Die grosse, alte Pappel kann einem leidtun. Die Rinde auf einer Seite völlig abgenagt, der Stamm zu einem Viertel seiner Dicke abgeraspelt. Die Hobelspäne liegen in Kartoffelchipsgrösse vor dem Baum am Boden. Ein Biber war am Werk. «Das hat er wahrscheinlich heute Morgen gemacht», sagt Paul Koch. Der Thurgauer Kantonsrat ist Revierförster und zuständig für den Auenschutzwald Schaffäuli. Er bedauert nicht, dass sich der Biber an einem meterdicken Baumstamm zu schaffen macht: «Hier darf er das.» Hier, wo die Thur renaturiert ist und sich in einem flachen Flussbett an Kiesbänken vorbeischlängelt. Hier stört der Biber niemanden, im Gegenteil. Er fördert durch seine Umbauarbeiten die Artenvielfalt, bietet neuen Arten einen Lebensraum. 

Anderswo im Thurgau bereitet der Biber mehr Probleme. Am Ufer des Steinegger Weihers in Nussbaumen steht Ernst Obrecht. Er verwaltet den Weiher und besitzt den Wald rundherum. «Der Biber hat das ganze Ufer unterhöhlt und wollte den Abfluss verstopfen», erzählt er auf dem kleinen Platz vor der Fischerhütte. «Wir hatten Angst, dass der Damm bricht oder der Vorplatz absackt.» Wenn das passiert, wenn der Weiher die nahen Felder überschwemmt oder ein Pferd beim Ausritt in einen Biberbau tappt und sich dabei das Bein bricht, haftet der Grundeigentümer. 

«Wer schützt, soll bezahlen»
Deshalb entschieden sich Obrecht und die Besitzer des Weihers zu einer Sanierung. Jetzt versperrt eine Bretterwand dem Nager den Zugang zu grossen Teilen des Ufers. Verstärkt durch ein Drahtgeflecht, um sicherzugehen. Und auch der Abfluss ist nun bibersicher. «22 000 Franken hat das Ganze gekostet», sagt Obrecht. Bezahlt haben es die Teichbesitzer aus der eigenen Tasche. Der Biber wütet noch immer am Steinegger Weiher. Er tut es aber nur noch an der gegenüberliegenden Seeseite, wo er keinen Schaden anrichten kann. Fast keinen, denn dem jungen Tannenwald, den Obrecht anlegen wollte, hat der Nager arg zugesetzt.

Ähnlich sieht es in Kleinandelfingen ZH aus. Frisch renoviert ist hier der Marthalerweg. Gut zu sehen, wo die schmale Strasse am Thur-Ufer ausgehoben und neu asphaltiert wurde. Urs Spychiger ist Kantonsangestellter und verantwortlich für den Unterhalt der Thur auf Zürcher Boden. Er erzählt: «Der Biber musste sich nach einem Hochwasser vom Ufer zurückziehen und hat sich deshalb unter der Strasse einen Wohnkessel gebaut.» Die Strasse drohte abzusacken, die Erde darunter musste neu aufgefüllt werden. Als Schutzmassnahme verlegten die Kantonsangestellten ein Gitter, das den Biber künftig bremst. Kostenpunkt auch hier: über 20 000 Franken. 

In einem Punkt klingen Spychiger, Obrecht und Koch genau gleich. Als hätten sie sich abgesprochen, sagen sie alle drei sinngemäss: «Ich habe nichts gegen den Biber. Aber wenn ihn der Staat schützt, soll er auch für die Schäden bezahlen.» Schliesslich dürfen sie nichts gegen den Biber unternehmen. Macht er Probleme, kann er nicht einfach abgeschossen oder eingefangen werden. Dafür muss zunächst ein Antrag ans Bundesamt für Umwelt gestellt und von dort bewilligt werden. Das ist bisher schweizweit noch nie passiert.

Die Lösung liegt im Gewässerschutz
Der Biber ist eine Ausnahme unter den geschützten Säugetieren der Schweiz. Reisst ein Wolf Schafe, erhält der Bauer Schadenersatz. Frisst ein Biber Zuckerrüben von einem Feld oder fällt einen Apfelbaum, gibt es zwar ebenfalls Geld für den Besitzer. Die schwerwiegendsten Schäden, die der Biber jedoch verursacht, sind keine Frassschäden, sondern Infrastrukturschäden. Unterhöhlte Strassen, die einsacken, Dämme, die brechen, Drainagen, die verstopft werden und dadurch Felder verwässern. Diese Infrastrukturschäden – Wolf, Luchs & Co. richten kaum solche an – werden von Bund und Kanton nicht bezahlt. 

Das möchte Paul Koch ändern. Aktuell ist in Bundesbern eine Standesinitiative hängig, die er angestossen hat. Der Kanton Thurgau fordert, dass nicht nur Frass-, sondern auch Infrastrukturschäden, die der Biber anrichtet, vom Bund und Kanton bezahlt werden. Denn: «Da sich die Lebensräume des Bibers auf die Gebiete entlang von Gewässern begrenzen, konzentrieren sich die Schäden auf wenige Geschädigte. Dies ist nicht solidarisch und entspricht nicht unserem demokratischen Verständnis.» Im März hat der Ständerat die Initiative – relativ knapp – abgelehnt. «Ich habe nicht damit gerechnet, dass das Ergebnis so gut rauskommt», sagt Koch, auch nach der Niederlage. Er hofft auf den Nationalrat, der wohl im Juni über das Thema abstimmt. 

Es gibt zwei Gründe, wieso Kochs Forderungen nicht längst und ohne grossen Aufhebens umgesetzt sind. Zum einen muss der Bund sparen. Rund eine Million Franken würde Kochs Anliegen den Staat pro Jahr kosten, wie die vorberatende Kommission des Ständerats schätzt. Zum anderen verlangt das 2011 revidierte Gewässerschutzgesetz vermehrt Pufferzonen zwischen Flüssen, Strassen und Feldern. «Biberschäden entstehen meist weniger als zehn Meter von Gewässern entfernt», argumentierte der Berner BDP-Ständerat Werner Luginbühl im Ständerat gegen Kochs Anliegen. «Mit der Umsetzung des Gewässerschutzgesetzes (...) dürfte wohl ein beträchtlicher Teil der Schäden verhindert werden können.» Rund zehn Meter breite Grünstreifen sollen der Natur mehr Platz geben, um sich frei zu entfalten. Und im konkreten Fall den Hahnenkampf ums Territorium zwischen Mensch und Biber entschärfen. Was der Bauer dadurch an Ackerland verliert, bezahlt ihm der Bund als Biodiversitäts-Subvention. «Das ist in der Theorie ganz einfach», sagt Koch etwas höhnisch. «Aber man müsste kilometerweise Strassen und Feldwege verlegen. Das wird nicht vom Staat bezahlt.» 

Der Biber, so tönt es auch von allen Seiten im Ständerat, ist willkommen. Aber an der Thur hat er es sich offenbar zu früh zu gemütlich gemacht. Lange bevor all die Flüsse und Bäche, die eine Renaturierung oder einen Grünstreifen nötig haben, bereit für den Nager sind. «Mittlerweile haben wir bestimmt 600 Biber», sagt Paul Koch. Die meisten geeigneten Standorte seien besetzt. «Die Biber, die jetzt noch dazukommen, suchen sich ungeeignete Plätze, daher können die Schäden noch stark zunehmen.» Und auch die zehn Meter Abstand, die das neue Gesetz fordert, garantieren keine heilen Äcker, wie sich beispielsweise in Kleinandelfingen zeigt. Die unterhöhlte Asphaltstrasse dort liegt nämlich deutlich weiter vom Thurufer entfernt.

Das Auto als einziger Feind
Dass sich die Konflikte mit dem Biber im Thurgau noch deutlich verschärfen, kann sich auch Caroline Nienhuis vom Bundesamt für Umwelt vorstellen, insbesondere in kleineren künstlichen Gewässern oder dort, wo nahe am Wasser gebaut ist. Doch sie relativiert: «Wenn Biber Revier an Revier leben, produzieren sie weniger Jungtiere. Das reguliert sich von selber, wie bei allen Tieren.» So flache die Wachstumskurve im Kanton Thurgau vielerorts bereits jetzt ab. Der Höhepunkt der Biberpopulation könnte dort also bald erreicht sein, während der Nager in anderen Regionen seinen Eroberungszug gerade erst gestartet hat.

Paul Koch will den Biber dennoch nicht sich selbst überlassen. Als längerfristige Lösung fordert er eine Regulierung der Population. Auch mit Abschüssen, aber gezielt und nur dort, wo der pelzige Baumeister wirklich stört und Schaden anrichtet. «Das müssen Wildhüter erledigen, nicht Jäger.» Solange er geschützt ist, wird das nicht passieren und der Biber sich an der Thur weiter ausbreiten. Aufhalten wird ihn laut Koch nichts: «Der Biber hat ja keine natürlichen Feinde ausser das Auto.»

Hier sehen Sie, in welchen Kantonen die Biberdichte am höchsten ist:

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