Tierversuche
Wildtierforscher in den Mühlen des Gesetzes
Wildtierbiologen kritisieren die heutigen Tierversuchsbestimmungen. Sie fordern, dass die Ausbildungen ihren Bedürfnissen angepasst werden – und dass Lehrer keine Bewilligung mehr brauchen, wenn sie ihren Schülern Kaulquappen zeigen wollen.
Manch einer mag sich unter einem Wildtierbiologen einen Herrn vorstellen, der tagelang in einem Tarnzelt ausharrt, eine scheue Tierart beobachtet und seine Erkenntnisse in einem Notizbuch niederschreibt. Das ist bloss die halbe Wahrheit. Um neue Erkenntnisse zu gewinnen, sind Wildtierbiologen oft darauf angewiesen, Tiere einzufangen.
Zum Beispiel, wenn es um den Nachweis neuer Arten geht. Denn nicht immer lassen sich Tierarten von Auge unterscheiden. So gelang in den letzten 15 Jahren die Entdeckung von drei neuen Fledermausarten in der Schweiz nur, weil man sie anhand von genetischen Untersuchungen von nahe verwandten Arten abgrenzen konnte. Auch Spitzmäuse und Nagetiere könnten nicht so einfach beobachtet werden wie Gämsen oder Steinböcke, sagt Thomas Briner, Leiter des Naturmuseums Solothurn und Spezialist für solche Kleinsäuger. «Sie sind nachtaktiv, sehr scheu und leben in der Vegetation. Wenn wir wissen wollen, wie häufig die eine oder die andere Art ist, müssen wir sie einfangen.»
Dies geschieht mit tunnelartigen Stahlbehältern, deren Türchen zuklappen, sobald ein Tier hineingehuscht ist. Der Biologe kann es dann bestimmen, vermessen, eine Haarprobe nehmen oder ein winziges Hautstück vom Ohr abzwacken, um später Genuntersuchungen durchzuführen. «Das alles bedeutet keinen grossen Stress für das Tier und es ist schnell wieder frei», sagt Briner.
Bis vor acht Jahren meldeten Wildtierbiologen solche relativ leichten Eingriffe einfach den jeweiligen kantonalen Jagd- oder Umweltbehörden. Doch 2008 wurde das Eidgenössische Tierschutzgesetz revidiert und im Zuge dessen der Begriff «Tierversuch» neu definiert. Zuvor zählte als Tierversuch, wenn ein Forscher ein Tier verwendete, um eine wissenschaftliche Annahme, die Wirkung eines Eingriffes, einen Stoff zu testen – oder um «einen Stoff zu gewinnen». Letzteres wurde präzisiert: Nun gilt explizit die Gewinnung von Zellen, Organen oder Körperflüssigkeiten als Tierversuch, ebenso die Verwendung von Tieren in der Lehre und in der Aus- oder Weiterbildung.
Wildtiere haben immer Angst
Zudem braucht es für jeden solchen Tierversuch, auch wenn er mit keiner Belastung für das Tier verbunden ist, eine Güterabwägung zwischen erwartetem Nutzen und möglichem Schmerz, Leid, Angst, Erniedrigung oder Schaden. Eine automatische Bewilligung, wenn bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind, gibt es nicht mehr.
Vielen Wildtierbiologen wurde erst nach und nach bewusst, welche Folgen diese Gesetzesänderung auf ihre Arbeit hat. Die Schweizerische Gesellschaft für Wildtierbiologie (SGW) organisierte darum dieses Frühjahr eine Tagung zu dem Thema und hat kürzlich ein Positionspapier veröffentlicht. Die SGW begrüsse es, dass Wildtierprojekte besser auf den Tierschutzaspekt geprüft würden, sagt Präsidentin Nicole Imesch. «Wir erwarten von unseren Mitgliedern, dass sie sich tierschutzkonform verhalten.»
Trotzdem kritisieren die Wildtierbiologen die geltenden Vorschriften in mehreren Punkten. So orientierten sich Gesetz und Verordnung weitgehend an Bestimmungen, wie sie für Labortiere oder Tiere in Gefangenschaft gelten. Das Auftreten einer «kurzfristigen, mittelgradigen Angst» etwa wird einem Eingriff mit Schweregrad 2 zugeordnet. Für domestizierte Tiere oder Labortiere möge das sinnvoll sein, nicht aber für Wildtiere, sagt Imesch. «Weil Wildtiere nicht mit dem Menschen vertraut sind, verursacht jede Berührung einen gewissen Stress – aber das heisst noch nicht, dass ihr Wohlergehen beeinträchtigt ist.»
Ein zentrales Anliegen ist Imesch die Aus- und Weiterbildung, die jedermann absolvieren muss, der einen Tierversuch durchführt. Auch diese rund einwöchigen Kurse seien heute auf den Umgang mit Labortieren ausgerichtet, sagt sie. «Einem Wildtierbiologen, der für ein Projekt Rothirsche einfangen muss, bringt das nichts.» Dieses Problem sei erkannt, sagt Nathalie Rochat, Mediensprecherin beim Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV), das auf Bundesebene für die Umsetzung des Tierschutzgesetzes verantwortlich ist. «Inzwischen werden auch Ausbildungskurse für Personen angeboten, die mit anderen Arten als Standard-Labortieren arbeiten.»
Ein Gehör hat das Bundesamt auch für eine zweite Forderung der Biologen: dass freiwillige Helfer, die zum Beispiel auf Vogelberingungsstationen die Fangnetze kontrollieren, keinen solchen Kurs absolvieren müssen. Künftig, so Rochat, werde eine Unterscheidung gemacht zwischen Personen, die solche Versuche leiten oder durchführen, und freiwilligen Helfern. «Diskutiert werden muss aber, welche Tätigkeiten solche Helfer alleine ausüben dürfen.»
Auch mit den Bewilligungsverfahren sind die Biologen teilweise unzufrieden. Das Prozedere sei aufwendig und gerade für kleinere Museen oder Gruppen von Spezialisten teuer, sagt Thomas Briner. Zudem gehörten den Bewilligungskommissionen meist keine Wildtierbiologen an. «Das kann die Gesuchsbehandlung in die Länge ziehen», sagt Briner. «Die Kommission stellt dann dem Gesuchsteller Nachfragen, die ein erfahrener Biologe in der Diskussion aus dem Stegreif hätte beantworten können.» BLV-Sprecherin Rochat sagt, um die administrativen und finanziellen Belastungen bezüglich Bewilligungen zu reduzieren, würden grosse Anstrengungen gemacht – unter anderem würden die Gesuche seit 2014 einheitlich erfasst und das BLV betreibe ein elektronisches Informationssystem. Was die Zusammensetzung der Kommissionen betrifft, verweist sie auf die Zuständigkeit der Kantone.
Entfremdung von der Natur?
Gar eine Befreiung von der Tierversuchspflicht fordern die Biologen für einfache Fänge von Wildtieren an Schulen oder für die Öffentlichkeitsarbeit. Heute muss jeder Lehrer eine Tierversuchsbewilligung beantragen, wenn er im Schulweiher Kaulquappen fangen will, um sie in einem Aquarium seinen Schülern zu zeigen. In diesem Punkt bleibt das BLV aber hart: «Es ist eben gerade wichtig, dass auch Schüler lernen, dass man nicht einfach in der Natur unkontrolliert Tiere einsammeln kann», sagt Rochat.
Nicole Imesch dagegen befürchtet, dass solche Hürden das Verständnis für Tiere und die Natur nicht verbesserten, sondern verschlechterten, weil Lehrer ihre Schüler weniger oft mit Tieren in Kontakt brächten. «Wildtiere mit den Sinnen wahrzunehmen, ermöglicht ein besseres Verständnis für Tier- und Naturschutzanliegen», sagt sie.
Und was das unkontrollierte Einsammeln von Tieren betrifft, verweist Thomas Briner auf sein Spezialgebiet: die Mäuse. Ein bisschen absurd sei es da ja schon, sagt er. Wer Fallen kauft und auf seinem Stück Land Mäuse fangen und töten will, kann dies ohne jegliche Bewilligung tun. «Wenn wir die gleichen Tiere lebendig fangen wollen, geht das nur nach einem komplizierten bürokratischen Verfahren.»
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