Ein Plumplori, der im Wohnzimmer geknuddelt wird. Ein Plumplori, der den Kamm ableckt, mit dem ihm sein Besitzer gerade durch die Haare gefahren ist. Oder ein Plumplori, der ein Kinderspielzeug im Pfötchen hält: Auf der Videoplattform Youtube existieren Dutzende Filmchen dieser niedlichen Primaten – alle aufgenommen mit Tieren in Gefangenschaft.

Wer genauer hinsieht, merkt rasch: Die Loris wirken verstört und gestresst, blicken mit ihren grossen Augen um sich. In einem Video verzehrt eines widerstrebend ein Reisbällchen, das ihm gereicht wird; die Szene lässt erahnen, dass als Haustiere gehaltene Loris häufig fehlernährt sind. Typisch sind auch Szenen, in denen ein Lori nach einem Gegenstand greift, der ihm hingehalten wird, um ihn kraftvoll zu sich hinzuziehen – es ist, als würde das Tier am liebsten irgendwo Halt und eine Möglichkeit zum Fortklettern finden. 

Denn in ihrem Element sind Loris nicht in irgendeinem Wohnzimmer, sondern in den Baumkronen und Sträuchern des tropischen Asiens. Die ruhigen, völlig nachtaktiven Kletterer aus der Verwandtschaft der Feuchtnasenaffen bewegen sich hier äus­serst geschickt und lautlos voran, immer darauf bedacht, festen Halt zu finden, bevor sie nach weiteren Zweigen, Ranken oder Lianen greifen. Ihre Hände und Füsse wirken wie Klammern und umfassen Zweige und Äste mit festem Griff, während sich der gelenkige Körper beim Klettern fast schlangenartig verbiegen kann. 

Keine Spur von plump und träge
Die Arme und Beine sind relativ lang, ebenso wie der Körper, sodass die Tiere auch weit ausholen und entfernte Zweige ergreifen können. So bewegen sie sich problemlos in den Baumkronen, wechseln gar von einem schwankenden Ast zur Krone eines nächsten Baumes über. Nur springen können diese spezialisierten Baumbewohner im Gegensatz zu den meisten Affen nicht. Sie wagen sich deshalb auch kaum auf den Boden hinunter. 

Ein Plumplori in Bewegung:

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«Loris zählen zu den extremsten Primaten, welche die Natur kennt», sagt Anna Nekaris von der Oxford-Brookes-Universität in England. Sie widmet sich seit über 20 Jahren diesen aussergewöhnlichen Tieren, und war damit eine Pionierin, denn selbst unter Forschern stiessen die Loris früher kaum auf Interesse. Sie seien «nicht selten», «unwichtig» oder gar «langweilig» bekam Nekaris zu hören. Über Loris wusste man einfach sehr wenig, während ihre Verwandten, die Lemuren Madagaskars, deutlich mehr Aufmerksamkeit erhielten. 

Inzwischen hat Anna Nekaris mit ihrem Team einiges Licht ins Dunkel gebracht, welches diese nachtaktiven Wesen umhüllt, und ganz nebenbei dazu beigetragen, manches Vorurteil zu entkräften. Vor allem sind Plumploris keineswegs so plump oder langsam, wie man ihnen nachsagte. Auf Filmaufnahmen aus der Natur bewegen sich Loris manchmal in einem Tempo fort, das anderen Affen zur Ehre gereicht. Ihre Streifgebiete sind ebenfalls bemerkenswert gross, wie man erst weiss, seit einige der Tiere für Studien besendert wurden. Plump­loris bewegen sich gut zwei bis über fünf Kilometer weit in einer Nacht umher. Zudem sind Loris keineswegs einzelgängerisch, sondern verbringen je nach Art viel Zeit in Gesellschaft mit Artgenossen, bilden Paare oder zum Teil gruppenweise Schlafgemeinschaften. Sie kommunizieren rege über Duftmarken. 

Ein Plumplori frisst Baumharz:

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Zähne werden ohne Betäubung gezogen
Die grossen, nahe beieinanderliegenden Augen der Loris sind äusserst lichtempfindlich. Werden die Tiere nachts angestrahlt, so leuchten ihre Augen auf, da sie wie bei den Katzen mit einer lichtreflektierenden Schicht versehen sind. Loris können dadurch im Dunkeln hervorragend sehen, wenn sie kletternd auf die Pirsch nach Insekten oder anderen Kleintieren gehen. Sie haben auch eine extrem lange Zunge, mit der sie an Nektar gelangen, ohne Blüten zu zerstören. Wenn sie aus einer grossen Baumblüte wieder auftauchen, ist ihr Kopf mit Pollen übersät, und so wirken Loris auf Nektarsuche wahrscheinlich als Bestäuber. 

Plumploris in einer Auffangstation machen Beute:

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Obwohl sie auch zu flinken Bewegungen fähig sind, ist der Stoffwechsel der Loris aussergewöhnlich träge. Dies ist offenbar eine Folge davon, dass sie, je nach Art, viele giftige Insekten und Pflanzensäfte wie Baumharz verzehren. Ihr Körper muss die Gifte anschliessend verarbeiten, was viel Energie kostet. Wie Forscher der Universität Wien herausgefunden haben, überdauert eine besonders kleine Plumplori-Art, der Zwerglori, den Winter in seiner Heimat Vietnam in einem Winterschlaf und senkt dadurch seinen Energiebedarf in der nahrungsärmeren Winterszeit. 

Plumploris sind als einzige Primaten der Welt selber giftig, und im Fall einer Bedrohung beissen diese possierlichen Tiere schmerzhaft zu. Den Giftstoff, der zusammen mit ihrem Speichel wirksam wird, nehmen sie vorher von ihren Armdrüsen auf. Ihr Biss ist keineswegs harmlos, er kann auch beim Menschen einen lebensgefährlichen anaphylaktischen Schock verursachen. 

Manchmal sieht man Bilder von gefangenen Loris, die ihre Arme heben und über dem Kopf verschränken. Das wirkt vielleicht herzig, ist aber in Wahrheit eine Abwehrstellung, die ihren Kopf in die Nähe der Armdrüsen bringt. Allerdings vergeblich: Einerseits werden die Tiere von ihren unkundigen Haltern missverstanden, andererseits können sie sich nicht mehr mit einem Biss zur Wehr setzen. Um gefährliche Zwischenfälle zu vermeiden, werden gewilderten Loris, die für den illegalen Heimtierhandel bestimmt sind, nämlich auf brutale Weise die Zähne entfernt, mit irgendwelchen Werkzeugen und ohne Betäubung oder Antibiotika. Viele überleben diese schmerzhafte Prozedur nicht. 

Graue Schlankloris im Zoo von London:

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Aufklärungsarbeit über das Internet
Alle Plumploris und die meisten Schlank­loris sind durch die Wilderei und den Lebensraumverlust sehr gefährdet. Loris werden für die «Verwertung» in Heilmitteln der traditionellen Medizin und eben für die Heimtierhaltung gejagt, wobei die «herzigen» Internetvideos die Nachfrage ankurbeln. Selbst als Fotosujets für Touristen, etwa in der Türkei, werden die scheuen, nachtaktiven Tiere eingesetzt, obwohl seit 2007 jeglicher Handel mit ihnen verboten ist. In Gefangenschaft leben die Loris meist nicht sehr lange, sie sterben am Stress oder an Fehlernährung.

Anna Nekaris betreibt mit einer kleinen Schutzorganisation namens «Little Fire­face Project» Aufklärungsarbeit – vor Ort im indonesischen Java und weltweit übers Internet. Denn dort haben die Videos von «süssen» Loris in völlig ungeeigneten, tierschutzwidrigen Privathaltungen einen wahren Hype ausgelöst. Unglaublich viele Nutzer «liken» solche Videos – dasjenige mit dem Reisbällchen fressenden Tier rund elf Millionen – oder setzen Kommentare wie «ich will auch eins». Nekaris wünscht sich, dass möglichst viele Internetnutzer die zweifelhaften Youtube-Videos kritisch kommentieren und nicht weiter fördern. Stattdessen würden die weit schöneren Videos von frei lebenden Loris mehr «Likes» verdienen. 

Dieses englischsprachige Video zeigt die Wahrheit hinter den «süssen» Plumplori-Videos:

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