Das Rotkreuzer Industriegebiet ist kein sonderlich attraktiver Ort. Kahle Bürohäuser reihen sich aneinander, dazwischen sind Parkplätze. Doch inmitten dieser trostlosen Umgebung eröffnet sich unvermittelt ein kleines Paradies: der Häslihof. Besitzer Ueli Bichsel, ein sonnengebräunter, 62-jähriger Mann mit Sonnenbrille, präsentiert ihn auf einem Rundgang – mit dabei seine Labradorhündin Laura. Auf einer Fläche von 1500 Quadratmetern können etwa 230 «Chüngle» nach Herzenslust herumhoppeln, Tunnel graben, miteinander balgen oder sich ein Schläfchen gönnen. 

Bichsel sagt: «Sie haben sehr viel Platz zur Verfügung, denn grundsätzlich könnten hier gemäss dem Schweizer Tierschutz bis zu 1200 Tiere leben.» Das Zusammenleben sei friedlich. «Darauf bin ich stolz, denn entgegen anderer Meinungen funktioniert Gruppenhaltung», sagt der gebürtige Berner. Er zeigt auf die vielen offenen Ställe. Dazwischen liegen Berge aus Ästen zum Nagen und Klettern oder Röhren, in denen die Kaninchen sich verstecken können. Sie sind das ganze Jahr draussen, auch bei Regen oder Schnee – aber sie können sich jederzeit in die Ställe zurückziehen. «Die ganzen Konstruktionen habe ich eigenhändig gebaut», sagt Bichsel stolz. Sein handwerkliches Talent kommt nicht von ungefähr. Er arbeitet seit 40 Jahren auf dem Bau. 

Der Häslihof ist videoüberwacht und umgeben von einem Zaun, der elektrisch aufgeladen werden kann. «So halten sich räuberische Wildtiere und unerwünschte Eindringlinge fern», sagt er. Die Hitze hat die Kaninchen wohl etwas träge gemacht – die meisten dösen unter dem Dach. Doch als Bichsel den Tieren Rüebli hinwirft, kommen sie aus ihren Löchern heraus und stürzen sich gierig darauf. 

Bichsel gibt die Hälfte des Lohnes für den Häslihof und verbringt die Freizeit dort 
Die Nager stammen zum Teil aus schwierigen Verhältnissen, sie wurden vernachlässigt oder ausgesetzt. «Hasenvater» Bichsel hat sie aufgenommen und ihnen eine neue Heimat gegeben. Die Idee zum Häslihof kam ihm vor vier Jahren. Er sah auf einem nahen Bauernhof, wie Kaninchen in katastrophalen Zuständen hausen mussten. «Ich konnte dies nicht aushalten und beschloss, etwas zu unternehmen. Ich baute einige Gehege und in einer Nacht- und Nebelaktion haben ein Kollege und ich die Tiere gerettet.» Völlig legal sei das natürlich nicht gewesen. «Ich konnte aber nicht anders – sie taten mir so leid.» 

Die meisten dieser 28 Kaninchen überlebten. Sie bildeten den Grundstock der Auffangstation. Im Laufe der Zeit kamen immer mehr Tiere dazu. Nun hat der Häslihof die Dimension eines Kleinzoos angenommen. Bichsel ist daher für die Finanzierung auf Unterstützung angewiesen. «Es gibt Gönner, die tolle Beiträge spenden», sagt er. «Ausserdem verwende ich die Hälfte meines Lohns für den Hof.» Auch der Schweizer Tierschutz ist begeistert von der Anlage. 2012 unterstützte die Organisation Bichsel mit 5000 Franken. 

Der Hasenvater lebt alleine in der Nähe von Zürich, ist geschieden und hat eine 30-jährige Tochter, die ihm gelegentlich hilft. Er verbringt seine ganze Freizeit in seinem Paradies. «Das ist mein einziges Hobby. Wenn ich nicht schlafen kann, fahre ich zu den Kaninchen», erzählt er. Er verbringt viel Zeit damit, die Tiere zu beobachten. «Das ist spannender als Fernsehen», sagt er schmunzelnd. Ein Container dient ihm als Futterlager und Ruheraum. Er patrouilliert regelmässig durch das Areal, morgens und abends bringt er frisches Futter und Wasser. Wenn er entdeckt, dass ein Kaninchen krank ist, fängt er es ein und bringt es zur Tierärztin.

«Ich mache kein Geschäft mit den Tieren», sagt Bichsel. Daher verkauft, verschenkt und schlachtet er keine Kaninchen. «Einmal wollte jemand Kaninchen kaufen, um sie zu schlachten. Er hat mir zwar ein grosszügiges Angebot gemacht, doch ich habe abgelehnt», erzählt er. Bichsel kennt das Schicksal jedes einzelnen Kaninchens, welches bei ihm lebt. Viele überforderte Tierhalter bringen ihre vernachlässigten Schützlinge zu ihm. Bei der Abgabe müssen sie Bichsel eine Pauschale von 100 Franken pro Tier bezahlen. «Das ist keine Abzocke, denn damit bezahle ich die notwendigen tierärztlichen Untersuchungen.» Jedes männliche Tier wird kastriert. Aus gutem Grund: Anfang Januar habe jemand in der Nacht zwei unkastrierte Männchen im Häslihof ausgesetzt. «Innert sechs Wochen kamen 35 Jungtiere auf die Welt», erzählt Bichsel. «Das war schon etwas ärgerlich. Zum Glück habe ich diese zwei Männchen dann einfangen können.» Die Jungtiere hat er trotzdem behalten.  

Der Häslihof ist auch bei der Bevölkerung sehr beliebt. Ueli Bichsel erzählt stolz: «An einem Tag waren einmal über 500 Besucher da.» Es kommen viele Familien mit Kindern und am Mittag setzen sich Angestellte der umliegenden Firmen auf eine Bank, geniessen ihre Pause und beobachten das Geschehen.

Doch die Idylle ist in Gefahr, denn das Areal soll künftig anders genutzt werden. Der Bauchef der Gemeinde Risch-Rotkreuz, Ruedi Knüsel, sagt: «Herr Bichsel muss den Häslihof bis Ende 2014 räumen, die Anlage ist nicht zonenkonform. Danach wird das Grundstück wieder dem ursprünglichen Zweck als Arbeits- und Dienstleistungszone zugeführt. So haben es die Stimmberechtigten bestimmt.» Alles andere verstosse gegen ihren Willen. Knüsel: «Eine Zonenplanänderung kommt nicht infrage. Das Grundstück hat einen Wert von rund einer Million Franken. Langfristig können wir daher das Land auch aus finanzieller Sicht nicht zur Verfügung stellen.» 

Bichsel vermutet, dass es um ihn als Person geht und nicht um die Tiere
Die Parzelle gehört der Gemeinde, sie hat sie an einen Bauern verpachtet. Dieser hat das Areal an Bichsel weiterverpachtet. «Der Bauer hätte für den Untermieter eine schriftliche Bewilligung gebraucht, dies hat er versäumt», sagt Knüsel. Deshalb habe der Häslihof keine Zukunft. «Wir haben Herrn Bichsel aber eine angemessene Zeit eingeräumt, eine Lösung zu suchen.»

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«Ich werde hier bleiben»: Ueli Bichsel wird für seinen Häslihof kämpfen.
Bild: Jonas Baud 

Bichsel will das nicht akzeptieren. «Zwar gehört das Land Risch-Rotkreuz, doch ich habe einen Vertrag mit dem Bauern. Also müsste der Bauer mir kündigen, und das hat er nicht getan.» Er vermutet, dass die Gemeinde etwas persönlich gegen ihn habe. «Es geht nicht um die Häsli, sondern um mich. Ich bin zu populär, und dies ist einigen ein Dorn im Auge. Einige Gemeinderäte sehen durch mich ihre politische Karriere gefährdet.» Er sei sehr enttäuscht von ihnen. «Da ist auch Neid im Spiel», vermutet er. «Ich bin sicher: 80 Prozent der Einwohner sind auf meiner Seite.» Viele Familien mit Kindern bestätigten dies. 

Wenn die Gemeinde ihn dazu zwinge, wegzuziehen, komme das sehr schlecht an. «Bei den nächsten Wahlen würden gewisse Leute sicher nicht mehr gewählt», behauptet Bichsel. «Ich habe noch einen Trumpf im Ärmel, den ich ausspielen werde, wenn die Gemeinde wirklich Ernst macht und mich rauswerfen will», sagt er. Die Details will er noch geheim halten – sie lösen laut Bichsel aber mit Sicherheit einen Skandal aus. Er legt sich fest: «Ich werde auf jeden Fall hier bleiben.»