Wenn es draussen kalt und neblig ist, zieht man sich gerne in eine kuschelige, warme Ecke zurück und würde es sich gerne bis zum Frühling gemütlich machen. Das geht nicht nur den Zweibeinern so. Den aufmerksamen unter ihnen – besonders solchen, die im Erdgeschoss wohnen – ist es nicht entgangen: In den Wohnungen hat man es jetzt wieder vermehrt mit Achtbeinern zu tun. In verborgenen, ruhigen Ecken, hinter den Möbeln, in Ritzen und an anderen ungestörten Orten suchen sich Spinnen ein gemütliches Plätzchen, um die kalten Monate hinter sich zu bringen. Sehr zum Entsetzen mancher Hausfrauen und -männer, besonders jener mit Spinnenangst. Denn wer schläft schon ruhig, wenn an der Wand über dem Kopf eine dicke Spinne herumkrabbelt? Das Tier könnte sich ja in der Nacht abseilen!

Das Problem löst sich in der Regel allerdings von allein. Spinnen, die im Herbst an die Wärme kommen, überleben meist nicht lange. «Unsere Wohnungen sind für sie zu trocken, sie trocknen entweder aus und sterben, oder sie verlassen unsere Räume wieder, um sich eine feuchtere Umgebung zu suchen», sagt Christian Kropf, Spinnenforscher vom Naturhistorischen Museum der Burgergemeinde Bern. Offenbar merken die Krabbeltiere erst in der Wohnung, dass ihnen das Klima dort nicht bekommt. 

Die Krabbeltiere kommen zwar gern an die Wärme, doch viele von ihnen könnten im Winter draussen sehr wohl überleben. Die bekannten Kreuzspinnen, Wolfsspinnen und die beeindruckend grossen Winkelspinnen suchen im Herbst eine Stelle auf, an der sie vor den tiefsten Temperaturen geschützt sind. Dies kann etwa in einer Erdspalte, zwischen Steinen oder unter dem Gerümpel im Gartenschuppen sein. Dort warten sie in Froststarre auf den Frühling. Hauswinkelspinnen werden so bis vier Jahre alt. In unseren Breiten ist die aus dem Mittelmeerraum stammende Zoropsis spinimana eine der wenigen Spinnen, die nur in den Häusern oder in deren Nähe überleben kann.

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 Spinnenforscher Christian Kropf. Bild: Thomas Uhland

Achtbeinige Wetterpropheten
Andere Arten, etwa die Spaltenkreuzspinne, sind ohnehin einjährig und sterben bei Frost; es überleben nur die Eier, aus denen im Frühling eine neue Generation schlüpft. Bei anderen Arten schlüpfen die Jungtiere schon im Sommer oder Herbst. Die erwachsenen Tiere sterben, die Jungspinnen überwintern; bei der Wespenspinne tun sie dies im gut getarnten und sicheren Kokon. Erst im Frühling, wenn es warm wird, verlassen sie diesen und entwickeln sich schnell zu ausgewachsenen Spinnen.

Es ist nicht nur die Kälte, welche die Spinnen in die Häuser treibt. Die wetterfühligen Gliedertiere mögen keine Extremtemperaturen, weder Kälte noch Hitze. Weil sie das Wetter schon weit im Voraus spüren, sagt eine Bauernregel: «Wenn Spinnen in die Häuser kriechen, sie einen kalten Winter riechen.» Doch auch bei Hitze suchen sie gerne ein angenehm kühles Plätzchen. Dass sich Spinnen anders verhalten, wenn schlechtes Wetter im Anzug ist, wussten schon unsere Vorfahren. «Im 18. Jahrhundert waren die Spinnen die besten Wetterpropheten», sagt Spinnenforscher Kropf. So verziehen sie sich in Schlupfwinkel, wenn ein Unwetter naht. 

Spinnen hören nichts und sehen meist schlecht. Umso sensibler sind ihre anderen Sinnesorgane. Sie verfügen über bis zu 4000 hochempfindliche Seismographen an den Füssen, über die sie selbst geringste Erschütterungen ihrer Umgebung, etwa durch eine in der Nähe spazierende Fliege, wahrnehmen. Mit ihren Tarsalorganen ertasten sie sehr feinfühlig Feuchtigkeits- und Temperaturschwankungen und suchen in der (für sie zu trockenen) Wohnung die feuchteste Stelle auf. 

Das bekommt ihnen allerdings nicht immer gut, denn diese Stelle ist häufig die Badewanne. Hauswinkelspinnen beispielsweise können auf glatten Flächen nicht klettern und bleiben in der Wanne gefangen. Wenn Spinnenphobiker dann am Morgen verschlafen ins Badezimmer torkeln, ist ihr Entsetzen gross. Und der ungebetene Eindringling wird mit der Brause in den Abfluss und damit ins Jenseits befördert. 

«Runterspülen ist die schlechteste Lösung», sagt Kropf. Etwa gleich schlecht wie mit dem Staubsauger einsaugen oder mit Insektenspray vergiften. In allen Fällen sterben die Tiere qualvoll. Am besten sei es, die Spinne einzufangen und aus dem Fenster zu befördern. So kann sie sich auch bei frostigem Wetter ein Versteck suchen und dort den Frühling abwarten. Ein Glas über das Tier stülpen und einen Karton darunterschieben – so ist es sicher eingesperrt, und man hat sogar noch Gelegenheit, das faszinierende Wesen aus der Nähe zu betrachten.

Unverwüstlich und ganz anders
«Spinnen sind in vielerlei Hinsicht bestaunenswert», meint nämlich Christian Kropf. Etwa in ihrer Fähigkeit, bis zu acht verschiedene Spinnfäden für unterschiedliche Verwendungen zu spinnen, etwa für die exakt konstruierten Radnetze. Zwar ist es seit letztem Jahr möglich, Spinnfäden künstlich herzustellen. «Doch ist es bis heute nicht klar, woher die einzigartige Kombination von Festigkeit und Dehnbarkeit kommt.»

Weltweit sind nicht weniger als 45 000 Spinnenarten bekannt, davon in der Schweiz rund 1000. «Doch man schätzt, dass mindestens ebenso viele noch unbekannt sind – einige davon auch in der Schweiz», sagt Kropf. Dabei sind sie wahre Survival-Spezialisten. Sie krabbeln seit einigen Hundert Millionen Jahren über den Planeten und haben eine Reihe von globalen Katastrophen überlebt, während die mächtigen Dinosaurier ausgestorben sind. 

 In Mitteleuropa gibt es keine Spinnen, die einem Menschen gefährlich werden könnten. Trotzdem hält sich in vielen Menschen und den meisten Kulturen eine Angst oder zumindest eine Abneigung gegenüber Spinnen. Christian Kropf erklärt sich dies mit einem uralten Abwehrverhalten des Menschen; in Afrika, wo die menschliche Rasse entstand, leben tatsächlich Spinnen, die einen Menschen töten können. Aber ob das reicht, um die Spinnenphobie vieler Zeitgenossen zu erklären? Vielleicht liegt die Erklärung ja in der einfachen Feststellung des Spinnenforschers: «Die Viecher sind eben ganz anders als wir.»