Sie sind wohl das berühmteste Killerpärchen aller Zeiten. Mehrere Bücher wurden über sie geschrieben. Ihre Geschichte wurde gleich dreimal verfilmt, zuletzt 1996 mit Michael Douglas und Val Kilmer in den Hauptrollen. Die Rede ist von den «Menschenfressern von Tsavo», zwei riesigen Löwen, die 1898 in Britisch-Ostafrika ein «Terrorregime» errichtet hatten.

Die beiden männlichen Löwen, die übrigens keine Mähne ausgebildet hatten, drangen damals nachts immer wieder in ein Camp von Arbeitern ein. Diese sollten im Auftrag der britischen Krone eine Eisenbahnbrücke über den Tsavo-Fluss bauen. Die Raubkatzen richteten unter den Arbeitern, die meist indischer Herkunft waren, ein fürchterliches Blutbad an: In neun Monaten fielen, so will es die Legende, 135 Menschen den «Teufeln in Löwengestalt» zum Opfer. Obwohl jede Nacht Wachtposten aufgestellt wurden und die Arbeiter versuchten, ihr Camp mithilfe von üppigen Dornenzäunen «löwensicher» zu machen, töteten die beiden Menschenfresser einen Campbewohner nach dem anderen. 

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Die beiden Killerlöwen verbreiteten unter den Eisenbahnarbeitern derart Angst und Schrecken, dass die meisten flohen und die Bauarbeiten an der Brücke daher nahezu völlig zum Erliegen kamen. Den blutrünstigen Raubkatzen wurde sogar eine aussergewöhnliche Ehre zuteil: Sie wurden vom britischen Premierminister in einer Rede vor dem Unterhaus erwähnt. 

Ein drei Meter langer Koloss
Erst nach zahllosen Fehlversuchen gelang es dem Chef-Ingenieur des Lagers, dem britischen Oberstleutnant John Patterson, die beiden Killerlöwen zur Strecke zu bringen. Am 9. Dezember 1898 erlegte Patterson zunächst einmal einen der Löwen, denen mittlerweile von den Arbeitern übernatürliche Fähigkeiten angedichtet worden waren. Und drei Wochen später schaffte er es dann auch noch, den zweiten Löwen zu töten, angeblich nach zähem, nächtelangem Kampf. Der Kadaver wies nicht weniger als sechs Schusswunden auf.

Der erste Löwe soll über drei Meter lang und so schwer gewesen sein, dass acht Mann nötig waren, um die Leiche ins Lager zu transportieren. Die Felle der Löwen verkaufte Patterson später für die damals beachtliche Summe von 5000 Dollar nach Chicago, wo die ausgestopften Menschenfresser nun eine der Hauptattraktionen des berühmten «Field Museum of Natural History» sind.

Die Wissenschaft glaubt, dass mehrere Faktoren dafür verantwortlich waren, dass die Löwen von Tsavo zu gezielten Menschenfressern mutierten: Zum einen waren in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zahlreiche Sklavenkarawanen durch das Tsavo-Gebiet gezogen und hatten mehr als 80 000 Kranke oder Tote als leichte Beute für die Löwen am Rande ihrer Route zurückgelassen. Zum anderen trug wohl eine Pockenepidemie und die darauf folgende Hungersnot, während der die Leichen der Opfer oft wochenlang nicht beerdigt wurden, dazu bei, dass sich die Raubkatzen an den Geschmack von Menschenfleisch gewöhnten. 

Zumal den Löwen oft gar keine Wahl blieb. Hatte doch zwischen 1891 und 1893 eine verheerende Rinderpestepidemie südlich der Sahara Millionen von Zebras, Giraffen, Büffeln, Antilopen und anderen Wildtieren dahingerafft. Durch den dadurch verursachten Mangel ihrer natürlichen Beute mussten sich die Löwen zwangsläufig nach anderen Nahrungsquellen umsehen. Und da kam der Mensch gerade recht.

Opferzahlen wohl übertrieben hoch
Die Zahl von 135 Menschen, die den «Tsavo-Maneaters» angeblich zum Opfer gefallen waren, wurde von der «seriösen» Wissenschaft allerdings immer stark bezweifelt. Amerikanische Forscher von der University of California in Santa Cruz nahmen von den beiden Tsavo-Löwen Haar- und Knochenproben und bestimmten so die Isotopenverhältnisse von Stickstoff und Kohlenstoff. Aus dem Verhältnis der Isotope, das sich bei Mensch und Tier grundlegend unterscheidet, konnten die Wissenschaftler Rückschlüsse auf die Ernährung der Raubkatzen in den letzten Monaten ihres Lebens ziehen. 

Und nach dem Vergleich der «Tsavo-Proben» mit Proben von anderen Löwen, aber auch von Zebras, Büffeln und Gnus sowie mit Proben von aus dem 19. Jahrhundert stammenden Überresten menschlicher Leichenteile kamen sie zum Schluss, dass die Zahl von 135 Opfern zu hoch gegriffen ist.

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 Die beiden «Menschenfresser» sind heute im Naturhistorischen Museum
 von Chicago ausgestellt.
 Bild: Jeffrey Jung/wikimedia.org

Nachfahren sind heute noch gefährlich
Die Auswertung der Haarproben zeigte nämlich, dass sich der im Museum unter der Nummer FMNH 23970 registrierte Tsavo- Löwe in den letzten Monaten seines Lebens etwa zur Hälfte von Menschenfleisch ernährt hatte, während sein Partner FMNH 23969 nur gelegentlich Menschenfleisch zu sich genommen hatte. Und als die Wissenschaftler dieses Ergebnis hochrechneten auf die übliche Fleischmenge, die ein ausgewachsenes Löwenmännchen täglich zu sich nimmt, kamen sie auf eine Zahl von «lediglich» etwa 35 Menschen, die den Löwen während ihres «Terrorregimes» zum Opfer gefallen waren.  Bestätigt werden diese Untersuchungsergebnisse übrigens auch durch zwei weitere Studien, in denen amerikanische Wissenschaftler die unveröffentlichte Korrespondenz von John Patterson sowie historische Berichte ausgewertet haben. Diese Studien kommen ebenfalls zu dem Schluss, dass eine Zahl von etwa 30 Toten, die auf das Konto der Killerlöwen geht, deutlich realistischer ist.

Opferzahl hin, Opferzahl her: Die Experten sind sich sicher, dass auch die Nachfahren der «Menschenfresser von Tsavo» deutlich gefährlicher sind als «normale» Löwen. Auch heute noch attackieren die riesigen, mähnenlosen Löwen des Tsavo-Gebietes immer wieder Menschen. Und das leider mit oft tödlichen Folgen. Wissenschaftler vom Staatsmuseum New York in Albany glauben auch den Grund für die aussergewöhnliche Aggressivität der männlichen Tsavo-Löwen zu kennen: Er hängt nach Meinung der Forscher mit der spärlichen Behaarung der Löwenmänner zusammen. Die Kahlköpfigkeit der Löwen ist wohl durch einen erhöhten Testosteronspiegel bedingt. Und ein Übermass dieses Hormons ist auch oft für ein verstärktes Aggressionsverhalten verantwortlich.