In einem Punkt sind sich fast alle stolzen Hunde-, Katzen- und auch Pferdebesitzer ziemlich sicher: Ihr vierbeiniger Liebling besitzt einen einzigartigen Charakter. Einen Charakter, durch den er sich von all seinen Artgenossen ganz deutlich unterscheidet.

Aber ist dem wirklich so? Haben Tiere so etwas wie eine Persönlichkeit? Oder machen wir uns da etwas vor, weil wir unser Haustier  über alles lieben? Tatsächlich weisen zahlreiche Erkenntnisse aus der Verhaltensforschung mittlerweile darauf hin, dass es bei Tieren derselben Art durchaus unterschiedliche Persönlichkeiten mit ganz eigenen Charakteren gibt. Und das nicht nur bei Haustieren oder in unserer nächsten Verwandtschaft, den überaus intelligenten Menschenaffen, sondern auch bei sogenannt niederen Tieren wie Tintenfischen oder Spinnen. Auch hier gibt es Draufgänger, Angsthasen und sogar eine Art Autisten.

Erste Indizien, dass auch einige primitive Tierarten so etwas wie eine eigene Persönlichkeit besitzen, tauchten bereits vor 20 Jahren im Aquarium von Seattle auf. Dort beobachteten Wissenschaftler, dass die zuständigen Tierpfleger Tintenfischen Spitznamen gaben, die auf den unterschiedlichen Charakter der Tiere hinwiesen.

So erhielt ein besonders neugieriger Tintenfisch den Namen «Leisure Suit Larry», nach dem gleichnamigen Computerspiel. Eine Tintenfisch­dame, die sich in der Regel kaum aus ihrem Versteck wagte, wurde nach der menschenscheuen amerikanischen Dichterin Emily Dickinson benannt. Und einem besonders aggressiven Weibchen, das ständig versuchte, den Inhalt des Aquariums in seine Einzelbestandteile zu zerlegen, verpasste man den aufschlussreichen Namen «Lucretia McEvil».

Diese ersten Beobachtungen führten wenig später zu einem Experiment, das der amerikanische Biologe Roland Anderson mit über 40 Tintenfischen der Art Octopus rubescens durchführte. Im Versuch setzte Anderson die Acht­füsser jeweils einer Serie von identischen Reizen aus. Er berührte sie beispielsweise mit einer Bürste, offerierte ihnen eine Krabbe als Futter oder entfernte einfach mal den Deckel ihres Aquariums. Und siehe da: Die so provozierten Tintenfische zeigten unterschied­liche Verhaltensmuster. Und interessanterweise blieb jeder Tintenfisch bei seinem einmal gezeigten Verhalten. Will heissen: Sich beim ersten Experiment passiv verhaltende Tintenfische blieben auch im weiteren Verlauf der Tests fast durchweg passiv, während die Neugierigen neugierig blieben. So gibt es offen­sichtlich mutige und vorsichtige Tintenfisch-Persönlichkeiten.

Als man nämlich diverse in Gefangenschaft lebende Oktopusse mit der Attrappe eines Raubvogels über ihrem Aquarium konfrontierte, waren die Reaktionen höchst unterschiedlich. Die allermeisten schossen in Windeseile in das nächste verfügbare Versteck. Ein mutiges Tier war jedoch nicht bereit klein beizugeben, sondern verspritzte zunächst kräftig Tinte und schwamm dann völlig ungerührt im Schutz dieser Wolke weiter.

Haudegen und Hausfrauen bei Spinnen
Nun gelten Tintenfische immerhin als die intelligentesten wirbellosen Tiere. Da mag es noch einleuchten, dass sich Unterschiede im Charakter entwickeln. Doch überraschenderweise gibt es sogar bei Spinnen unterschiedliche Persönlichkeiten. Nicht bei allen. Aber  Forschungsergebnisse von US-Wissenschaftlern zeigen, dass bei einigen Arten der sogenannten «sozialen Spinnen» durchaus so etwas wie ein eigener Charakter zutage tritt. Im Gegensatz zu «normalen» Spinnen, bei denen es sich um Einzelgänger handelt, bauen soziale Spinnen riesige Gemeinschaftsnetze, in denen sie sowohl gemeinsam auf die Jagd nach Insekten gehen als auch gemeinsam ihren Nachwuchs grossziehen.

Bei diesen Tieren gibt es offensichtlich eine dem Charakter entsprechende Arbeitsteilung. So treten bei der Art Anelosimus studiosus, die in Süd- und Nordamerika weit verbreitet ist, zwei völlig unterschiedliche Charakter­typen auf, die auch unterschiedlichen Tätigkeiten nachgehen: Typ 1, der Aggressive, ist in der Gemeinschaft für Netzbau, Beutejagd und Verteidigung zuständig. Im Gegensatz zu den «Rambos» vom Typ 1 gehen die «Softies» von Typ 2 dagegen einer eher friedfertigen Tätigkeit nach: Sie kümmern sich hingebungsvoll um den gemeinsamen Nachwuchs.

Um herauszubekommen, ob die Spinnen bei der «Berufswahl» stets ihrem Talent folgen, überprüften die Wissenschaftler die Fähigkeit der Spinnen jeweils bei einer für sie untypischen Tätigkeit. Genauer gesagt: Die Softies mussten sich beim Netzbau und bei der Jagd beweisen, während die Rambos sich als Ammen versuchen mussten. Das Ergebnis des Experiments war eindeutig: Die Rambos entpuppten sich als schlechte Pflegekräfte, während die Softies weder als Jäger noch als Verteidiger oder Netzbauer überzeugen konnten. Das bedeutet, die Spinnen folgen in Sachen Arbeitsteilung also offensichtlich tatsächlich ihren angeborenen Fähigkeiten.

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Selbst Taufliegen haben ihre eigene Persönlichkeit.
Bild:Roblan / shutterstock.com

Stubenhocker unter den Fruchtfliegen
Nach Ansicht der Wissenschaftler kann man die sozialen Spinnen in dieser Hinsicht durchaus mit uns Menschen vergleichen. Auch wir greifen ja oft zielsicher zu dem Job, der nicht nur unserer Persönlichkeit am nächsten kommt, sondern von dem wir auch glauben, dass er für uns am besten geeignet ist. Ungeklärt ist allerdings die Frage, ob die unterschiedlichen Persönlichkeiten der Spinnen bereits von Anfang an in vollem Umfang ausgeprägt waren oder ob sie sich erst im Laufe ihres Lebens entwickeln.

Neben Spinnen gibt es auch Insekten mit eigenem Charakter. So hat die Biologin Judy Stamps von der Universität von Kalifornien vor einigen Jahren herausgefunden, dass es bei unserem Labortier Nummer eins, der berühmten Taufliege Drosophila melanogaster, ganz individuelle Verhaltensmuster gibt.

Bereits im Larvenstadium treten bei den Fliegen zwei völlig unterschiedliche Charaktere auf: die sogenannten «Rover»-Larven, die auch weite Wege zurücklegen, um an Nahrung zu kommen, und die etwas lethargischen «Sitter», die sich deutlich weniger gerne bewegen. Dieses Verhalten wird auch bei den erwachsenen Fliegen beibehalten, was sich in einem unterschiedlich grossen Flugradius manifestiert. Und hier ist klar, dass die Persönlichkeit den Tieren in die Wiege gelegt ist: Wer sich zu einem «Rover» und wer sich zu einem «Sitter» entwickelt, darüber entscheidet ein einziges Gen.