Als beliebte Beutetiere müssen sich Raupen einiges einfallen lassen, um sich vor Feinden zu schützen: Sie tarnen sich oder warnen durch grellen Farben, haben Brennhaare oder richten sich zu Drohgebärden auf. Einem bislang unbekannten Schutzmechanismus sind Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für chemische Ökologie in Jena auf die Spur gekommen: Tabakschwärmerraupen atmen einen Teil des hochgiftigen Nikotins, das sie mit der Nahrung aufnehmen, wieder aus und schrecken dadurch räuberische Spinnen ab.

Die Forscher hatten im Darm von einigen Raupen ein Enzym stillgelegt, das normalerweise durch die Aufnahme von Nikotin aktiviert wird. Zum Vergleich liesen sie andere Raupen von Tabakpflanzen fressen, die kein Nikotin mehr bilden konnten. Nun konnten die Forscher im Freilandexperiment das Schicksal von Raupen, die auf nikotinfreien Pflanzen fressen, mit dem von Tieren vergleichen, die zwar Nikotin mit ihrer Nahrung aufgenommen hatten, die es aber mangels des Enzyms nicht weiterverarbeiten können.

Unerwartetes Auftauchen einer Spinne
Zum Erstaunen der Forscher tauchten im Experiment Wolfsspinnen (Camptocosa parallela) auf – und die Räuber interessierten sich nicht nur für Raupen, die nikotinfreie Nahrung zu sich genommen hatten, sondern auch für die Raupen, die das Nikotin im Körper nicht weiter verarbeiten konnten. Das Enzym musste also ein wichtiger Teil eines Abwehrmechanismus gegen diese Spinne sein.

Weitere Analysen ergaben, dass das Enzym in Tabakschwärmerraupen kleinste Mengen des Nikotins aus der Blattnahrung in eine Transportform umwandeln kann, um es dann über die Körperflüssigkeit in das Atmungssystem zu leiten. Über eine Art Luftkanäle an den Seiten des Raupenkörpers gibt die Raupe dann eine Art Anti-Spinnen-Signal ab. Andere Feinde der Raupen, wie Weichwanzen oder Ameisenlöwen, sind hingegen  unempfindlich gegen dieses Abwehrsignal.

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In der Natur würde dies nicht passieren: Tabakschärmerraupen
schützen sich mittels giftigem Atem gegen Wolfsspinnen.
Bild: Pavan Kumar, MPI für chemische Ökologie

Im Labor wäre die Entdeckung nicht gelungen
Als Abwehrstoff der Wirtspflanze ist Nikotin für die Raupen so giftig, dass sie ihn nicht in ihrem Gewebe einlagern können. Sie scheiden deshalb das meiste davon wird wieder aus. Dass sie einen winzigen Teil davon für ihre eigene Verteidigung einsetzen, hat die Wissenschaftler überrascht. «Dieser Fall von schlechtem toxischem Atem zur Abwehr von Feinden ist bislang einzigartig», sagt Ian Baldwin aus der Abteilung Molekulare Ökologie des Max-Planck-Instituts für chemische Ökologie gemäss der Medienmitteilung.

Das Beispiel der Wolfsspinne unterstreicht gemäss den Wissenschaftlern die Bedeutung ihres Forschungsansatzes, der molekularbiologische Methoden mit Freilandforschung und Beobachtungen im Ökosystem verbindet. Im Labor wären diese Erkenntnisse nicht möglich gewesen, denn als möglicher Frassfeind der Raupen war die Spinne den Wissenschaftlern bislang völlig unbekannt.

Die Ergebnisse der Studie wurden am 30.12.2013 in Proceedings of the National Academy of Sciences (PNAS) veröffentlicht.