«Riesenschlange verschlingt Kind, Bauer von Anakonda verspeist, Baby in Magen von Python gefunden.» In der Regenbogenpresse tauchen – meist begleitet von etwas unscharfen Fotos – regelmässig Horrorgeschichten von riesigen Schlangen auf, die irgendwo im fernen Dschungel einen Menschen mit Haut und Haaren gefressen haben sollen. Wie aber sieht es in der Realität aus? Können Schlangen tatsächlich einen Menschen überwältigen und verschlingen? 

Betrachtet man ihre Anatomie, dann sind lediglich vier Schlangen in der Lage, zumindest Kleinwüchsige oder Kinder «am Stück» herunterzuschlucken, nämlich die sogenannten «Big Four»: Grosse Anakonda, Netzpython, Tigerpython und Nördlicher Felspython. Bei diesen können einzelne Exemplare die 6-Meter-Marke überschreiten, sie gehören damit zu den Giganten unter den rund 70 bekannten Riesenschlangenarten.

Wenn es um die Länge geht: Selten wird so viel gelogen wie bei Anakonda und Co. So tauchen im Internet immer wieder Sensationsmeldungen von gewaltigen Riesenschlangen auf, deren Länge 15 oder gar 20 Meter und mehr betragen haben soll. Dass aber Exemplare dieses Kalibers tatsächlich existieren, ist mehr als zweifelhaft. Laut dem Guinness-Buch der Rekorde ist immer noch ein 10 Meter langer Netzpython an erster Stelle geführt. Dabei handelt es sich um ein Weibchen, das 1912 auf der indonesischen Insel Sulawesi gefangen wurde.

In Südafrika und auf den Philippinen wird von grausigen, aber echten Fällen berichtet 
Wer sich die wenigen gut dokumentierten Fälle anschaut, in denen Riesenschlangen Menschen angegriffen haben, stellt fest: Die Gefahr, die von diesen Reptilien ausgeht, wird meist gewaltig übertrieben und grenzt teilweise an Hysterie. Ganz von der Hand zu weisen, ist sie allerdings nicht: Erst kürzlich wurden in Kanada zwei Buben von einem Felsenpython im Schlaf erwürgt. Im Laufe der Jahre sind sogar einige wenige durch glaubhafte Zeugenaussagen bestätigte Fälle bekannt geworden, in denen Menschen von Riesenschlangen verschlungen wurden. Insbesondere Kinder sind schon mehrfach Pythons oder Anakondas zum Opfer gefallen.

So wurde 1979 im Norden Südafrikas ein dreizehnjähriger Hirtenjunge von einem viereinhalb Meter langen Felsenpython attackiert. Ein zweiter Hirtenjunge, der den Angriff der Riesenschlange beobachtet hatte, rannte sofort ins nächste Dorf, um Hilfe zu holen. Als er jedoch nach zwanzig Minuten mit zwei Männern zum Ort des Geschehens zurückkehrte, war es bereits zu spät. Der attackierte Junge war bereits vollständig vom Python verspiesen worden. Die Männer schlugen daraufhin so lange mit Stöcken auf die nahezu grotesk aufgeblähte Schlange ein, bis diese die bereits stark eingespeichelte Leiche des Jungen wieder hervorwürgte.

Ein weiterer Bericht über eine menschliche Schlangenmahlzeit stammt von der philippinischen Insel Mindoro. Dort hatten Dorfbewohner 1998 im Dschungel einen etwa sieben Meter langen Netzpython mit ungewöhnlich prall gefülltem Leib entdeckt. Nachdem die Filipinos das Tier getötet und den Körper aufgeschnitten hatten, machten sie eine grausige Entdeckung: Im Verdauungstrakt des Reptils befand sich ein erwachsener Mann, der von seinen Verwandten am Tag zuvor als vermisst gemeldet worden war. Die Haut des Opfers war bereits stark von der Magensäure verätzt. Am linken Fuss fanden sich Biss-Spuren. 

Von dieser Szenerie kursiert gar ein Bild im Internet, das nach Ansicht von Experten tatsächlich als echt einzustufen ist. Auf dem Foto ist zu erkennen, dass sowohl die Jeans als auch das T-Shirt des Getöteten zum Zeitpunkt des Fundes bereits durch die säurehaltigen Verdauungssäfte gebleicht waren. Doch da wäre noch eine weitere Frage: Wie schafft es eine Riesenschlange eigentlich, bei einem doch relativ kleinen Maul einen Menschen am Stück herunterzuschlucken? Die Antwort ist simpel: Riesenschlangen verfügen über zwei flexible Unterkiefer, die sich aus dem Oberkiefer aushängen können und dadurch dem Schlangenmaul eine unglaubliche Flexibilität verleihen. Und so ein aushängbarer Kiefer erleichtert das Schlucken von grossen Brocken natürlich ganz enorm und erlaubt es einer Riesenschlange, fast jedes Lebewesen mit Haut und Haaren zu verschlingen. 

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Eine Grosse Anakonda verschlingt ein Wasserschwein am Stück.
Bild: EvaK/wikipedia.org (Ausgestellt in Frankfurt am Main) 

Um ihren Kiefer nach der Mahlzeit wieder einzurenken, müssen Python und Co. einfach ein paarmal herzhaft gähnen und schon sitzen alle Bestandteile des Schädels da, wo sie hingehören. Ist das vermeintliche Nadel­öhr des Schlundes erst einmal erfolgreich passiert, muss der Magen-Darm-Trakt mit der herkulischen Aufgabe beginnen, den überdimensionalen Fleischklops zu zerkleinern. 

Bei Riesenschlangen produziert dazu der Magen zunächst einmal grosse Mengen einer starken Salzsäurelösung, die innerhalb kürzester Zeit das Beutetier restlos in einen mehr oder weniger homogenen Brei zersetzt. Um der gewaltigen Nährstoffmenge Herr zu werden, schwellen im Schlangenkörper innerhalb weniger Stunden Darm und Leber auf das Dreifache ihrer Normalgrösse an. Dabei kommen die Reptilien allerdings ohne Zellvermehrung aus. Die Vergrösserung wird alleine durch erhöhten Blut- beziehungsweise Lymphdruck in einer Art «Aufblaseffekt» bewirkt. 

Riesenschlangen können nach dem grossen Fressen ihr Herz wachsen lassen
Natürlich bedeutet das Verdauen einer gros­sen Beute auch für Herz und Lunge der Riesenschlangen Schwerstarbeit, verbraucht doch der Verdauungsvorgang selbst rund vierzig Mal mehr Sauerstoff als im Ruhezustand. Das ist durchaus vergleichbar mit der Stoffwechselleistung eines Rennpferdes in vollem Galopp. Allerdings müssen Rennpferde diese Performance nur wenige Minuten durchhalten. Riesenschlangen müssen diesen Zustand dagegen schon ein paar Tage lang erbringen. 

Wie die Schlangen das schaffen, fand 2005 ein Forscherteam der University of California heraus: Sie lassen einfach ihr Herz wachsen. Mithilfe der vermehrten Produktion eines bestimmten Proteins steigern die Reptilien bereits kurze Zeit nach dem Fressen ihre Herzmuskelmasse um satte 40 Prozent, wodurch die Pumpkapazität des Herzens drastisch erhöht wird. Dadurch wiederum können die riesigen Tiere pro Herzschlag bis zu 50 Prozent mehr Blut durch ihre Gefässe pumpen als unter normalen Bedingungen, was sich wiederum positiv auf die Sauerstoffversorgung des Körpers und andere Lebensvorgänge auswirkt. 

Mit dem Beenden des Verdauungsprozesses schaltet die Schlange aus ökonomischen Gründen ihre Körperfunktionen sofort wieder auf «Normal-Modus» zurück: Alle aufgepumpten Organe wie Darm, Herz oder Leber schrumpfen dann genauso schnell wieder auf Normalmass zurück, wie sie zuvor gewachsen sind.