Die Distelfinken sind gelandet! Vier, sechs, neun, zehn Stück; alle in den stachligen Wilden Karden, die im Sommer zum leisen Missfallen meiner Frau eines unserer Gartenweglein unpassierbar gemacht haben – und die abzuschneiden ich mich bis im Spätwinter standhaft geweigert habe. Nun sehe ich die Belohnung für meine Standhaftigkeit durchs Fenster hindurch vor mir: Ein ganzer Trupp des vielleicht farbenfrohsten Singvogels unseres Landes sitzt auf den zwei Meter hohen Stauden und pickt Samen um Samen aus den vertrockneten Blütenständen.

Es ist die perfekte Gelegenheit, um die Ausrüstung auszuprobieren, die der Optikhersteller Swarovski der Redaktion zu Testzwecken für einige Wochen ausgeliehen hat: einen Feldstecher mit einem Aufsatz, in den sich das Smartphone so einspannen lässt, dass man damit durch eines der beiden Okulare fotografieren kann. Digiskopie nennt sich diese Technik. Die Idee dahinter: So lassen sich aus relativ weiter Distanz Bilder von Vögeln (oder anderen Tieren und Objekten) machen, ohne dass dazu eine mehrtausendfränkige Fotoausrüstung nötig ist.

Video-Tutorial zur Digiskopie

[IMG 2]

Schnell krame ich mein Handy aus der Hosentasche und klemme es in den Aufsatz, den ich bereits auf den Feldstecher montiert habe. Die Schutzhülle des Handys muss dafür allerdings weg, nur so passen die Objektive der beiden Geräte aufeinander. Um eine möglichst gute Fotografierposition zu finden, eile ich aus dem Haus und schleiche mich vorsichtig Richtung Garten. Hinter einer Säule kann ich mich in sicherer Entfernung verstecken, ohne die Distelfinken zu verscheuchen.

Erinnerungs- und Belegfotos
Die Digiskopie existiert seit den 1990er-Jahren und nahm nach dem Jahrtausendwechsel so richtig Fahrt auf. Meist werden dabei ein Fernrohr und eine Kamera (oder ein Mobiltelefon mit Kamerafunktion) miteinander kombiniert. Heute bieten alle grossen Spektivhersteller diverse Adapter für ihre Geräte an. In manchen Ländern ist Digiskopie so gerade für Vogelbeobachter zu einer Alternative zum Teleobjektiv geworden. Spanien, aber auch Skandinavien und England gelten als Vorreiter dieser Technik, zum Teil mit hervorragenden Bildern. Mit dem «Digiscoper of the Year» richtet Swarovski jedes Jahr einen viel beachteten Fotowettbewerb aus. 

In der Schweiz sei die Digiskopie nicht sehr verbreitet, sagt Michael Gerber, Projektleiter Ausbildung bei Birdlife Schweiz. Zumindest nicht auf hohem Niveau: «Viele Ornithologen fotografieren aber mit dem Handy direkt durchs Fernrohr, um ein Erinnerungs- oder ein Belegfoto eines beobachteten Vogels zu machen.»

Ich habe inzwischen mit dem Feldstecher einen munter weiterfressenden Distelfinken ins Visier genommen. Die Prozedur ist etwas umständlich, weil ich nur durch ein Okular blicken kann und beim Scharfstellen mit der einen Hand immer auch das Smartphone halten muss. Schliesslich sitzt der Vogel im Fokus und auch die Kamerafunktion des Handys ist eingeschaltet. Nun aber wird es erst richtig heikel: Mit der einen Hand versuche ich, den Feldstecher ruhig auf dem Distelfinken zu halten, mit der anderen nehme ich auf dem Handy Feineinstellungen vor: noch etwas hinzoomen, antippen, um den Vogel scharfzustellen – und schliesslich auf den Auslöseknopf drücken. Es ist eine wacklige Angelegenheit – und prompt werden die ersten Bilder völlig unscharf.

 

[IMG 3]

Etwas Übung ist gefragt
Ich versuche es mit einer bewährten Fotografiertechnik. Zur Stabilisierung stütze ich meine Fernglas-Haltehand an der Säule ab und beginne wieder, das Handy einzustellen. Nun aber hüpft der Distelfink aus dem Bild. Also von vorn: Fink suchen, Feldstecher scharfstellen, Handy richtig ausrichten. Dann abdrücken. Und siehe da: Zum ersten Mal wird ein Bild einigermassen passabel. 

In den folgenden Tagen probiere ich weiter aus – und werde schneller und geschickter. Neben den Distelfinken lichte ich auch ein paar andere Vogelarten ab, einmal eine Amsel auf der Spitze der höchsten Tanne in meinem Garten. Es sind keine Bilder, die einen Preis gewinnen könnten – aber immerhin das, was Michael Gerber Erinnerungs- und Belegfotos nennen würde. 

Insgesamt ist der Feldstecher-Aufsatz ein faszinierendes Gadget für Hobbyornithologen. Zwar ist die Verwacklungsgefahr grösser als beim Digiscoping mit dem Fernrohr, das auf einem Stativ befestigt ist. Aber dafür ist man mit dem Feldstecher flexibler und kann auch mal versuchen, aus einigen Metern Distanz einen Schmetterling ins Visier zu nehmen. Wer sich auf das Gerät einlässt und damit pröbelt und übt, wird so sicherlich einige schöne Beobachtungen direkt auf sein Handy bannen können. Und das in besserer Qualität, als es einem Anfänger wie mir aus dem Schutz meiner Gartensäule gelungen ist.

Naturfilmer Andreas Kieling digiskopiert Grosstrappen

[IMG 4]