W er nicht auffällt, wird auch nicht gefressen. Deshalb haben sich viele Tiere Strategien zur Tarnung angelegt, die es Räubern erschweren, sie aufzuspüren. Während sich die meisten Beutetiere eine «Verkleidung» angeeignet haben, die sie mit ihrem Hintergrund verschmelzen lassen, gibt es einige Tiere, die noch einen Schritt weiter gehen: Sie machen sich durchsichtig.

Wenn ein Körper kein Licht absorbiert, ist er transparent, doch das macht ihn noch nicht unsichtbar. Eine Eisskulptur beispielsweise ist komplett durchsichtig, aber trotzdem gut sichtbar, weil sich Licht darin spiegelt. Diese Reflexion ist in der Luft bis zu 2000 Mal höher als im Wasser, deshalb ist es für Tiere der Tiefsee deutlich einfacher, sich «unsichtbar» zu machen. In den Tiefen des Meeres gibt es kaum Licht und die Sicht ist trüb. Trotzdem muss sich, wer in Ruhe gelassen werden will, einen Schutz zulegen. Sei dies ein kleiner Körperbau, spiegelnde Schuppen oder eben die Transparenz. Diese ist letztlich die einzige Methode der Tarnung, die von jedem Blickwinkel aus und in verschiedenen Wassertiefen funktioniert. Quallen etwa sind so für ihre Feinde kaum zu erkennen. An Land geschwemmt hingegen sind ihre durchsichtigen Hüte gut sichtbar. 

Meeres-Engel und Skelettfische
Nicht nur Quallen, sondern auch Schnecken, Fische und Krebse haben sich an ihren Unterwasser-Lebensraum derart angepasst, dass sie sich durch Transparenz vor ihren Feinden verstecken. Dabei entstehen für das menschliche Auge zuweilen wunderschöne, aber auch kuriose Anblicke. Ruderschnecken (Gymnosomata) beispielsweise werden auf Englisch nicht von ungefähr «Sea Angels», Meeres-Engel, genannt. Mit ihrem durchschimmernden Körper und ihren beiden durchsichtigen «Flügeln», mit denen sie sich fortbewegen, ähneln sie tatsächlich kleinen Engelchen.

Eher wie lebendige Skelette sehen Indische Glaswelse (Kryptopterus vitreolus) aus. Die kleinen Fische sind nicht in der Tiefsee zu Hause, sondern in Bächen und Flüssen in Thailand. Ihr fast vollständig durchsichtiger Körper gibt den Blick frei auf die Gräten der Tiere. Ihr ungewöhnlicher Anblick macht die Glaswelse auch zu beliebten Aquarienfischen. Zumal sich ihr Magen je nach Futter anders einfärbt. 

Das mag für Aquarienliebhaber besonders spannend sein, birgt aber für transparente Tiere in freier Wildbahn Gefahren. Sie können sich noch so unsichtbar machen, zwei Dinge verraten sie immer: ihr Verdauungstrakt und ihre Augen. Augen funktionieren nur, wenn sie Licht absorbieren können und im Magen wird selbst durchsichtige Beute sichtbar – das verrät die Position des Tieres und macht den Jäger zum potenziell Gejagten. So hat etwa eine Studie ergeben, dass die durchsichtigen Larven der Büschelmücken (Chaoboridae) fast doppelt so häufig von Räubern gefressen werden, wenn sie einen vollen Magen haben, als wenn sie nichts gefressen haben.

Bücher lesen durch Schmetterlinge
Dass die Transparenz Tiere davor schützt, gefunden und gefressen zu werden, liegt auf der Hand. Doch es gibt auch Tiere, die auf andere Weise ausnützen, dass sie durchsichtig sind. Als Überraschungseffekt beispielsweise, wie die Qualle Hippopodius hippopus. Sie ist eigentlich transparent, wenn sie aber gestört wird, kann sie ihren geleeartigen Körper matt einfärben und wird dann schlagartig sichtbar. Diese Überraschung reicht meist, um Feinde für einen Moment aus der Fassung zu bringen und sich aus dem Staub zu machen. Gar als offensive Waffe nutzt eine andere Qualle ihre Transparenz aus: Athorybia rosacea ist zwar weitgehend durchsichtig, einige pigmentierte Stellen sehen jedoch aus wie kleine Krebse. Sie dienen als Köder für Fische, die nicht sehen, dass ihr «Happen» eigentlich Teil eines grösseren Tieres ist, und letztlich selber zum Happen werden.

Durchsichtig sein ist einfacher unter Wasser. Aber auch überirdisch lebende Tiere verwenden die Transparenz zur Tarnung. Auf den ansonsten durchsichtigen Flügeln der Fruchtfliege Goniurellia tridens etwa sind Zeichnungen, die aussehen wie Ameisen. Dies hat laut Forschern vermutlich den Zweck, Angreifer zu verwirren. Mit Flügelschlägen erwecke die Fruchtfliege den Eindruck, zwei Ameisen würden auf ihrem Rücken auf- und abkrabbeln. Den Moment der Verwirrung nutze die Fliege, um zu entkommen.

Insektenflügel sind meist hauchdünn und deshalb der wohl geeignetste Körperteil, um Transparenz zu entwickeln. Fliegen, Bienen, Libellen, sie alle haben mehr oder weniger durchsichtige Flügel. Sogar ein Schmetterling greift auf diesen Kniff zurück. Von den Flügeln des Glasflügel-Schmetterlings (Greta morgane oto) sind nur ein paar Adern sowie der Rand zu sehen. Ansonsten ist er so durchsichtig, dass durch ihn hindurch ein Buch gelesen werden kann. Deutsche Forscher haben den Schmetterling kürzlich untersucht und erkannt, dass seine Flügel auch bei schrägem Blickwinkel kaum Licht zurückwerfen, während eine Fensterscheibe etwa je nach Winkel fast alles Licht reflektiert.

Die Forscher haben nun untersucht, weshalb dies so ist, und herausgefunden, dass Nanostrukturen auf der Oberfläche des Flügels dafür verantwortlich sind. Winzige Säulen, die unregelmässig angeordnet und unterschiedlich gross sind, sorgen dafür, dass das Licht überall etwas anders gebrochen wird und deshalb keine regelmässige Spiegelung zustande kommt. Gelingt es, solche Nanostrukturen auf die Technik anzuwenden, könnte das Glas der Zukunft ebenfalls spiegelungsfrei werden – wer schon einmal mit dem Laptop an der Sonne arbeiten wollte, sieht das Potenzial solcher Scheiben.

Neben Insekten haben auch einige Amphibien durchsichtige Körperteile. Glasfrösche – wie sollten sie sonst auch heissen – etwa. Diese kleinen Frösche der Familie Centrolenidae leben in den Regenwäldern Mittel- und Südamerikas und sitzen oft auf Blättern und Ästen, die über Bächen und Flüssen hängen. Von oben betrachtet sind sie meist hellgrün. Ihre Unterseite aber ist komplett durchsichtige und gibt den Blick frei auf das Herz, den Verdauungsapparat und bei Weibchen gar auf reifende Eier. 

Ein Blick ins Innere des Fischkopfes
Neben den Fröschen selbst, die für Feinde weniger gut sichtbar sind, könnte auch die Medizin von der Transparenz profitieren: Glasfrösche gewähren der Wissenschaft einen Blick in ihr Inneres, der ansonsten nur bei toten Tieren möglich ist. Um künftig den Verlauf von Krankheiten wie Krebs genauer studieren zu können, züchten japanische Forscher momentan durchsichtige Frösche, die eigentlich nicht transparent wären.

Der wohl skurrilste Blick ins Innenleben eines Tieres bietet sich wiederum in der Tiefsee. Im Pazifik, in Tiefen bis zu 800 Metern, ist der Glaskopffisch (Macropinna microstoma) zu Hause. Eine Fischart aus der Familie der Gespensterfische, die durch ihren durchsichtigen Schädel auffällt. Im Innern, geschützt durch eine «Glaskuppel», sind die Augen des Fisches zu sehen. 

Wie alles, was durchsichtig ist, ist auch der Schädel des Fisches sehr dünn und dadurch fragil, deshalb gelang es lange Zeit niemandem, ein lebendiges Exemplar zu fangen. Erst vor einigen Jahren haben dies Wissenschaftler des US-amerikanischen Monterey Bay Aquarium Research Institutes geschafft und das Geheimnis des Glaskopffisches gelüftet: Er kann seine Augen innerhalb des Schädels drehen. Üblicherweise treibt er regungslos im Ozean herum und richtet den Blick nach oben, wo er nach Nahrung Ausschau hält. Hat er etwas entdeckt – etwa eine Qualle –, dreht er seine Augen nach vorne, schwimmt hoch und hat die Beute durch sein transparentes Visier immer im Blick.