So mancher, der auf dem Land wohnt, kann sich ein Leben in der Stadt nicht vorstellen. Zu laut, zu hektisch, zu gross, so die gängigen Meinungen. Hilda, Berta, Ida und ihre Kolleginnen würden, wenn sie könnten, ganz bestimmt widersprechen. Denn schöner als das Ihre kann ein Hühnerleben gar nicht sein – auch auf dem Land nicht. Denn die sieben gefiederten Damen haben alles, was es für das Hühnerglück braucht: freien Auslauf, genügend Nahrung, Schutz vor Fuchs und Marder, einen sauberen Stall sowie Menschen, die es gut mit ihnen meinen.

Natalie Lerch-Pieper und Katrin Meyer sind zwei von ihnen. Sie hatten auch die Idee mit den Hühnern. Es fing an mit einem Garten. Die beiden Frauen, seit ihrer Gymizeit Freundinnen und beide wohnhaft in Zürich Wiedikon, fanden, es wäre schön, als Ausgleich zu der Arbeit einen Garten zu haben. Lerch-Pieper arbeitet als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Uni Zürich und Meyer als Juristin in einer Kanzlei. Zwischen dem Aemtlerschulhaus und dem Friedhof Sihlfeld entdeckten sie ihren Traumgarten: den Garten der gemeinnützigen Gesellschaft für Schülergärten (GSG) mit über 1000 Quadratmeter Pflanzfläche.

Zur rechten Zeit am rechten Ort
Die GSG wurde 1911 als erzieherisches Projekt gegründet, um via Gartenarbeit «Knaben und Mädchen vor den Gefahren des Gassenlebens und anderer schädlicher Einflüsse zu bewahren (…) und in ihnen die Freude an der Arbeit und Liebe zum Boden der Heimat zu wecken», wie es in der damals verfassten Satzung heisst. Heute ist das etwas anders formuliert, heute geht es darum, «die Kinder in der Kunst des biologischen Gärtnerns zu unterrichten».

Die Gesellschaft besitzt insgesamt 23 Gärten in der Stadt Zürich und je nach Grösse eines Gartens beschäftigt sie gegen ein kleines Entgelt eine oder zwei Personen, die für dessen Unterhalt sowie den Unterricht der Kinder verantwortlich sind. Den beiden Freundinnen schien das eine reizvolle Aufgabe, und sie beschlossen, bei der GSG ihr Interesse am Aemtlergarten anzumelden. Genau zum richtigen Zeitpunkt. «Wir hatten Riesenglück», erzählt Lerch-Pieper, «man sagte uns, dass die Frau, die den Garten zehn Jahre lang betreut hatte, aufhören wolle.» So konnten sie und Katrin Meyer den Job grad übernehmen.

Das war 2010. Mit viel Freude, wie sie sagen, bestellten sie von nun an gemeinsam mit den Kindern den grossen Garten. Doch da gab es, unter der grossen Tanne, die in einer Ecke des Gartens in den Himmel wächst, noch eine etwa 70 Quadratmeter kleine Rasenfläche. «Die war eher lästig», sagt Meyer, «wir mussten immer im Friedhof drüben fragen, wenn sie grad am Mähen waren, ob sie noch schnell zu uns rüberkämen.»

Aber die beiden Frauen wussten auch nicht so recht, wodurch sie den Rasen hätten ersetzen können. Bis eine von ihnen mit zwei neuen Tassen für die Pausenküche im Gartenhaus ankam. «Eine hatte ein Schaf drauf, die andere ein Huhn», erzählt Lerch-Pieper lachend. Ja, und plötzlich schien es ihnen naheliegend, unter der Tanne einen Hühnerhof einzurichten. Die GSG hatte nichts dagegen, so konnten die Kinder auch noch erfahren, woher ihre heissgeliebten Chicken Nuggets eigentlich stammen. Also machten sich die beiden Frauen kundig über die Hühnerhaltung und fragten bei Bekannten und Quartierbewohnern, ob sie sich an der Betreuung der Tiere beteiligen würden.

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Die Hühner leben in hübscher Umgebung.
Bild: Monika Zech

Legehennen mit Schönheitsfehlern
«Wir wollten das nicht alleine übernehmen, das wäre neben Job und Gartenarbeit zu viel geworden», sagt Lerch-Pieper. Es war kein Problem, Leute für die Hühner zu begeistern. Bald einmal schlossen sich rund 20 Personen zum Kollektiv «Huhnstrasse» zusammen. Im Juni 2013 war alles parat: das Hühnerhaus gekauft und eingerichtet, der Zaun um das Gehege hochgezogen, das Kollektiv mit Merkblättern und Einsatzplänen für die tägliche Betreuung ausgestattet. Fehlten nur noch die Hühner – einen krähenden Güggel wollte man der umliegenden Nachbarschaft nicht zumuten, das stand von Anfang an fest. «Wir planten ja nur eine kleine Gruppe von fünf bis sechs Hühnern zuzulegen und das geht von der Hackordnung her gut auch ohne Güggel.»

Es waren schliesslich acht. Acht Legehennen von einem Zuchtbetrieb im Kanton Aargau, die wegen kleiner Schönheitsfehler kaum verkäuflich waren, wie die Züchterin den künftigen Hühnerhaltern aus der Stadt erklärte. Sie wären wohl in der Pfanne gelandet. So aber hatten sie das Glück, nach Zürich geholt zu werden, wo sie als Ida, Hilda, Berta und wie sie alle heissen ein paradiesisches Dasein in einer Stadtoase geniessen sollten. Eine Trübung erfuhr dieses Glück allerdings ein paar Wochen später: Trotz regelmässiger Präventionsmassnahmen hatte sich die Rote Vogelmilbe im Stall eingenistet. Ein Huhn fiel den Parasiten zum Opfer.

Seither werden die Milben noch konsequenter bekämpft – und die sieben Hühner gehätschelt und gepflegt, egal, wie viele Eier sie legen und wie lange noch. «Denn sie sind ja nicht nur zum Eierlegen da», sagt Lerch-Pieper, «sie haben auch einen grossen pädagogischen Wert für die Kinder.» Ob die Hühner einst eines natürlichen Todes sterben dürfen oder ob das Beil zum Zug kommt, ist im Kollektiv noch nicht definitiv geklärt. Die Mitglieder seien unterschiedlicher Meinung, einzelne fänden, Fleischesser sollten konsequenterweise ihre Hühner auch metzgen. «Vorerst bezahlt das Kollektiv zwei Mitgliedern einen Schlachtkurs, damit man gerüstet ist, falls ein paar zusätzliche Hühner als klare Nutztiere gehalten werden sollten.»

Der Hühnerhof im Aemtlergarten ist längst nicht der einzige im städtischen Raum. Im Trend des sogenannten «Urban Farming» sind mittlerweile einige Stadtbewohner zu Hüh­nerhaltern geworden. In und um Bern hat sich die Zahl der Stadthühner zwischen 2011 und 2014 verdoppelt – von 92 auf 185 Tiere. Die Stadt Genf fördert die städtische Hühnerhaltung im Kollektiv sogar mit 1000 Franken Startkapital. Wie viele Hühner es in der Stadt Zürich gibt, liess sich wegen einer derzeitigen EDV-Umstellung beim kantonalen Veterinäramt nicht im Detail eruieren. Im ganzen Kanton Zürich seien derzeit rund 2500 Geflügelbestände registriert, hiess es auf Anfrage.

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Ein Architekt entwarf das «Schigu»-Hühnerhaus.
Bild: zVg

Ein Hühnerhaus vom Architekten
Klar ist jedoch, dass einer der ältesten, wenn nicht der älteste städtische Hühnerhof der Schweiz auf Zürcher Boden steht: Bereits 1996 gründeten ein paar Quartierbewohner im Kreis 6 den Verein «Hühnerhof Schigu», um laut Statuten «die aktive Beziehung und das Erlebnis der Quartierbevölkerung zur Natur zu fördern». Ein Jahr später zogen die Hühner in ihr Gehege auf der Kronenwiese – und in ein Hühnerhaus, das ein Architekt extra für sie entworfen hatte. Auch bei diesem Projekt sorgt ein Kollektiv für die Hühner. «Derzeit etwa 25 Personen», sagt Jolanda Schärer, Kassierin des Vereins und mittlerweile am längsten dabei.

Vor zwei Jahren sah es fast danach aus, als wäre des Ende des Hühnerhofs gekommen: Wegen einer Grossüberbauung auf der Kronenwiese war kein Platz mehr für die Schigu-Hühner und man dachte schon an eine Auflösung des Vereins. Doch mit über tausend Unterschriften beteuerten die Anwohner, dass sie sich eine Weiterführung des Hühnerhofs wünschten. Mithilfe von Grün Stadt Zürich sowie dem Gemeinschaftszentrum Schindlergut wurde schliesslich ein neuer Standort im Quartier gefunden. Im letzten Sommer war die grosse Züglete, an der sich auch viele Anwohner beteiligten – sogar die Berufsfeuerwehr, die mit einem Kranfahrzeug das Hüh­nerhaus an den neuen Ort verfrachtete. Und so erfreuen die Schigu-Hühner mit ihrem Gegacker und natürlich den Eiern weiterhin grosse und kleine Menschen – in einer grünen Oase mitten in der Stadt.