Wenn Experten heutzutage vom «Fleisch der Zukunft» sprechen, dann meinen die meisten von ihnen nicht Steaks, die in der Laborschale herangezüchtet wurden. Sie meinen – Insekten! Gemäss der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) gibt es über 1900 essbare Insektenarten. Und für über 2 Milliarden Menschen gehören die kleinen Krabbeltierchen schon heute ganz selbstverständlich zum Speiseplan. 

Nicht aus Not – Hühnerfleisch ist oft billiger –, sondern weil Insekten schmecken. Und weil sie gesund sind: Insekten enthalten ähnlich viele Proteine wie Rindfleisch, aber mehr Vitamine, Aminosäuren und Spurenelemente. Bienenlarven zum Beispiel enthalten besonders viel der essenziellen Vitamine A und D. In Thailand gelten Insekten deshalb als Superfood für mangel­ernährte Kinder.

Nicht die beste Wahl
Es gibt vielerlei Gründe, die dafür sprechen, auf Insekten als Nahrungsmittel zu setzen: Sie lassen sich mit einfachsten Mitteln züchten. Sie brauchen kein oder nur sehr wenig Wasser und Landwirtschaftsfläche, pflanzen sich schnell fort und sind extrem effizient: Im Durchschnitt entsteht aus 2 Kilo Futter 1 Kilo Insektenmasse (Rinder brauchen circa 10 Kilo Futter, um 1 Kilo Fleisch zu produzieren). Zudem können sie tierfreundlich und ohne Antibiotika in Massen gehalten werden.

In der Schweiz sind zwar die Zucht und der Verzehr von Insekten erlaubt, nicht aber deren Verkauf als Lebensmittel. Das soll sich nun ändern: Im Entwurf des revidierten Lebensmittelgesetzes – bis Mitte Oktober läuft die öffentliche Anhörung – sind erstmals Insekten aufgelistet. Vorerst drei Arten: die als Mehlwurm bekannte Larve des Mehlkäfers, das Heimchen (eine Grillenart) und die Europäische Wanderheuschrecke. Derzeit läuft eine umfassende Risikobewertung der drei Arten. Fällt diese positiv aus, können sie ab Mitte 2016 in Restaurants und im Handel angeboten werden. Bis auf Weiteres müssen sie dabei als Insekten erkennbar sein. «So wird der Gesundheits- und Täuschungsschutz gewährleistet», erklärt Nathalie Rochat, Sprecherin des Bundesamts für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV).

In Thailand und anderen Ländern, in denen traditionell Insekten gegessen werden, wären wohl andere Insekten auf der Liste gelandet. Denn die vom BLV auserkorenen Tiere werden gemeinhin mit Grundnahrungsmitteln des Menschen gefüttert. Dabei gibt es einen Wertstoffverlust. Bei Grille und Heuschrecke fallen zudem Abfälle an: Chitinpanzer, Flügel und Beine kann der Mensch nicht verdauen. Und: Mehlwürmer können den Zwergbandwurm auf den Menschen übertragen, weshalb sie nicht roh verzehrt werden sollten. Mit diesen drei Insektenarten hätten im kleinen Massstab bereits Erfahrungen gesammelt werden können, begründet Rochat die Auswahl. 

Das liegt indes daran, dass die Organisatoren von Testessen und Events ihre Insekten mangels Alternative kurzerhand in Pet Shops gekauft haben. Mehlwurm, Heimchen und Wüsteninsekten werden seit Jahrzehnten als Nutz- und Haustierfutter sowie Angelköder gehandelt. Sie lassen sich leicht und günstig selber züchten. Für die menschliche Ernährung müssten sie jedoch nach dem Hygienestandard für die Lebensmittelherstellung produziert werden, so Rochat. Tierfutter-Insekten sollte man nicht essen. Denn anders als bei Nutztieren ist die Fütterung von Tierfutter-Insekten nicht geregelt. So ist der Darm­inhalt ein potenzielles Gesundheitsrisiko.  Gemäss BLV besteht die Möglichkeit, die Liste der zugelassenen Insektenarten zu erweitern. Dazu brauche es Belege, dass die Lebensmittelsicherheit gewährleistet ist, sagt Rochat. «Es gilt der generelle Grundsatz, dass nur Lebensmittel in Verkehr gebracht werden dürfen, die sicher, also zum Konsum geeignet und nicht gesundheitsschädlich sind.»

Drohnen werden tonnenweise vernichtet
Intensiv am Thema forscht die Zürcher Fachhochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) in Wädenswil unter der Leitung von Jürg Grunder. Er betont, dass ausschliesslich Projekte mit Insekten laufen, die nicht mit Grundnahrungsmitteln des Menschen gefüttert werden. Und zwar mit holometabolen Insekten; Insekten also, die eine vollständige Metamorphose von der Larve über die Puppe zum ausgewachsenen Insekt machen. «Wir empfehlen den Verzehr im Puppenstadium», sagt Grunder. Puppen hätten keinen Darminhalt und seien nahezu vollständig verwertbar. 

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Herausgeschnittene Drohnenwaben kann man in der Pfanne rösten.
  Bild: Andreas Krebs>

Vorerst will die ZHAW drei zusätzliche Arten auf die offizielle Liste der essbaren Insekten bringen: die Honigbiene und die beiden Schmetterlingsarten Maulbeerspinner und Eri-Seidenspinner. Bei den Bienen eignen sich laut der ZHAW Drohnenlarven – männliche Bienenbabys. Weil sie besonders stark von Varroa-Milben, dem Bienenfeind Nummer 1, befallen sind, schneiden viele der 16 000 Schweizer Imker Drohnenwaben aus dem Stock. Die Praxis ist umstritten. Weil sie – wie jeder Eingriff – Stress verursacht im Volk. Und weil Drohnen wichtig sind für die Harmonie, das Stockklima und die Genvielfalt. Dennoch vernichten Imker in der Schweiz gemäss Jean-Daniel Charrière vom Zentrum für Bienenforschung 50 bis 100 Tonnen Drohnenlarven pro Jahr. Besser würde man sie essen, findet Grunder. «Imker könnten so ein Zusatzeinkommen generieren.» Dem entgegen steht laut Bienenspezialist Charrière, dass der Aufwand relativ gross sein dürfte.

Der Maulbeerspinner wird in der Schweiz vor allem gezüchtet, um Seide zu gewinnen. Heute gibt es 14 Seidenproduzenten im Land. Wenn sich die Larve des Maulbeerspinners verpuppt, wird sie getötet und weggeworfen. Gemäss Ueli Ramseier, grösster Produzent und Präsident von Swiss Silk, um die 100 Kilogramm pro Jahr. «Dabei wären sie ein hervorragendes Produkt», sagt Ramseier, der lebensmitteltechnologische Untersuchungen hat machen lassen. Er hat auch schon Pläne in der Hand, wie die Puppen maschinell gewonnen werden könnten. «Sie als Lebensmittel zu verkaufen, würde unsere Wertschöpfung erhöhen», sagt er im Namen der Seidenproduzenten. Swiss Silk will nun zusammen mit der ZHAW den Maulbeerspinner auf die Liste der essbaren Insekten bringen. Gemäss Ramseier ist die Insektenzucht ein idealer Nebenerwerb für Bauern: «Das Risiko ist klein, denn die Investitionen sind im Vergleich etwa zur Schweinezucht sehr gering.»

Raupen in der Wohnung halten Der dritte Vorschlag der ZHAW ist der Eri-Seidenspinner – laut Grunder eines der weltweit am häufigsten für die menschliche Ernährung gezüchteten Insekten. «Es ist ideal für urbane Farmer.» Im Sommer können die Raupen draussen auf lebenden Futterpflanzen, etwa Kirschlorbeer, gehalten werden, wie Freilandversuche auf der Hardturmbrache zeigen. Dazu brauche es einzig ein Netz, um die Raupen vor Ameisen und anderen Feinden zu schützen, sagt Grunder. Im Winter könnten die Raupen in der Wohnung gehalten werden (in Kunststoffboxen oder an lebenden Sträuchern). Der Zeitbedarf sei minim, man müsse nur für genug Futternachschub sorgen. Wie beim Maulbeerspinner ist der Kot der Raupen sehr stickstoffhaltig und damit ein guter Dünger. Sobald sich die Raupen verpuppt haben, können sie geerntet und direkt zubereitet (wie Fleisch) oder eingefroren werden. 

Die ZHAW-Forscher entwickeln zurzeit Anwendungen, welche die Insektenzucht für jedermann ermöglichen soll. Denn umweltfreundlicher und frischer als direkt vom eigenen Strauch gepflückt, bekommt man seine Extraportion Eiweiss nirgends.

Am Donnerstag, 3. September, findet an der ZHAW in Wädenswil ZH die 2. Schweizer Tagung zum Thema Insekten als Nahrungsmittel statt.  Infos: www.zhaw.ch -> nach «Skyfood» suchen