Eine grosse Box. In der rechten Hälfte pickt ein Huhn genüsslich nach seinen Körnern. Links befindet sich die Tafel für das Denkspiel «Tic-Tac-Toe». Wirft man Geld in den Kasten, kann das Spiel gegen das Huhn beginnen. Das Huhn beginnt. Pickt es auf die Schaltfläche an der Wand, löst es seinen ersten Spielzug aus und der Mensch ist an der Reihe. So wird abgewechselt, bis jedes Spielfeld ausgefüllt ist. Das Spiel endet in den meisten Fällen unentschieden oder aber das Huhn geht als Sieger hervor. Wie ist das möglich? Sind Hühner tatsächlich so intelligent, dass sie den Menschen in einem Denkspiel schlagen können?

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Quelle: YouTube/insertsoundeffect

Was sich hier so unglaublich anhört, hat in Wirklichkeit nicht viel mit Intelligenz zu tun. Zumindest nicht im herkömmlichen Sinn. Das Huhn hat in diesem Fall nicht gelernt «Tic- Tac-Toe» zu spielen, sondern ganz gezielt nach einer Belohnung zu picken. Leuchtet ein Punkt auf der Tafel auf, pickt es zu und erhält dafür Futter. Hat der Gegner seinen Zug ausgeführt, berechnet der Computer den nächsten Zug des Huhnes und lässt das entsprechende Licht aufleuchten. Für den Betrachter wirkt dies, als würde das Huhn auf den Zug des menschlichen Gegners reagieren.

Mit viel Geduld und der richtigen Methode kann man einfach trainieren
Was so einfach aussieht, wurde dem Huhn in unzähligen Trainingsstunden mit der sogenannten operanten Konditionierung beigebracht. Dabei wird das Huhn belohnt, wenn es das gewünschte Verhalten zeigt. Als Belohnung kann irgendetwas genutzt werden, was das Tier will, sucht oder braucht. In den meisten Fällen handelt es sich um Essbares. 

Diese Methode wird nicht nur bei Hühnern, sondern generell beim Training mit Tieren angewendet. Die Idee dahinter? Wenn das Huhn positive Erfahrungen mit einem bestimmten Verhalten macht, wird es dieses vermutlich wieder zeigen. Dabei ist der richtige Moment für die Belohnung entscheidend, denn das Huhn muss die Verknüpfung zwischen seinem Verhalten und der Belohnung erkennen. Oft wird dazu ein Klicker eingesetzt. Dieser soll verhindern, dass eine Verzögerung zwischen der erfolgreich ausgeführten Aufgabe und der Belohnung entsteht. Das ist mit einem Klick-Geräusch einfacher und schneller möglich als mit der Gabe von Futter oder anderen Belohnungen. Nach einiger Zeit weiss das Huhn beim Ertönen des Klickers, dass es in naher Zukunft eine Belohnung bekommt. Doch egal ob mit oder ohne Klicker, die Übung muss wiederholt werden, bis das Tier die Aufgabe jedes Mal erfolgreich abschliesst. 

Die einzelnen Übungssequenzen sollten relativ kurz gehalten werden. Erfahrungen haben gezeigt, dass ein Huhn maximal 15 Minuten aufmerksam ist und danach die Konzentration nachlässt. Wer mit dem Huhn trainiert, sollte immer ruhig bleiben, ansonsten kann sich die eigene Ungeduld oder Frustration auf das Tier übertragen und somit den Erfolg des Trainings gefährden. Ist die Übung komplex, ist es empfehlenswert, die einzelnen Schritte nacheinander einzuüben. Erst wenn das Huhn den ersten Schritt verstanden hat und beherrscht, kann ein neues Element hinzugefügt werden. Los geht es immer mit der einfachsten Übung, dann steigert man den Schwierigkeitsgrad. Unerwünschtes Verhalten wird bei dieser Trainingsmethode weder bestraft noch belohnt, sondern eher ignoriert. 

Bevor es an den Hund geht, muss man sein Trainer-Geschick beim Huhn beweisen
Vor allem in den Vereinigten Staaten wurde diese Trainingsmethode bei Tieren als Erstes weiterentwickelt und vorangetrieben. Keller und Marian Breland, zwei ehemalige Studenten des bekannten amerikanischen Psychologen Burrhus Frederic Skinner, interessierten sich für die Grundsätze der Verhaltensanalyse und dafür, wie sie auf die Tierausbildung ausserhalb eines Labors angewandt werden kann. Zusammen gründete das Ehepaar 1955 den IQ-Zoo in Arkansas, eine populäre Touristenattraktion, die auch als Laboratorium für Lehr- und Forschungsprojekte gedient hat. Verschiedenen Tierarten wurden hier Kunststücke beigebracht, die sie mit wenig oder gar keiner menschlichen Hilfe ausführten. In einer Vorführung pickte ein Huhn auf einen Baseball, um ihn wegzuschlagen und dann um ein ganzes Mini-Baseballfeld zu rennen. In einer weiteren zeigte ein Waschbär, dass er einen kleinen Basketball durch einen Reifen fallen lassen und danach die Anzahl der geworfenen Körbe angeben kann. Nach dem Tod von Keller Breland führte zuerst seine Frau die Geschäfte weiter, danach Bob Bailey, der ehemalige Direktor der Tierausbildung für die US-Marine. 1990 wurde der Zoo schliesslich geschlossen. 

Bob Bailey lebt und trainiert heute noch Tiere. Zukünftige Hundetrainer lässt er immer zuerst mit Hühnern arbeiten. Dies zum einen, weil die Vögel sehr soziale Tiere sind, und sich zum anderen schnell an ein neues Umfeld anpassen. Zudem sind Hühner extrem auf Essen fixiert und können damit relativ einfach angelockt werden. Und die schnellen Bewegungen der Hühner stellen die Tiertrainer vor eine Herausforderung, die für die spätere Arbeit mit Hunden von Nutzen sein kann. 

Hühner sind also in der Lage, sich an eine lange Sequenz von Aufgaben zu erinnern, um an eine Belohnung zu gelangen. Siobhan Abeyesinghe und ihre Kollegen am Silsoe-Forschungsinstitut in Grossbritannien gaben sich mit dieser Erkenntnis allerdings nicht zufrieden. Stattdessen versuchten sie herauszufinden, ob Hühner auch zur Selbstkontrolle fähig sind. Dafür stellte man die Tiere vor die Wahl. Entweder gab es sofort eine kleine Belohnung oder eine grössere etwas später. Dazu lernten die Tiere auf farbige Schlüssel zu picken. Je nach Farbe des Schlüssels öffnete sich das Tor zum Futter entweder schnell, aber nur für wenige Sekunden, oder verzögert und dafür umso länger. Hatten die Hühner das einmal verstanden, entschieden sich die meisten für die zweite Wahl. Hühner sind also imstande zu verstehen, dass ihr Handeln Konsequenzen hat.