Spinnen gehören nicht gerade zu den Tieren, die bei uns Menschen übermäs­sige Begeisterung auslösen. Im Gegenteil: Über 30 Prozent der Menschen in Europa leiden unter einer Arachnophobie – sprich, sie haben eine krankhafte Angst vor Spinnen. Aber Spinnen haben auch gute Seiten. Sie vertilgen jede Menge Schadinsekten und werden in naher Zukunft das Leben von vielen Menschen erträglicher gestalten, ihre Gesundheit verbessern und vielleicht sogar ihr Leben retten. 

Genau genommen ist es nicht die Spinne selbst, mit der Schmerzen gelindert oder Schlaganfälle behandelt werden können. Es ist ihr Gift. Und an genügend Spinnengift heranzukommen ist gar nicht so einfach. Mithilfe einer Elektropinzette wird den Spinnen im Labor ein kleiner Elektroschock verpasst. Dadurch verkrampft sich die Muskulatur der Spinnen und sie pressen ein winziges Gifttröpfchen aus ihren Giftdrüsen. Forschende rund um die Welt sind derzeit damit beschäftigt, die Wirkstoffe von Spinnengiften zu untersuchen und herauszutüfteln, wofür sie eingesetzt werden können. Eine kleine Auswahl aktueller Projekte.

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Schmerzmittel
Starke Schmerzen werden in der Medizin meistens mit sogenannten Opioiden bekämpft. Allerdings können Schmerzmittel, wie etwa Morphin, abhängig machen. Hier könnte ein neuartiges Mini-Protein Abhilfe schaffen, das australische Wissenschaftler aus dem Gift der Chinesischen Vogelspinne (Cyriopagopus hainanus), isoliert haben. Dieses Protein namens Huwentoxin-IV bindet an die Schmerzrezeptoren im Körper und blockiert so sehr effektiv den Pfad, der bei Menschen für die Übermittlung von Schmerzen zum Gehirn zuständig ist. Nach Ansicht der Wissenschaftler könnte Huwentoxin-IV künftig die Abhängigkeit vieler Menschen von Opioiden zur Schmerzlinderung verringern.

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Krebsmittel
Möglicherweise können Spinnen in – wenn auch ferner – Zukunft dazu beitragen, die Volkskrankheit Krebs erfolgreich zu bekämpfen. Der irische Zoologe Michel Dugon hat herausgefunden, dass das Gift der sogenannten Falschen Schwarzen Witwe (Steatoda paykulliana), einer Giftspinne, die auch in Europa vorkommt, eine ganz andere Wirkung auf Krebszellen hat als auf gesunde Zellen. Eine Tatsache, die vielleicht neue Möglichkeiten bei der gezielten Krebsbehandlung bieten könnte. Allerdings stehen die Forschenden noch ganz am Anfang ihrer Arbeit, bis zur Marktreife ist es noch ein langer Weg.

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Nothelfer bei Hirnschlag
Weltweit sterben jedes Jahr sechs Millionen Menschen an einem Hirnschlag. Wissenschaftler der Universität von Queensland haben herausgefunden, dass das Gift der Darling-Downs-Trichternetzspinne (Hadronyche modesta) helfen kann, die Hirnschäden nach einem Schlaganfall zu verringern. Die Forschenden haben aus dem Giftcocktail der Spinne ein Eiweissmolekül namens Hi1a isoliert. Hi1a blockiert im Gehirn die Ionenkanäle, die zum Absterben von Nervenzellen führen. Dadurch bietet Hi1a Schutz für bis zu 8 Stunden. Das heisst, wenn einem Schlaganfallpatienten Hi1a verabreicht wird, können schwere Folgen des Schlaganfalls vermieden werden.

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Schädlingsbekämpfung
Vor einigen Jahren haben australische Wissenschaftler entdeckt, dass es sich beim Gift einer grossen Vogelspinnenart namens Selenotypus plumipes um ein äusserst wirksames Insektizid handelt, mit dem man Baumwoll-Kapseleulen bekämpfen kann. Das sind Nachtfalter, deren gefrässige Raupen in südlichen Ländern grosse Schäden in Baumwoll- und Maisfeldern anrichten. Nach Ansicht der Forschenden ist das Gift der Vogelspinne deutlich wirksamer gegen diese Schädlinge als viele herkömmliche Insektizide. Mittlerweile kann man das Spinnengift-Peptid auch synthetisch im Labor herstellen. Und dieses künstlich hergestellte Spinnengift bleibt auch bei Temperaturen von bis zu 30 Grad mindestens eine Woche lang stabil. Die Herstellung in grossen Mengen ist also kein Problem.