Korallen sind die Stützpfeiler eines einmaligen Ökosystems. Die Riffe, die sie bilden, bieten Lebensraum für mehr als 4000 Fischarten, Quallen, Krebse, Tintenfische, Muscheln, Schnecken, Seesterne und Pflanzen. Doch die bunten Unterwasserlandschaften sind in Gefahr. Abwässer, Überfischung, Übersäuerung der Ozeane durch CO2 und vor allem die steigenden Wassertemperaturen setzen den Nesseltieren zu. Das Wetterphänomen El Niño verursachte 2016 eine weltweite Korallenbleiche, ein Symptom dafür, dass die Symbiose zwischen Korallen und Zooxanthellen zerstört ist. 

Zooxanthellen sind Algen, die im Gewebe der Korallen leben, sie mit Nährstoffen versorgen und schön bunt färben. Bei zu hohen Temperaturen produzieren die Untermieter Giftstoffe, woraufhin die Koralle sie abstösst, ihre Farbe verliert und nach und nach abstirbt. Theoretisch können sich Korallen von der Bleiche zwar erholen, das setzt aber voraus, dass die Wassertemperaturen rasch wieder sinken und es nicht zu viele andere Stressfaktoren gibt. 

«In manchen Regionen sind in den letzten 30 Jahren etwa die Hälfte aller Korallen abgestorben, viele der übrigen Riffe sind in keinem guten Zustand. Wir befürchten, dass nur wenige Riffe das nächste Jahrhundert erleben werden», sagt Dirk Petersen. Der Meeresbiologe ist Gründer und Direktor der gemeinnützigen Organisation «Secore International», die sich seit 2002 für den Erhalt und die Res­tauration von Korallenriffen einsetzt. 

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Im Meer setzen sich die Minikorallen auf künstlichen Unterlagen
fest, die vor der Besiedelung an die Strömung gewöhnt werden.
  Bild: Paul A. Selvaggio

Sterben Riffe, leidet auch der Mensch
Die düsteren Prognosen beziehen sich auf die Riffe in warmen Gewässern. Kaltwasserkorallenriffe, die es zum Beispiel vor der Küste Norwegens gibt, sind noch verhältnismässig wenig erforscht – auch weil sie meist in gros­sen Tiefen liegen. Trotzdem weiss man schon, dass auch sie in Schwierigkeiten sind. Sie sind insbesondere von der Ozeanversauerung und von den sich ausbreitenden sauerstoffarmen Zonen im Meer bedroht. «Aus­serdem werden sie durch Grundschleppnetze oder andere menschliche Eingriffe zerstört», sagt Petersen. «Da sie langsamer wachsen als ihre tropischen Verwandten, regenerieren sie sich auch nur langsam.» 

Tritt ein, was die Forscher befürchten, hätte das dramatische Folgen – und zwar nicht nur für die Unterwasserwelt. Denn unzählige Fischarten ziehen ihren Nachwuchs im Schutz der Riffe gross. Das Verschwinden dieser Kinderstube, die viele sichere Verstecke vor Fressfeinden bietet, würde sich auf die weltweiten Fischbestände auswirken. Tiere und Pflanzen, die ausschliesslich im Riff leben, würden aussterben. Nur gesunde Riffe aber fungieren als Küstenschutz, indem sie Erosion vermindern und die Wucht von Stürmen abbremsen. Zudem sind Korallenriffe ein enormer Wirtschaftsfaktor, insbesondere für die Fischerei und den Tourismus. 

Um die Riffe zu unterstützen, leisten manche Meeresbiologen «Geburtshilfe». Sie wollen junge Korallen in Riffe einsetzen und nutzen dabei die Tatsache, dass sich Korallen ungeschlechtlich und geschlechtlich fortpflanzen können. Bei der asexuellen Vermehrung siedelt sich ein Korallenast, den zum Beispiel ein Sturm abgebrochen hat, an einer anderen Stelle neu an. Diesen natürlichen Vorgang simulieren inzwischen geschulte Taucher auf aller Welt mit einer rabiaten Methode: Sie brechen bis zu 20 Prozent der Korallenäste einer Kolonie ab. Die abgebrochenen Korallenstücke werden in Unterwassergärten gepflegt und dann an einem neuen Standort angeklebt. Läuft es gut, entsteht so mit der Zeit ein neues Riff. 

Diese Methode ist relativ einfach und kostengünstig, aber nicht ohne Nachteile. Man kann so nur eine sehr begrenzte Anzahl neuer Korallen schaffen, zudem sind alle Nachkommen Klone, erben also die Schwächen ihrer Elternkolonien. Oft sterben die so angesiedelten Korallen nach einigen Jahren wieder ab.

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Forscher sammeln Korallenspermien und -eizellen, befruchten sie,
ziehen sie im Labor auf und bringen sie dann zurück ins Meer.
Bild: Paul A. Selvaggio

Künstliche Befruchtung soll helfen
Dirk Petersen setzt deshalb mit «Secore» auf sexuelle Vermehrung. «Das bietet die Möglichkeit, sehr viele genetisch unterschiedliche Korallen zu züchten», erklärt er. So steigt die genetische Vielfalt und die Korallen können sich eher an zukünftige Bedingungen anpassen. Getestet wird diese Art der «Wiederaufforstung» gerade in Pilotprojekten in Curaçao, Mexiko und Guam. Die Wissenschaftler sammeln Spermien und Eizellen der Korallen aus dem Meer, befruchten sie im Labor und hältern die Larven. Wenn die Larven bereit sind, sich anzusiedeln und sich in einen kleinen Korallenpolypen zu verwandeln, brauchen sie Nährsubstrat, um sich darauf festzusetzen. Nach einer Wachstumsphase in Unterwasser-Aufzuchtsstationen setzen Petersen und seine Mitarbeiter die Babykorallen in Riffen aus. 

Andere Wissenschaftler untersuchen derzeit das Phänomen, dass einige Korallenarten offenbar besser mit Stress umgehen können als andere. Langfristig wäre es also denkbar, weniger anfällige Nesseltiere zu züchten. «Das ist aber nicht so einfach, da man unter anderem Faktoren wie die ökologische Funktion und die Wachstumsrate berücksichtigen muss», sagt Petersen. 

Belüftung und Sonnenschirme
Es gibt auch Ansätze, den Korallen zu helfen, indem man ihre Umgebung verändert. 2016 stellten kalifornische Wissenschaftler eine Methode vor, bei der Luftblasen durch das Meer gepresst werden, um das CO2 aus dem Wasser zu entfernen und die Versauerung zu mindern. So könnte man zumindest einen der Stressfaktoren beseitigen. Künstliche Riffe, die das Ansiedeln der Korallen erleichtern, könnten zudem neue Biotope schaffen oder bestehenden beim Überleben helfen. 

Einige Forscher diskutieren sogar die Möglichkeit, künstlich produzierte Wolken wie eine Art Sonnenschirm über den Riffen aufzuspannen. Ob solche Methoden jemals umgesetzt werden, ist fraglich – noch ist viel zu wenig über mögliche Nebenwirkungen bekannt. Sicher ist aber eins: Auch mit künstlicher Befruchtung, Superkorallenzuchten oder Luftblasen werden die Korallen sterben, wenn die Wassertemperaturen noch viel weiter ansteigen. Alle Hilfemassnahmen nützen langfristig also nur dann, wenn es gelingt, den Klimawandel und die zunehmende Verschmutzung der Meere zu stoppen.