Sobald das Schiff die Strasse von Gibraltar passiert hat, wird die See rau. Die erste Inselgruppe, die auf der gedanklichen Schiffsreise auftaucht, sind die Kanaren. Doch weder hier noch auf den Kapverden, die später auf der Höhe Senegals aus dem Meer ragen, gibt es ursprünglich Papageien, verwilderte Käfigvögel aber schon. Das Schiff dümpelt der afrikanischen Küste entlang, die nach Erde riechende Luft wabert feuchtwarm über das Deck. Plötzlich, südlich von Senegal: Land! Die Bijagos-Inseln. Sie gehören zu Guinea-Bissau, einer ehemaligen portugiesischen Kolonie. Die meisten sind von einem dichten Gürtel von Mangrovenpflanzen umgeben. Die Stelzwurzeln recken tief in das seichte warme Wasser.

Die wenig bekannten Inseln sind letzte Rückzugsgebiete der Timneh-Graupapageien. Diese sind auch auf dem afrikanischen Festland verbreitet. Doch der Fang für den Handel und die Zerstörung ihres Lebensraumes hat ihre Bestände dort fast zum Erlöschen gebracht. Zurück auf die Bijago-Inseln: Nach dem Kampf durch den dichten Mangrovenwald öffnet sich die Landschaft, kniehohes Gras wiegt sich im warmen Wind, vereinzelt ragen Afrikanische Ölpalmen in den milchigen Himmel, weiter im Innern gedeihen ganze Wälder mit wilden Ölpalmen.

Ihre roten Früchte bilden einen wichtigen Nahrungsbestandteil des Timneh-Graupapageis, manchmal brüten Paare auch in den Palmenkronen. Dort, wo Einheimische wohnen, hat es auch Plantagen mit Kaschubäumen. Doch die Timneh-Graupapageien haben sich besonders auf unbewohnte Inseln zurückgezogen. Bei systematisch durchgeführten Beobachtungen wurden total 69 Gruppen von Timnehs auf acht Inseln beobachtet, wobei sich die Hauptpopulationen auf zwei Inseln beschränkten. Vermutlich gibt es nicht mehr als 1000 Individuen dieses Graupapageis mit dem hornfarbenen Oberschnabel und dem braunen Schwanz.

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Der Papageienberg auf Principe
Die einsame Insellandschaft verlassend, fährt das Schiff durch den Golf von Guinea bis auf der Höhe Gabuns eine völlig andere Insel auftaucht. Hohe, spitze Berge ragen in den Himmel, die Hänge sind überwuchert von Tropenwald. Um einen besonders markanten Berg schleichen Nebelschwaden. Es ist der Pico de Papagaio. An den goldgelben flachen Sandstränden der Tropeninsel Principe lecken die Wellen des Golfs von Guinea, im Innern überwuchert der Regenwald ehemalige portugiesische Landwirtschaftsgüter wie Bel Mont. Über dem Eingangsbogen hängt noch eine Glocke mit der eingeprägten Jahreszahl 1922. Hoch über der Klippe in der Nähe des Guts kreist ein Tropikvogel.

Principe wird auch Insel der Papageien genannt. Und tatsächlich: Graupapageien pfeifen bereits bei Tagesanbruch um 5.30 Uhr aus den Küstenwäldern, ein Paar fliegt auf einen abgestorbenen Baum, dessen Stamm epiphytische Farne und Orchideen besiedeln. Graupapageien würden Anfang Jahr ihre Jungen in Baumhöhlen füttern, wissen Einheimische. Überall auf der Insel kommen die Vögel vor. So ist ihr melodiöses Pfeifen auch im Inselinnern zu hören, insbesondere in den frühen Morgen- und Abendstunden. 

Principe gehört zum Staat São Tomé und Principe, einer ehemaligen portugiesischen Kolonie. Am Parlamentsgebäude in São Tomé prangt das Wappen des Inselstaates. Auf der einen Seite ist ein Falke zu sehen. Er steht für die Hauptinsel, gegenüberliegend ein Graupapagei für Principe. Aufgrund der besonderen Geographie Principes haben die Grauen hier eigene Lebens- und Verhaltensweisen entwickelt. Sie gleichen im Aussehen aber sehr der Nominatform auf dem Festland. 

Vor der Küste Kameruns liegt eine weitere Tropeninsel: Bioko, die zum Staat Äquatorial-Guinea gehört, einer einst spanischen Kolonie. Graupapageien der Nominatform leben im Tropenwald dieser Insel, die nur rund 75 Kilometer vom Festland entfernt ist. 

Ankern vor Madagaskar
Das Schiff lässt die weit draussen im Atlantik liegenden britischen Inseln Ascension und St. Helena steuerbord liegen und schneidet durch das schwarze Wasser vor der afrikanischen Küste. Es schaukelt durch die unruhige See am Kap der guten Hoffnung, fährt nun ostwärts, gelangt in den Indischen Ozean und hält Kurs auf Madagaskar. Die riesige, langgestreckte Insel vor der Küste Moçambiques in Südostafrika ist besonders bekannt durch ihre Lemurenarten. Doch nicht nur diese Halbaffen sind einzigartig, sondern auch zahlreiche Vögel – darunter drei Papageienarten, die es nur auf Madagaskar gibt und die selten gehalten werden.

Im Süden der Insel legt das Schiff an, die Mannschaft schlägt sich durch den Trockenwald bis nach Berenty, wo Kattas mit ihren schwarz-weiss geringelten Schwänzen über sandigen Boden huschen und dürre Bäume erklimmen. Frühmorgens tönt ein dreisilbiger, melodiöser Ruf über den Trockenwald. Ein Kleiner Vasapapagei begrüsst den jungen Tag. Weder Ruf noch Aussehen lassen einen Papagei vermuten, sind doch Vasapapageien schwarz befiedert. Die Grossen Vasapapageien, die auf dem Weg in den Westen der Insel nach Ampanihy in einem Schwarm am Boden unter einem Baum nach Samen suchen, wirken erst recht wie Krähen.

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Ihre Brutbiologie ist einmalig. Einige Wochen vor der Eiablage verliert das Weibchen die Federn am Kopf. Wenige Tage vor der Eiablage schwellen die Kloaken von Männchen und Weibchen tennisballgross an. Während die Brutzeit bei grossen Papageien meist bei 28 Tagen liegt, dauert sie beim Gros­sen Vasapapagei nur rund 15 Tage, die Nestlingszeit ist mit etwa 50 Tagen ebenfalls kurz. Vasapapageien leben nicht nur in der eigentümlichen Trockenvegetation, sondern auch 

in den Regenwäldern entlang der Ostküste, beispielsweise in Andasibe, dem Schutzgebiet für den Indri, den grössten Lemuren. Im diesigen Morgenlicht sind sie kaum auszumachen, wenn sie sich in Baumkronen über Beeren und Samenstände hermachen.

Der Mensch hat Madagaskar stark verändert: Er hat die meisten Wälder abgeholzt, sodass Grasland und Savannen entstanden. Das ist am Rand des Waldes von Zombitse auf dem Weg von Toliara an der Westküste ins Isalo-Gebirge im Inselzentrum besonders ersichtlich. Er ist eines der letzten Rückzugsgebiete – auch für den Kleinen Vasapapagei. Dort, wo das Schutzgebiet endet, haben sich nach der Zerstörung des Feuchtwaldes weite Grassteppen ausgebreitet. Die Grauköpfchen profitieren davon, denn sie leben wie fast all ihre Verwandten auf dem afrikanischen Festland bevorzugt in Savannen. Männchen haben, wie es der Name sagt, einen grauen Kopf, Weibchen eine grüne Kopfbefiederung. Grauköpfchen leben in grossen Schwärmen und ernähren sich von Grassamen.

 

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Das Wunder von Mauritius
Es ist Zeit für die Weiterfahrt per Schiff Richtung Osten nach Mauritius, heute ein selbstständiger Inselstaat, zu dem auch die weiter östlich liegende Insel Rodrigues und weitere kleinere, weit abgelegene Eiländer gehören. Auch Mauritius hat sich seit der Entdeckung um 1502 stark verändert. Die ursprüngliche Vegetation wurde weitgehend zerstört, die Riesenschildkröte ausgerottet. Der Echosittich, die Mauritius-Taube und der Mauritius-Falke fanden kaum noch Nistgelegenheiten und wurden durch verwilderte Ratten und Katzen in ihren Beständen dezimiert.

In den 1990er-Jahren gelang es jedoch dank Zuchtprogrammen, sie zu retten. Die Echosittichpopulation, die auf sieben bis zwölf Vögel schrumpfte, beläuft sich nun wieder auf über 1000. Im Black-River-Nationalpark im Innern der Insel, wo üppiges Grün wuchert, nisten Echosittiche in künstlichen Nisthöhlen und werden zugefüttert. Auch Mauritius-Tauben und -Falken können dort wieder beobachtet werden. Grosse Gebiete mit verwilderten Guaven werden mit ursprünglicher Vegetation aufgeforstet. 

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Blauschwarz schimmert das Wasser, Schaumkronen tänzeln auf Wellen. Auf den Komoren sollen Grauköpfchen leben, zudem kommt dort eine Unterart des Vasapapageis vor. Das Schiff hält aber Kurs auf die Seychellen nordöstlich von Madagaskar. Dort ankert es vor der Insel Praslin, ein Beiboot gleitet über hellblaues Wasser, schiebt sich knirschend auf den goldenen, von spektakulären Granitfelsen eingefassten Strand.

Im Nationalpark Vallée de Mai im bergigen Inselzentrum folgt ein Gang wie durch ein Märchenland. Hellgrüne Seychellenpalmen wuchern mit ihren schirmartigen Fächern. Seychellen-Vasapapageien pfeifen wie kleine Kobolde aus dem frischen Grün, lösen sich aus dem Wunderwald, fliegen am hellblauen Himmel in offenere Gebiete, wo sie auch mal auf verwilderten Kasuarinenzweigen landen. Ihre Welt ist klein, denn Praslin ist nur etwa zwölf Kilometer lang und fünf Kilometer breit. Auf den anderen zum Archipel der Seychellen gehörenden Inseln kommen sie nicht vor. 

Das Schiff pflügt nun Richtung Norden, umrundet das Horn von Afrika, sticht in das Rote Meer, tuckert durch den Suezkanal und hält Kurs auf Venedig. Eine imaginäre Reise rund um Afrika findet ihren Abschluss, in Erinnerung bleiben die Papageienarten in abgeschiedenen Wäldern auf tropischen Eilanden rund um den riesigen Kontinent südlich Europas.