Er ist eigentlich ein Zufallsprodukt, der Weiher mitten in der Wohnsiedlung in Safenwil AG. Bruno Wilhelms Grossvater wollte das Wasser von einer Quelle am gegenüberliegenden Hügelhang bis zum Haus leiten. «Aber es hat nur bis hierher gereicht, also hat er einen Teich gebaut und sich Enten zugetan.» Vor gut fünfzig Jahren war das. Und seither ist der Teich Wilhelms zweites Zuhause.

Es flattert, quakt und piept, als der 54-Jährige durch seine Gefiederheimat führt. Längst haben hier mehr als nur ein paar einheimische Enten ein Zuhause gefunden. «Ich habe von jedem Kontinent mindestens einen Vogel», sagt der schlanke Mann im grünen John-Deere-Overall, mit blauer Dächlikappe über dem ergrauten Haar. Er begrüsst den schwarzen Trauerschwan aus Australien am Teichrand. Sein Weibchen äugt neugierig aus dem Wasser auf ihn. «Der ist ganz ein Lieber», sagt Wilhelm. «Ausser das Weibchen ist am Brüten. Dann lande sogar ich mal im Wasser.» Von der anderen Teichseite schnattern die Laufenten ihren nervösen Gruss herüber, eine afrikanische Rotaugenente zieht einen Kreis ins Wasser, während ein paar Nonnengänse aus dem grünen Gemüsekistchen Rüebli stibitzen.

Das Testament fehlt
Wilhelm stapft die schiefe Steintreppe hoch. Links und rechts nehmen weisse Tauben Reiss­aus, während er erzählt: «Seit ich auf der Welt bin, bin ich hier draussen.» Aufgewachsen im Haus nebenan, hat er jede freie Minute bei den Tieren verbracht. Erst gehörten sie dem Grossvater, dann dem Vater – und jetzt ihm und seiner Frau Dora. «Aber das war nicht so einfach.» Denn nach dem Tod von Wilhelms Grossmutter – und dem seines Vaters im Jahr 2011 – meldeten plötzlich die Erben ihren Anspruch an. Für den Grossvater war immer klar gewesen, dass Bruno Wilhelm den Teich mit seinen Bewohnern mal übernehmen würde; aber ein Testament hatte er nie gemacht. 

Wilhelm hatte zwar inzwischen alle nötigen Ausbildungen und Genehmigungen zur Haltung einheimischer und exotischer Arten. Aber nicht genügend Geld, um den Erben – bis nach Amerika verstreut – ihren Anteil am Grundstück auszuzahlen. Ein Verkauf sei unmöglich gewesen, sagt er. «Sie haben es als Bauland ausgeschrieben, aber die Makler schüttelten nur die Köpfe.» 

[IMG 14]

Meine Ferien sind der Weiher. Ich kenne es ja nicht anders.

Bruno Wilhelm

Schliesslich gründeten Bruno und Dora Wilhelm einen Verein zur Rettung des Teichs und seiner gefiederten Bewohner. «Gefiederheimat» nannten sie ihn fortan und baten um finanzielle Unterstützung – mit Erfolg. «Ein hohes Tier bei einer Bank hat mich angerufen», erzählt Wilhelm. Ein entfernter Verwandter, wie sich herausstellen sollte. «Er fand, da müssen wir eine Lösung finden, kam sich die Situation anschauen und legte mir die Hypothek auf den Tisch. Zu Top-Konditionen.»

Der Verein konnte das Grundstück kaufen, bekam etwas Geld von Sponsoren, ja sogar die Erben kamen ihm etwas entgegen. Seit 2017 ist die Zukunft der Gefiederheimat gesichert. Und während der Vereinsvorstand in fester Familienhand ist – neben dem Ehepaar haben sich auch die beiden Töchter aus Dora Wilhelms erster Ehe einspannen lassen –, haben sich etliche Gönner, aber auch freiwillige Helfer gefunden, die ab und an tatkräftig mithelfen. 

Trotzdem sagt Bruno Wilhelm: «Das ist Geld-Drauflegerei.» Rund 150 000 Franken verschlinge der Mini-Zoo im Wohnquartier jedes Jahr. Was durch Spenden und Sponsoren nicht zusammenkommt, wirft er selber auf. «Fast mein ganzes Gehalt», sagt er, und verzieht dabei keine Miene. Dass er und Ehefrau Dora beide voll arbeiten, um das nötige Geld für ihr eigenes Leben – und das der rund 150 Vögel – aufzubringen, nehmen die beiden mit entschlossener Gleichgültigkeit hin. 

Auch das Haus ist voller Vögel
Australien, Afrika, Amerika und Europa sind abgehakt. In einer abgetrennten Voliere hat Wilhelm seine Asiaten untergebracht. Zwei Malaienkäuze glotzen von ihrer Warte, hoch oben im Geäst. Das Weibchen knackt mit dem Schnabel. «Letztes Jahr hat sie zum ersten Mal Eier gelegt und gebrütet», erzählt er. «Da bin ich nur noch mit Helm reingegangen.» Geschlüpft ist damals nichts. «Aber das ist nicht schlimm. Vielleicht klappt es dieses Jahr.» Er müsse sich einfach sicher sein – und das gelte für alle Tiere –, dass er einen Abnehmer für die Jungen habe. «Sonst bin ich auf einmal bei 500 Tieren.» 

Die GefiederheimatDie Tierhaltung in der Gefiederheimat ist vom Verband Klein­tiere Schweiz als «Vorbildliche Kleintierhaltung» zertifiziert. Das Gelände ist zwar nicht öffentlich zugänglich, aber Bruno Wilhelm führt Besucher auf Anmeldung gerne durch die Anlage. Im Sommer hat er oft Kindergartenklassen zu Besuch und für die Mitglieder des Vereins werden regelmässig Anlässe organisiert.

Schon jetzt haben nicht alle von Wilhelms Tieren Platz in der Gefiederheimat. Eine Parzelle weiter oben steht Wilhelms Wohnhaus, das unschwer zu erkennen ist, denn auch von dort schnattert es. Die Hawaiigänse vor dem Haus sorgen für das Empfangskomitee. Eine leere Aussenvoliere führt durch einen Verbindungskorridor ins Hausinnere. Die Blaustirnamazonen sind lieber drinnen, obwohl der Winternachmittag mild ausfällt.

Sie und die Kongopapageien im Obergeschoss sind Dora Wilhelms Lieblinge. Die beiden, die sich schon als Kinder kannten und nach ihrer Scheidung wiederfanden, scheinen füreinander geschaffen. «Sie hat einen Vogel und ich habe einen Vogel», sagt Bruno Wilhelm und lacht. Das ist wohl auch nötig in einem Haushalt mit mehr als hundert Flattertieren, die nicht nur finanziell, sondern auch tatkräftig volle Aufopferung erfordern. 

Der Wunsch nach Pinguinen
Zumal die Vögel noch längst nicht alles sind, was bei Wilhelms wuselt. «Ein Haufen» zugelaufener Katzen kommt dazu. Und ein Hund. Und bestimmt zwanzig Igel, die hier überwintern. Ferien, sagt Bruno Wilhelm, habe er noch nie gemacht. «Meine Ferien sind der Weiher da unten. Ich kenne ja nichts anderes.» Die Worte klingen nicht wehmütig aus seinem Mund. Und, wie um das zu bekräftigen, sagt er: «Das alles ist für mich ein Dürfen, nicht ein Müssen.»

Doch es gibt etwas, von dem Wilhelm sagt: «Das darf ich nie.» Aus dem Augenwinkel schaut er Ehefrau Dora an und schmunzelt verstohlen. «Pinguine.» Er traut den Wunsch nur leise auszusprechen. Natürlich. Die Antarktis. Der Kontinent, der ihm noch fehlt. «Dafür bräuchte ich aber einen riesigen Kühlschrank.» Dora Wilhelm schüttelt den Kopf. Ginge es nach ihr, gäbe es eher Zwergziegen hinters Haus – oder gleich Kängurus. 

www.gefiederheimat.ch