In einer umfassenden vergleichenden Studie haben die Forscher der Universität Tübingen an 66 Tierarten Unterschiede zwischen den Geschlechtern im Zusammenhang mit deren Paarungsverhalten untersucht. Über das gesamte Tierreich hinweg betrachtet zeigte sich, dass Männchen meist deutlich stärker von einer höheren Anzahl von Verpaarungen profitieren als Weibchen. «In diesen Fällen unterliegen Männchen einem stärkeren Selektionsdruck hinsichtlich des Paarungserfolgs als Weibchen», erklärt Erstautor Tim Janicke in einer Mitteilung der Universität. Zudem habe sich herausgestellt, dass die Stärke dieses Geschlechtsunterschieds mit der Ausprägung zweier weiterer Merkmale sich geschlechtlich fortpflanzender Tiere einhergeht: Einer auffälligeren äusseren Erscheinung bei Männchen und einer stärker ausgeprägten Brutpflege durch die Weibchen.

Darwin hatte Recht  
«Unsere Befunde untermauern die Vorhersagen der von Charles Darwin etablierten Theorie der sexuellen Selektion», ergänzt die Ko-Autorin Ines Häderer. Die bereits von Darwin beschriebenen konventionellen Geschlechterrollen werden dabei als Konsequenz des grundlegendsten Geschlechterunterschieds angesehen, nämlich der Grösse der Keimzellen. Männchen produzieren in der Regel viele kleine Spermien, Weibchen hingegen wenige, aber meist erheblich grössere Eizellen. Die Vielzahl winziger Spermien der Männchen fördert demnach eine erhöhte Rivalität um die vergleichsweise geringe Anzahl weiblicher Eizellen. Dies geht einher mit der Ausprägung auffallenderer sekundärer Geschlechtsmerkmale für die Balz und einer geringeren Beteiligung an der Brutpflege.

Durch die Tatsache, dass die Weibchen viel Zeit und Energie in den Nachwuchs investieren, müssen sie wählerisch sein. Sie wollen nur die besten Gene für ihre Sprösslinge, um diesen möglichst gute Überlebenschancen zu bieten. Dadurch entsteht auf die Männchen sogenannte sexuelle Selektion. Sie müssen den Damen zeigen, dass sie die Besten sind. Dies tun sie zum Beispiel indem sie um die Weibchen kämpfen. Wer hier das grösste Geweih oder die längsten Hörner hat, ist im Vorteil. Oder sie haben bunte Federn oder andere Anhängsel, die sie in Paarungstänzen stolz zur Schau stellen, in der Hoffnung, ausgewählt zu werden. Da solche langen Federn, bunte Färbungen oder schwere Geweihe fürs tägliche Leben eher hinderlich sind, die Männchen aber trotzdem überleben, wissen die Weibchen, dass sie die Mühe tatsächlich wert sind.

Auch Umwelteinflüsse spielen eine Rolle  
Die Befunde der deutschen Wissenschaftler zeigten aber auch, dass die in der Grösse der Keimzellen begründbaren Geschlechterrollen durch Einflüsse der Umwelt geschwächt oder verstärkt werden können. Belege hierfür finden sich beispielsweise bei Vögeln und Fischen mit vertauschten Geschlechterrollen: Hier unterliegen die Weibchen einer stärkeren sexuellen Selektion, konkurrieren also um die wählerischen Männchen, und überlassen auch den Vätern den Grossteil der Brutpflege. Insgesamt bestätigt die Studie die Vorhersagen der Darwin’schen Selektionstheorie. Sie gibt zudem Ansatzpunkte für gezielte Untersuchungen darüber, wie Umwelt- und Sozialfaktoren die evolutionären Geschlechterrollen weiter ausdifferenzieren können.