Haut blutig kratzt oder dessen Misstrauen gegenüber anderen Lebewesen jede Form des sozialen Zusammenlebens unmöglich macht. Die Verantwortlichen müssen ihrem Gefühl vertrauen.
Carmen, Jahrgang 1977, müht sich sichtlich ab, der Panzerglasscheibe näher zu kommen. Ich soll ihr zeigen, was sich in meiner Handtasche befindet, lässt Renate Foidl mich wissen. Neugierig reckt Carmen den Hals und späht hinein, schneidet ein paar Grimassen, und nickt dann wie ein Kontrolleur am Flughafen, wenn er sagt: «Danke, alles okay.» So interessiert an ihrer Umwelt sind längst nicht alle. Auch wenn die Tür zur Freiheit seit vier Jahren Tag und Nacht geöffnet ist, wagten Pünktchen und Ingrid noch nie einen Schritt hinaus. So viel Platz, Licht und Luft, das ist ihnen einfach nicht geheuer …
[EXT 1]
Die ehemaligen Labor-Schimpansen dürfen zum ersten Mal nach draussen. Einige von ihnen haben noch nie in ihrem Leben die Sonne auf dem Fell gespürt. Die ehemaligen Laborschimpansen dürfen zum ersten Mal nach draussen. Einige von ihnen haben noch nie in ihrem Leben die Sonne auf dem Fell gespürt.
Quelle: Youtube/Gut Aiderbichl
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