Immer mehr Strassen, immer mehr Verkehr: Der Mensch nimmt der Natur sukzessive den Lebensraum weg. Davon betroffen sind auch Vögel, die sich nicht nur vor Greifvögeln in Acht nehmen, sondern auch auf der Hut vor Autos sein müssen, um nicht überfahren zu werden.

Doch die Anpassungsfähigkeit der Tiere ist enorm, und so überrascht es auch kaum mehr, dass Vögel zu Autos ein ähnliches Verhältnis wie zu Raubvögeln haben: Haben sie sich bis zu einem bestimmten Punkt genähert, heisst es: abhauen. Dieser Punkt – die Distanz zwischen «Räuber» und «Opfer» wird in der Wissenschaft «Flight Initiation Distance» (FID) genannt, also «Flucht-Initiations-Distanz».

Peugeot und Stoppuhr
Um zu untersuchen, wie gut sich Vögel an die von Autos ausgehende Gefahr angepasst haben, ist der französische Biologe Pierre Legagneux auf die Idee gekommen, den Rückweg von seiner Arbeit zu Forschungszwecken zu nutzen.

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So sieht Forschungswerkzeug in Frankreich aus.
Bild: HHH124L/Flickr 

Bewaffnet mit einer Stoppuhr fuhr er jeweils mit seinem weissen Peugeot 205 (wie er in der Studie präzisiert) los, bis er einen Vogel auf oder neben der Strasse sah. Sobald das Tier Reissaus nahm, startete er die Zeit, sobald sein Auto die Stelle, wo der Vogel eben noch gesessen hatte, passierte, stoppte er sie. Mithilfe der Fahrgeschwindigkeit konnte er nun ausrechnen, wie gross die FID des jeweiligen Vogels war.

Dies tat er Tag für Tag, mal fuhr er mit der zugelassenen Höchstgeschwindigkeit, mal langsamer, mal schneller (im Dienste der Wissenschaft darf man das), bis er ganze 134 Vögel gestoppt hatte. Nun gings zurück ins Büro.

Tempolimite statt individuelle Geschwindigkeit
Dort wollten die Forscher ihre Vermutung überprüfen, dass die Vögel umso früher fliehen, je schneller das Auto sich ihnen nähert. Doch die Resultate ergaben keine nennenswerte Übereinstimmung mit der Annahme. Jedenfalls nicht mit dieser.

Eine andere Annahme war nämlich, dass Vögel weniger auf die Geschwindigkeit der Autos achten, sondern vielmehr auf die Geschwindigkeitsbegrenzungen, die auf den jeweiligen Strassenabschnitten gelten. Nein, die Forscher wollen nun nicht behaupten, dass die Tiere plötzlich lesen lernen und die Temposchilder entziffern, vielmehr achten sie einfach auf die Durchschnittsgeschwindigkeit von Autos auf einer Strasse als auf die Geschwindigkeit einzelner Verkehrsteilnehmer.

Und tatsächlich: Die Statistik stimmt genau: Je höher die Tempolimite auf einem Streckenabschnitt ist, desto früher flüchten die Vögel. Unabhängig davon, wie schnell das Auto tatsächlich gefahren ist.

Dieses Ergebnis zeigt, dass Vögel (untersucht wurden übrigens Nebelkrähen, Spatzen und Amseln) in der Lage sind, sich die Eigenschaften bestimmter Umgebungen zu merken. In diesem Beispiel die durchschnittliche Geschwindigkeit der Autos. So können sie ihr Risiko, überfahren zu werden, minimieren und gleichzeitig nicht zu viel Zeit verlieren, in der sie Nahrung von der Strasse picken könnten.

Die Studie wurde im Online-Fachjournal «Biology Letters» veröffentlicht.