Im Patuxent Wildlife Research Center im US-Bundesstaat Maryland hilft die Ornithologin Jane Chandler den grossen Vögeln bei der Aufzucht ihrer Küken. Doch die Tiere sollen ihre natürlichen Instinkte nicht verlieren und etwa in freier Wildbahn keine Partner mehr finden oder die Gefahr von Menschen unterschätzen. Also darf sich Chandler den Vögeln nie ohne Verkleidung zeigen: Ein lakenartiger Umhang bedeckt sie von Kopf bis Fuss und ein Schleier verbirgt ihr Gesicht.

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 Bild: U.S. Geological Survey/Jane Chandler

In der Hand hält sie eine Kranichkopf-Puppe, mit deren Schnabel sie die Küken mit Spezialnahrung, Trauben, Mehlwürmern oder Getreide füttert. Chandler kümmert sich um elf Kranich-Küken, die sechs Monate alt und etwa einen Meter gross sind. Köpfe und Flügel sind hellbraun, später haben die Vögel glatte weisse Federn mit schwarzgefärbten Spitzen an den Flügeln und einen scharlachroten Kamm.

Transport im Privatflugzeug
Bald werden die Jungvögel in Käfige gepackt und in einem Privatflugzeug in ihre neue Heimat geflogen: In der White Lake Wetland Conservation Area im US- Bundesstaat Louisiana werden sie auf 23 ihrer Artgenossen treffen, die ebenfalls in Gefangenschaft aufgezogen wurden.  «Ursprünglich gab es einen sesshaften Schwarm in Louisiana um 1900 herum», sagt Chandler. «Wir versuchen also, den wieder zu etablieren.»

Vor mehr als einem Jahrhundert waren die nordamerikanischen Symbolvögel, die bis zu 1,50 Meter gross werden, in den USA so gut wie verschwunden. Sie wurden bis zur Ausrottung gejagt und verloren um 1800 wichtige Lebensräume, als die Pioniere Süsswasser-Feuchtgebiete trockenlegten, um Ackerland zu gewinnen. In den 1940er-Jahren gab es lediglich noch rund zwei Dutzend wilde Schreikraniche. Für ihre Wiederansiedlung wurden in den vergangenen Jahrzehnten viele Millionen Dollar ausgegeben, und inzwischen leben wieder rund 300 in freier Wildbahn und etwa noch einmal so viele in Aufzuchtprojekten.

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 Bild: U.S. Geological Survey/Jane Chandler

Mindestens 1000 Tiere nötig
Doch zur nachhaltigen Rettung der Art sollten nach Einschätzung von Biologen mindestens tausend Tiere in zwei unabhängigen Schwärmen in freier Wildbahn leben. Von vier grösseren Versuchen seit den 1960er Jahren, die Grus americana wieder zu beheimaten, schlugen zwei fehl. In einem dritten Projekt im US-Bundesstaat Wisconsin gab es rätselhafterweise kaum Küken. Von 132 Nestern in den Jahren 2005 bis 2013 hatten nur 22 Nester Küken, von denen wiederum nur fünf das erste Jahr überlebten. Oft verliessen die Altvögel ihre Nester, ohne die Eier auszubrüten.

Rückschläge
Nun scheint das Rätsel gelöst: «Wir denken, dass sie von schwarzen Stechfliegen beim Brüten belästigt wurden», sagt die Wissenschaftlerin Sarah Converse. Die Naturschützer suchten neue Orte mit weniger Stechfliegen und wilderten 2011 die ersten Schreikraniche dort aus.

In einem anderen Projekt in Wisconsin werden die Vögel ganz traditionell von ihren eigenen Eltern aufgezogen. Vier Jungvögel wurden so in diesem Jahr herangezüchtet und ausgewildert. In wenigen Wochen waren zwei der Vögel tot: Einer wurde von einem Auto angefahren, der andere von einem Wolf oder einem Kojote gerissen.

Die Überlebenden schlossen sich Altvögeln an und zogen mit ihnen in den Süden. Nächstes Jahr sollen sechs bis neun Küken so ausgewildert werden.

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Der markante Ruf des Schreikranichs. Quelle: YouTube/TexasParksWildlife