Unzählige zusammengezimmerte Holztafeln stecken in der prallen Sonne im hellen Sand, beschriftet mit grossen, farbigen Lettern. Auf den ersten Blick erinnert die Szene an einen Garten mit unterschiedlichen Beeten. Doch der Eindruck täuscht. In Kosgoda, einem verschlafenen Fischerdorf an der Küste Sri Lankas, rund 120 Kilometer südlich des internationalen Flughafens der Hauptstadt Colombo, dreht sich nichts um Salatköpfe oder Kohlrabi, sondern alles um Eier. Schildkröteneier. «54 Eier, 30. April, Loggerhead-Schildkröte», steht auf einer der Holztafeln. Auf jeder weiteren Tafel sind Datum, Anzahl und Art der Schildkröteneier vermerkt. Täglich werden hier Hunderte Eier im Sand vergraben und so ein sicherer Brutplatz geschaffen. Willkommen im Kosgoda Sea Turtle Conservation Project.

«Am Strand von Kosgoda legen unzählige Meeresschildkröten ihre Eier ab. Für die arme Dorfbevölkerung ist der Verkauf der Eier eine wichtige Einnahmequelle. Zwar ist der Handel in Sri Lanka verboten und wird bestraft, doch die Menschen brauchen das Geld und haben oft kein anderes Einkommen», erzählt Dudley Perera, Gründer und Leiter des «Kosgoda-Meeresschildkröten-Schutzprojektes». 

Schildkröteneier und -fleisch gelten in verschiedenen asiatischen Ländern als Delika­tesse oder Heilmittel. Unter anderem deswegen sind Meeresschildkröten vom Aussterben bedroht. «Ich musste einen Weg finden, die illegalen Händler für mein Projekt zu gewinnen. Also begann ich, ihnen die Schildkrö­­­­teneier abzukaufen», erklärt Dudley seine Taktik. Alleine vergangenes Jahr kaufte der gebürtige Singhalese an die 68 000 Stück! 

<drupal-entity data-embed-button="media" data-entity-embed-display="view_mode:media.teaser_big" data-entity-embed-display-settings="[]" data-entity-type="media" data-entity-uuid="317e3543-6aba-47d9-940a-bf610ee0e786" data-langcode="de"></drupal-entity>
 Dudley Perera vor dem Schild seines Schildkröten-Schutzprojekts.
 Bild: Christa Wüthrich

Wenn es heiss ist, gibt es Weibchen
Die Schildkrötenweibchen kommen nachts zum Strand, um ihre Eier im Schutz der Dunkelheit im Sand zu vergraben und tauchen danach wieder zurück ins Meer. Die Schale der Meeresschildkröteneier ist elastisch und weich. Denn das Loch, in welches das Schildkrötenweibchen seine Eier legt, kann bis zu einem halben Meter tief sein – und die Eier müssen diesen Sturz unbeschädigt überstehen. Händler sammeln die Eier ein und verkaufen ihre nächtliche Beute am nächsten Morgen an Dudley. «Auf dem Schwarzmarkt bekommen sie bis zu 20 Rupie (knappe 15 Rappen) pro Ei. Ich zahle nur die Hälfte – dafür ist ihr Handeln nicht strafbar, sie leisten einen Beitrag zum Schutz der Tiere und mit dem Verdienst können sie überleben», sagt Perera.

Ein Dutzend Volontäre sortieren die Eier (in der Region brüten fünf verschiedene Schildkrötenarten) und vergraben sie wieder im Sand. Ausgebrütet werden die Eier durch die Sonne. Das Geschlecht der Schildkröten wird durch die Wärme des Sandes bestimmt. Bei Temperaturen über 30 Grad entwickeln sich Weibchen; bei tieferen Temperaturen Männchen. Nach 48 Tagen schlüpfen die kleinen Schildkröten, werden in der gleichen Nacht am Strand ausgesetzt und kriechen dann ins Meer. In der Hochsaison (April/Mai) sind das mehrere Hundert kleine Schildkröten am Tag. Im Idealfall überleben gerade mal vier Prozent. Doch in der freien Wildbahn – ohne sicheren Brutplatz – schafft nur jede tausendste Schildkröte den Sprung ins Erwachsenenleben. Alle anderen werden Opfer von Vögeln, Fischen und Menschen. 

Für Dudley Perera ist das Schildkröten-Schutzprojekt sein Lebenswerk. Der heute 43-Jährige begann schon als Jugendlicher, sich für die Tiere einzusetzen und erhielt ein Stipendium, um in Südkorea «Schutz von Meerestieren» zu studieren. Er schloss das Studium 1996 ab und arbeitete während drei Jahren in einer Textil­fabrik, bis er genügend Geld hatte, um zurück in seinem Heimatdorf das Schildkröten-Schutzprojekt  professionell aufzubauen. 

Keine Ferien, sondern harte Arbeit
Im Dezember 2004 wurde die jahrelange Arbeit von einer Sekunde auf die andere zerstört. Der Tsunami traf auf den Küstenabschnitt. «Es waren zwei Wellen», erinnert sich Perera. «Die erste war nicht gefährlich, sondern eine Vorwarnung. Wir merkten, dass etwas nicht in Ordnung ist und brachten uns in Sicherheit.» Die zweite Welle zerstörte das Dorf und die Gebäude des Schildkröten-Projektes. Dutzende Dorfbewohner starben. Aufgeben kam für Perera nicht infrage. Mit der Hilfe von Freunden, Familie und der finanziellen Unterstützung von Sympathisanten rund um den Globus baute der gläubige Buddhist sein Projekt wieder auf – und erweiterte es um ein paar neue Pläne. «Community-Projects» heisst das nach dem Tsunami ins Leben gerufene Programm. Nach der Katastrophe diente es dazu, der betroffenen Dorfbevölkerung wirtschaftlich zu helfen. Heute offeriert das Projekt den Jugendlichen im Dorf gratis Englischunterricht.

Finanziell lukrativ ist der Schutz von Schildkröten nicht. Den Lebensunterhalt verdient sich Perera als Bauer. Er pflanzt  Zimt an und verkauft ihn auf dem lokalen Markt. Die zwölf Volontäre, die ihn bei seiner Arbeit unterstützen, arbeiten ehrenamtlich. Einer davon ist Peter Nyström. Zusammen mit seiner zwölfjährigen Tochter Alva arbeitete der Schwede während drei Wochen im Schildkröten-Conservation-Projekt. «Einen Aufenthalt hier darf man nicht mit Ferien verwechseln», betont Nyström. Die Becken der Schildkröten müssen geputzt, die Tiere gefüttert, die Besucher betreut, die Eier vergraben und die Schilder beschriftet werden. 

Patrouillen, um zu kontrollieren, ob Schildkröten geschlüpft sind und um die Frischlinge dann in ein grosses Wasserbecken zu legen, gehören genauso zum Aufgabenbereich, wie die nächtlichen Strandausflüge, um die kleinen Schildkröten ins Meer zu begleiten. «Der Moment, in dem die Schildkröten freigelassen werden, ist berührend und bleibt unvergesslich», erzählt Nyström. 

<drupal-entity data-embed-button="media" data-entity-embed-display="view_mode:media.teaser_big" data-entity-embed-display-settings="[]" data-entity-type="media" data-entity-uuid="a2d49b2c-68e1-4a98-89d1-211620f5fc60" data-langcode="de"></drupal-entity>
Vergrabene Schildkröteneier – fein säuberlich beschriftet. Bild: Christa Wüthrich