Linda Tucker verfolgte einst eine glamouröse Karriere in Mode und Marketing. 1991 aber hatte sie ein einschneidendes Erlebnis: Sie wurde von der indigenen Medizinfrau Maria Khosa vor einem Rudel von 24 Löwen gerettet. In dieser Nacht sei ein weisses Löwenbaby zur Welt gekommen, erfuhr sie später. Fortan verschrieb Tucker ihr Leben dem Schutz der Löwen. Ihre Karriere hängte die heute 56-jährige Südafrikanerin an den Nagel und gründete den Global White Lion Protection Trust, der es seither in Zusammenarbeit mit der indigenen Bevölkerung geschafft hat, ein Schutzgebiet für die seltenen, in der Natur aber immer wieder auftauchenden weissen Löwen zu errichten. Tucker ist Autorin mehrerer Bücher und wurde für ihr Engagement mehrfach ausgezeichnet. Ihr Kampf ist aber noch lange nicht zu Ende.

Linda Tucker, werden Sie nie müde, Ihre Geschichte zu erzählen?
(Lacht) Ich werde nicht müde, aber ich denke mir häufig, dass es vielleicht noch einen anderen Weg gibt, den Menschen näherzubringen, um was es in meinem Leben geht. Letze Woche sprach ich vor dem britischen House of Lords und dachte mir, ich versuche es mal anders. Doch bald schon rief einer der Lords: «Erzählen Sie uns, wie Sie von dieser wunderbaren Medizinfrau vor den Löwen gerettet wurden!» Da wurde mir klar, dass diese Geschichte der Grundstein unseres ganzes Projektes ist.

Inwiefern?
Weil ich von ihr lernte. Wie konnte sie, eine Grossmutter mit einem Baby auf dem Rücken, durch ein Rudel wütender Löwen gehen und sie ruhig stimmen? In der Nacht, zu Fuss, ohne Taschenlampe? Ihre Antwort war: «Es bestand keine Gefahr. Die Löwen sind meine Familie.» Wir seien die Aggressoren gewesen, als wir mit unserem Auto in ihr Territorium eindrangen. Das war für mich der Wendepunkt. Maria hat meine Sichtweise komplett umgedreht. Sie konnte durch die Löwen gehen, weil sie ihnen Liebe und Respekt entgegenbrachte und sie gaben ihr dieselbe Liebe und denselben Respekt zurück. Das ist es, was ich als «Löwenherz» bezeichne. Eine Furchtlosigkeit, die von Liebe und Respekt zu unserer Natur kommt und die es uns ermöglicht, die Welt zu verändern. Unser Projekt beruht darauf.

Die Löwen sind meine Familie und ich tue alles, um sie zu schützen.

Linda Tucker

Sind die weissen Löwen eine Unterart des Löwen?
Die Klassifizierung in Arten und Unterarten ist menschgemacht, um zu bestimmen, was geschützt werden soll und was nicht. Die weissen Löwen wurden noch nicht klassifiziert, denn das ist ein langer Prozess, der bis zu 30 Jahre dauern kann. Wir haben aber schon viel dazu beigetragen. Nach sieben Jahren Forschung konnten mein Partner, ein Löwenökologe, und sein Team den genetischen Code identifizieren, der die weissen Löwen weiss macht und damit beweisen, dass sie keine Albinos sind. Damit können wir argumentieren, dass es sich um eine seltene Unterart oder ein seltenes Erscheinungsbild von Panthera leo handelt und deshalb als solches klassifiziert werden sollte.

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Wie viele weisse Löwen gibt es zu Zeit?
In Timbavati, dem einzigen Ort der Welt, wo weisse Löwen vorkommen, gibt es zur Zeit weniger als 13. Die Meisten von ihnen sind in unserem eingezäunten Schutzgebiet. Jenseits unserer Grenzen dürfen Löwen aber legal gejagt werden. Deshalb wollen wir alle Löwen schützen. Jeder goldene Löwe, der getötet wird, könnte der Letzte sein, der den genetischen Code der weissen Löwen trägt.

Sie kämpfen explizit gegen die Gatterjagd. Können Sie uns einige Zahlen dazu nennen?
Da müssen Sie sich auf etwas gefasst machen. Das ist kein schönes Thema. Es gibt mindestens 300 Zuchtbetriebe in denen mindestens 8000 Löwen unter furchtbaren Bedingungen gehalten werden. Es sind dieselben Löwen, die als Babys unter Touristen herumgereicht werden, die dafür bezahlen, mit ihnen zu kuscheln oder spazieren zu gehen. Dieselben Löwen werden später in Käfige gesteckt und man lässt sie für den Knochenhandel verhungern. Oder sie werden gefüttert, aber dann in der Trophäenjagd getötet. Und das ist alles legal. Meist werden die Jungen an einem Ort zum Streicheln angeboten und dann später an einen anderen Ort gefahren, so dass niemand merkt, was wirklich vorgeht. Drum ist jeder Ort, an dem man mit Löwenbabys kuscheln kann, eine Schande.

Was tun Sie dagegen?
Wir wollen diese Tötungsindustrie stoppen. In den frühen 90er-Jahren war ich alleine, heute arbeite ich mit 41 Naturschutzgruppen zusammen. Wir sind eine starke Koalition. Wir kämpfen dagegen vor der Regierung, versuchen, die Gesetzgebung zu ändern und nutzen jedes uns zur Verfügbarkeit stehende Werkzeug, auch die sozialen Medien.

Jeder Ort, an dem man mit Löwenbabys kuscheln kann, ist eine Schande.

Linda Tucker

Was passiert mit all den Löwen, wenn die Zuchtfarmen stillgelegt würden? Könnte man sie überhaupt in die Freiheit entlassen?
Es gibt heute keine Möglichkeit, die Löwen aus diesen Todescamps zurück in die Wildnis zu entlassen. Ich tat dies einmal, im Jahr 2000, da rettete ich eine weisse Löwin aus einem solchen Camp. Ihre Eltern stammten aus der Wildnis, deshalb war dies möglich. Seitdem werden die Löwen aber in diesen Camps herangezüchtet und sie sind genetisch beeinträchtigt, sie müssen hungern und unglaubliche Qualen leiden. Einige von ihnen werden als Botschafter die Menschheit daran erinnern können, was falsch gelaufen ist, in den meisten Fällen aber wird es das Humanste sein, ihren Geist – mit Liebe – wieder freizugeben. 

Was entgegnen Sie Menschen, die sagen, dass es diese Industrie braucht, denn sie bringt Geld und Wohlstand?
Gier ist keine Rechtfertigung dafür, die Hölle auf Erden zu schaffen.

Linda Tucker gibt einen Ted Talk

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Hat sich das Problem mit dem Aufstieg von sozialen Medien wie Instagram verschlimmert? Dort werden Tausende von Selfies mit Wildtieren gepostet. Das gibt viele Likes und Follower.
Ja, es ist zu einem gewissen Grad schlimmer geworden in den letzten Jahren. Die Technologie selbst ist aber neutral. Es geht darum, wie wir sie benutzen. Soziale Medien sind ein wichtiges Werkzeug um einen Paradigmenwechsel von einer herzlosen Ausbeutung der Natur zu einem liebevollen Umgang mit unserem Planeten herbeizuführen.

Vielleicht wissen diese Menschen gar nicht, was sie damit anrichten.
Das mag stimmen, aber wir leben im Informationszeitalter. Man wählt, was man wissen will und was nicht. Wer auf sein Herz hört, weiss, dass es keine richtige Tierliebe ist, wenn man mit einem wilden Tier kuschelt. Man ist dabei Teil der Konsumkultur, die auf Habsucht und Gier basiert. Man zahlt dafür. Echte Liebe ist, dem Tier zu dienen und in seinem besten Interesse zu handeln.

Gier ist keine Rechtfertigung dafür, die Hölle auf Erden zu schaffen.

Linda Tucker

Seit Jahrzehnten schon sind Löwen gefährdet und man versucht, sie zu schützen. Jeder weiss um die Problematik, Löwen sind eine Flagschiffart des Artenschutzes. Trotzdem nimmt ihre Zahl weiter ab. Verlieren Sie nicht langsam die Hoffnung?
Mein ganzes Wissen beruht auf dem Prinzip des Löwenherzens. 2012 gründete ich die «Academy for Lionhearted Leadership». Ich bringe den Teilnehmern bei, dass die Hoffnung zu verlieren eine sehr bequeme Haltung gegenüber eine unbequemen Wahrheit ist. Wir können nämlich alle eine Beitrag leisten, sobald wir erkennen, dass wir Teil des übergeordneten Wohls sind. Ein Ökosystem dient dem übergeordneten Wohl. Wenn wir unser Ego hinter uns lassen, verlieren wir das Gefühl der Hoffnungslosigkeit.

Sie erwähnen immer wieder das Löwenherz. Ist das nicht eine sehr anthropozentrische Sichtweise? Ist es nicht gefährlich, ein Tier zu vermenschlichen, auch wenn man es schützen will?
Das ist eine westliche, rationalistische, wissenschaftliche Sichtweise, die sagt, dass Menschen anders als die Natur sind. Das ist nicht meine Sichtweise. Es ist nicht die Sichtweise der indigenen Völker, mit denen ich arbeite. Es ist nicht die Sichtweise von Maria, die mich vor den Löwen rettete. Sie sehen die Natur als einen Teil von sich, als ihre Familie, als gleichwertig oder sogar wertvoller, denn die Löwen sind Könige und Königinnen. Ich glaube, das es Menschen gibt, die löwengleich sein können. Die Löwen sind meine Familie und ich tue alles, um sie zu schützen. Wer aber abgetrennt von den Löwen ist, kann kein Löwenherz haben.

Zum Schluss noch: Was ist Ihre wichtigste Botschaft?
Löwen sorgen für das Gleichgewicht im Ökosystem. Weisse Löwen bringen also ein Gleichgewicht, was man als ein Konzept von Frieden auf Erden verstehen kann. Das ist es, was Löwen für mich bedeuten. Sie stellen das Gleichgewicht und die Harmonie in der Welt wieder her und deshalb können Menschen von ihnen lernen. Löwenbeherzte Menschen können von den Löwen lernen.