Es ist an sich kein Kompliment, wenn man jemandem sagt, er habe ein Spatzenhirn. Wer allerdings um die Intelligenz und die Fähigkeiten von Vögeln weiss, könnte sich über eine solche Aussage sogar freuen. Besonders interessant für die Forschung sind in diesem Zusammenhang Brieftauben. Alleine schon deshalb, weil sie an Menschen gewohnt und handzahm sind. Es gibt unendlich viele Versuchsreihen, in denen Wissenschaftler untersucht haben, woran sich Brieftauben bei ihrem Flug orientieren. Vieles wurde vermutet und einiges wurde bewiesen. Zu hundert Prozent weiss man aber immer noch nicht, wie die Vögel jeweils den Heimweg finden. Eine Rolle spielen fast sicher der Stand der Sonne, der Erdmagnetismus, der Geruchssinn, das Gehör, aber auch die Orientierung an der Landschaft und an Gebäuden. Alles Faktoren und Fähigkeiten, die die Tauben wohl in Kombination nutzen. So finden sie auch dann noch den Weg, wenn etwas davon wegfällt.

Dass sich Brieftaubensportler für solche Forschungen besonders interessieren, liegt auf der Hand. Trotzdem: Allfällige Störungen bei Wettflügen können damit nur selten wirklich erklärt werden. Solange man nicht genau weiss, wie sich die Vögel orientieren, kann man auch nicht sagen, was sie aus dem Konzept bringt.

Es gibt noch viele andere erstaunliche Fähigkeiten, über die diese intelligenten Vögel verfügen. Auch wenn ein Taubenhirn nur so gross wie eine Fingerspitze ist. Bereits in früheren Ausgaben der «Tierwelt» (Nr. 17 und 19/2012) haben wir über den Versuch des Neuseeländer Psychologen Damian Scarf berichtet, der Tauben im Rahmen seiner Masterarbeit das Zählen beibrachte. Zuerst lernten die Tauben bis drei zu zählen, was sie bald mit einer Sicherheit von bis zu 90 Prozent konnten.

Wie viele Viereckchen liegen da?
Die komplexeste Aufgabe bestand darin, von zwei Abbildungen mit einer unterschiedlichen Anzahl Viereckchen jene herauszupicken, auf der weniger Viereckchen zu sehen sind. Etwas, was auch ein Mensch nicht auf Anhieb kann. Sogar bei hohem Schwierigkeitsgrad trafen die Tauben bei diesem Experiment in 70 bis 90 Prozent der Fälle die richtige Wahl. Unsereins muss zählen, um die kleinere Anzahl Viereckchen mit Sicherheit angeben zu können. Da stellt sich die Frage: Zählt die Taube auch oder schätzt sie das Ergebnis?

Ebenfalls erforscht wurde, wie gut Tauben beobachten können. Dabei fand man heraus, dass sie Menschen voneinander unterscheiden können, sogar Gesichtsausdrücke erkennen, aber auch Buchstaben aus dem Alphabet. Sie schaffen es zudem, Bilder zu unterscheiden, zum Beispiel einen Monet von einem Picasso. Es heisst, dass sie sich bis zu 1800 verschiedene Bilder merken können.

Tauben erkennen Brustkrebs
Die neusten Forschungsergebnisse zu Tauben haben Wissenschaftler der US-amerikanischen Universitäten von Iowa und California letzten Herbst publiziert. Sie haben herausgefunden, dass Tauben durch Training krebsbefallene Zellen auf Röntgenbildern erkennen können. Konkret wurden die Vögel mit Futter dazu trainiert, Anzeichen von gut- oder bösartigem Gewebe auf Mammografie-Scans (Brustkrebsuntersuchung) und anderen Röntgenaufnahmen zu unterscheiden. Anfänglich hatten die Tiere Mühe damit, aber von Tag zu Tag steigerten sie ihre Trefferquoten. Innerhalb von 15 Tagen erhöhte sich die Trefferquote von 50 auf 85 Prozent. In einem Test mit vier Tauben lag der Wert sogar bei 99 Prozent. Damit waren die Ergebnisse so genau wie die eines Radiologen.

Es ist natürlich nicht vorgesehen, dass in Zukunft Brieftauben in den Labors die Röntgenbilder beurteilen. Die Ergebnisse dieser Forschung können jedoch unter anderem bei der Entwicklung von medizinischen Bildgebungs-, Bildverarbeitungs- und Bildanalyseprogrammen helfen.

Trainierte Tauben erkennen Krebszellen: Je nachdem, ob das Gewebe auf dem Bildschirm gut- oder bösartig ist, klicken sie auf den blauen oder gelben Balken.

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