Wem ein normaler Safariurlaub zu wenig Nervenkitzel verspricht, dem sei empfohlen, seinen nächsten Afrikatrip im ostafrikanischen Burundi zu verbringen – genauer gesagt im Ruzizi-Nationalpark am Tanganjikasee. Dort könnte der Tierfreund die Bekanntschaft eines Serienkillers machen. Treibt doch im Delta des Ruzizi-Flusses schon seit Jahren das Krokodil Gustave sein Unwesen.

Nimmt man die Anzahl seiner Opfer als Massstab, dann gehört Gustave zu den schlimmsten Menschenfressern aller Zeiten. Mehr als 300 soll er schon verspiesen haben. Das Krokodil ist seit mindestens 1987 aktiv. Und natürlich hat Gustave es bei so vielen Opfern zu Berühmtheit gebracht.

In Zeitungsberichten und Fernsehbeiträgen wird Gustave oft als das grösste Krokodil der Welt bezeichnet. Eine Behauptung, die sich jedoch nicht aufrechterhalten lässt. Mit einer geschätzten Länge von sechs Metern ist Gustave zwar deutlich grösser als das durchschnittliche Nilkrokodil, zum Weltrekord reicht es ihm jedoch nicht. Aktueller Spitzenreiter ist laut dem «Guinness Buch der Rekorde» ein im indischen Bhitarkanika National Park lebendes Leistenkrokodil mit einer Länge von 7,1 Metern. Kein Grund für Gustave, traurig zu sein: Afrikanischer Rekordhalter zu sein, ist ja auch nicht zu verachten.

Viele Leute glauben, dass Gustave manchmal aus reiner Mordlust tötet

Die tatsächliche Anzahl von Gustaves Opfern – man munkelt, es solle auch die Ehefrau des russischen Botschafters für Burundi darunter sein – ist Gegenstand vieler Diskussionen. So glauben viele Forscher nicht daran, dass ein einziges Krokodil für eine derart hohe Zahl von Todesfällen verantwortlich sein kann. Befragt man jedoch die Bewohner des Ruzizi-Deltas, ist oft zu hören, die Zahl von 300 Toten sei noch eher untertrieben. 

Gustaves beklagenswerte Opfer werden fast immer ohne Arme, Beine und Kopf aufgefunden, da Gustave – wie übrigens viele andere Krokodile auch – dazu tendiert, nur die Teile des menschlichen Körpers zu verspeisen, die er leicht vom Rumpf abreissen kann.

Manchmal verspeist Gustave seine Opfer allerdings auch überhaupt nicht. Ein Grund, warum viele Bewohner glauben, dass die riesige Panzerechse ab und zu nur aus reiner Mordlust tötet. Laut Experten töten Krokodile aber normalerweise nicht zu ihrem Vergnügen. Doch Gustave ist natürlich alles andere als ein gewöhnliches Krokodil.

Wissenschaft und Presse haben reichlich darüber spekuliert, warum ausgerechnet Gustave zu einem Serienkiller mutiert ist. Mittlerweile gibt es dazu fast so viele Theorien wie Tote. So hängt Gustaves fatale Vorliebe für Menschenfleisch möglicherweise mit den Opfern des blutigen und schon lange andauernden Bürgerkriegs in der Demokratischen Republik Kongo zusammen, deren Leichen oft achtlos einfach in den Ruzizi-Fluss geworfen wurden und dort mit Sicherheit den Speisezettel der ansässigen Krokodile ergänzt haben. Nach einer anderen Hypothese sind es seine Grösse und sein gewaltiges Gewicht, die Gustave daran hindern, schnelle und bewegliche Tiere wie Zebras oder Antilopen zu erbeuten. Deshalb habe er sich auf schwerfälligere Opfer wie kleine Nilpferde oder Menschen spezialisiert.

Auf der anderen Seite ist es aber auch ein wahres Wunder, dass Gustave noch am Leben ist, denn natürlich haben nicht nur Jäger, sondern auch Polizisten und Soldaten in der Vergangenheit unzählige Male versucht, das gefrässige «Monster» zu erlegen. So sollen burundische Soldaten gleich mehrfach aus nächster Nähe mit Maschinenpistolen auf Gustave geschossen haben. Der Erfolg dieser Bemühungen war jedoch stets gleich Null: «Das macht unserem Gustave doch nichts aus. Der hat die Kugeln einfach verschluckt», lautet die gängige Erklärung der Einheimischen für die vermeintliche Kugelfestigkeit des gefürchteten Krokodils. Doch existieren zahlreiche Augenzeugenberichte, in denen von ungewöhnlichen narbigen Wülsten am Schädel und an der rechten Flanke von Gustave die Rede ist: Diese deuten auf verheilte Schusswunden hin.

Alle Fangversuche sind fehlgeschlagen, das Tier liess sich nicht ködern

2002 wurde beschlossen, Gustave lebend zu fangen. Die Bevölkerung sollte vor dem menschenfressenden Krokodil geschützt werden und ein Gustave hinter Gittern wäre sicherlich eine Attraktion für Krokodilfans aus aller Welt – geradezu ein Hauptgewinn für den nicht gerade mit Highlights ausgestatteten Ruzizi-Nationalpark. Aber wie kann ein Sechs-Meter-Krokodil lebend gefangen werden? Mit Betäubungspfeilen geht das wegen der dicken Panzerung natürlich nicht. Also sollte Gustave mithilfe einer eigens zu diesem Zweck konstruierten Kastenfalle aus dem Verkehr gezogen werden. Die Ausmasse der Falle waren kolossal: Zehn Meter lang, zwei Meter breit und zwei Meter hoch. 

Allein um das stählerne Monstrum an das Ufer des Tanganjikasees zu transportieren, waren mehr als 30 Personen notwendig. Um Gustave in die Falle zu locken, versuchte man es mit den unterschiedlichsten Ködern. Zunächst mit einer lebenden Ziege, dann mit  Ochsenblut beschmierten Hühnchen und als das alles nichts half, musste gar der ungeliebte Hund des ortsansässigen Medizinmanns als Lockmittel herhalten. Ohne Erfolg. Gustave verspeiste lieber, ein paar Kilometer entfernt, einen arglosen Fischer. Nach einigen Wochen versank die tonnenschwere Falle im weichen Uferschlick. Das war das Ende aller Fangversuche.

Auch heute wird Gustave noch ab und zu im Ruzizi-Delta gesichtet. Aber der einstige Saulus hat sich offenbar zum Paulus gewandelt, denn nach allem, was man so hört, sind dem einst so gefürchteten «Mörderkrokodil» in den letzten Monaten keine Menschen mehr zum Opfer gefallen. Die Menschen am Ruzizi glauben auch den Grund für diese Tatsache zu kennen: Gustave sei im Alter einfach milde geworden.

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