Djjas Video war ein Hit: Ein wackliges Kamerabild zoomt aus dem Hochhausfenster auf das schneebedeckte Hausdach gegenüber. Auf dem First steht ein Rabe auf einem Konservendosendeckel und verlagert sein Gewicht nach vorne. Der Deckel gerät in Schwung, saust mitsamt dem flügelflatternden Vogel die Dachschräge hinunter, sodass der Schnee auf alle Seiten stiebt. Unten angekommen krallt sich der Rabe den Deckel wieder, flattert hoch und startet die Abfahrt von Neuem. Es scheint, als hätte er Freude an seiner Snowboard-Kreation, es scheint, als würde er spielen. Mehr als zwei Millionen Mal wurde das kurze Video aus dem russischen Uralgebiet im Internet angeklickt. Und es hat auch das Interesse derjenigen Wissenschaftler geweckt, die immer dann genau hinschauen, wenn Tiere spielen.

«Crowboarding»: Dieses Video zeigt einen snowboardenden Rabenvogel und war ein viraler Hit.

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Spiel – das ist ein Begriff, der uns Menschen nur zu bekannt ist; wir erkennen intuitiv, ob Kinder am Spielen oder am Streiten sind, wissen, dass der Verlierer der Monopoly-Partie nicht wirklich Bankrott geht und dass wir nicht wirklich einen Menschen auf dem Gewissen haben, wenn wir Super Mario in einen digitalen Abgrund fallen lassen. Wie aber erkennen wir, ob Tiere auch spielen? Wie unterscheiden wir bei ihnen, die anders kommunizieren als wir, zwischen Spass und Ernst? 

Keine Zeit für sinnlosen Spass
Antworten auf diese Fragen zu finden, ist gar nicht so einfach. «Spiel ist etwas, das auf den ersten Blick sinnlos wirkt», sagt Judith Burkart von der Universität Zürich. Die Anthropologin hat sich intensiv mit wissenschaftlichen Publikationen rund um das tierische Spielen befasst. In diesen taucht immer wieder ihr Fast-Namensvetter Gordon Burghardt auf. Der US-Amerikaner ist Professor für Verhaltensbiologie und hat einen anerkannten Kriterienkatalog aufgestellt, der die Frage beantworten soll, wann ein Tier spielt: «Spiel ist wiederholtes, nicht funktionales Verhalten, das sich vom Verhalten in ernsten Situationen unterscheidet sowie spontan und in einem stressfreien Umfeld ausgeübt wird.»

Kriterien, die auf den rutschenden Raben allesamt zutreffen. Nach Burghardts Massstab spielt der Rabe tatsächlich. Da stellt sich die Frage nach dem Wieso. «Spiel verursacht so viele Kosten, das ergibt aus evolutionärer Perspektive gar keinen Sinn», sagt Judith Burkart. In der freien Natur sind Tiere den ganzen Tag damit beschäftigt, genügend Nahrung zu finden, Feinden zu entkommen und sich fortzupflanzen, so dass keine Zeit übrig bleibt für alles «Nichtfunktionale», also auf den ersten Blick Sinnlose. «Also kann man davon ausgehen, dass spielen Vorteile bringt.»

Aber welche? «Eine Idee ist die, dass Tiere beim Spielen für die Zukunft trainieren.» Wer genug mit seinen Artgenossen spiele, habe nicht nur soziale Vorteile, sondern auch motorische, werde durch das Spiel geschickter. So liesse sich etwa das Spielverhalten von jungen Steinböcken erklären, die ganz ohne äusseren Zwang über so steile Felslandschaften hüpfen, dass ab und an einer mitten im Spiel zu Tode stürzt. Das Risiko, so die Wissenschaftler, zahle sich aus, weil die Tiere dadurch später agil genug seien, um Raubtieren auf diesem Terrain zu entkommen. 

Auch Reptilien spielen: Hier ein Komodo-Waran beim «Seilziehen».

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Bonobos sind ungeheuer verspielt
Für Judith Burkart geht die Theorie nicht ganz auf: «Eigentlich spielen Tiere viel zu früh», sagt sie. Sie seien oftmals so jung, wenn sie mit dem Spielen beginnen, dass sich die gelernten Fähigkeiten bis ins Erwachsenenalter längst wieder verlieren. Ausserdem ist nicht jede Form von Spiel bei Tieren ein Muskeltraining. Bonobos etwa gelten neben dem Menschen als die verspieltesten Tiere überhaupt. Diese Menschenaffen kennen alle möglichen Formen von Spiel, sei es allein, mit Wasser, mit Ästen oder in der Gruppe. 

Ein Spiel, das Forscher bei einer Expedition entdeckt haben, ist das «Hang Game», das Hängespiel. Dabei lässt sich ein Jungtier von einem Erwachsenen hoch über dem Waldboden beim Arm oder Bein packen, überlässt ihm die vollständige Kontrolle über sein Schicksal und lässt sich vom Ast baumeln. Offenbar aus purer Freude. Ein rationaler Grund für diesen Vertrauensbeweis ist nicht zu erkennen.

Das «Hang Game» bei Bonobos.

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Laut Judith Burkart ist durchaus einer vorhanden. «Es ist nicht wichtig, etwas ganz Spezifisches zu lernen», sagt sie. Wichtig sei es, das Gehirn auf das spätere Leben vorzubereiten. Jedes Mal, wenn ein Tier spiele, stärke sein Gehirn ganz bestimmte Nervenbahnen. Je mehr davon, desto besser. So entsteht spielerisch ein ganzes Netzwerk aus Nerven. Zu einem überaus wichtigen Zeitpunkt im Leben des Jungtiers: «Spiel tritt nämlich genau dann auf, wenn wichtige Schritte in der Hirnentwicklung gemacht werden.» 

Das Gehirn des heranwachsenden Tieres wird also erst einmal mit Informationen überflutet; irgendwann wird es aber Zeit, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren, dann wird die Heckenschere angesetzt. «Pruning» nennt sich das in der Wissenschaft, das englische Wort für das Zurechtstutzen von Sträuchern. Und genau das passiert laut Burkart nun mit den überflüssigen Nervenverbindungen. «Je nachdem, in welcher Umgebung ein Tier aufwächst, sind andere Verbindungen wichtig.» Deshalb sei die geistige Flexibilität im Hirn des Jungtiers so wichtig. 

Nicht nur Jungtiere spielen
Wie bei uns Menschen ist es auch im Tierreich mehrheitlich der Nachwuchs, der beim Spielen beobachtet werden kann. Aber – wie bei uns – nicht nur. Auch erwachsene Tiere haben offenbar zuweilen ein Interesse am Spielen – sei es aus reinem, sinnfreiem Spass oder zum Zweck, sich körperlich und geistig fit zu halten. Immer wieder etwa hört man von ausgewachsenen Delfinen, die scheinbar zum schieren Vergnügen Wellen reiten. Das ist pure Energieverschwendung, aber es scheint ihnen Spass zu machen. Andere Delfine wurden dabei beobachtet, wie sie Ringe aus Luftblasen machten, durch die sie dann schwammen oder wie sie sich von auftauchenden Walen aus dem Wasser heben liessen.  

Delfine machen Luftblasen-Ringe und spielen mit ihnen.

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Delfine, Menschenaffen, Raben: Dass gerade diese Tiere ein so offenkundiges Spielverhalten an den Tag legen, ist für Judith Burkart keine Überraschung. Je grösser das Gehirn, desto mehr Nervenverbindungen müssen aufgebaut werden und die genannten Tiere gelten mit als die Intelligentesten im Tierreich. Ob es ein Intelligenz-Minimum gibt, was das Spielen anbelangt, ist laut Burkart noch unklar: «Einzellige Tiere haben kein Gehirn, die werden nicht spielen.» Aber sonst traue sie fast allen Tieren die Kapazität zum Spiel zu. Nur: «Bei Tieren, die uns nah sind, erkennen wir das Spiel gut; beim Fisch wird das schwieriger.» 

In der Wissenschaft ist man stets auf der Suche nach überraschenden «Spielern», ungeachtet ihrer Intelligenz oder Grösse. Sogar bei so kleinen Tieren wie Spinnen oder Marienkäfern sind sich einige Forscher sicher, sie beim Spiel gesehen zu haben. Ob es sich bei diesen Beobachtungen wirklich um Spiel handle, da sei sie nicht sicher, sagt Burkart. «Um das zu beurteilen, müsste man noch mehr Informationen haben.» Schildkröten habe man dabei beobachtet, wie sie bunte Bälle vor sich hintrieben. «Vielleicht haben die nur nach den Bällen geschnappt und sie nicht richtig erwischt, sodass sie wieder wegtrieben.» 

Hier spielt eine Schildkröte mit einem Ball.

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