Mit Overall, hohen Gummistiefeln, roter Mütze und Tablet in der Hand wartet Iris Brunhart vor einem Stall hoch oben im Prättigau auf rund 1000 Metern über Meer. Die Tierärztin muss hier eine Grundkontrolle im Bereich Tierschutz durchführen – ein Prozedere, das jeder Landwirtschaftsbetrieb von Gesetzes wegen alle vier Jahre durchlaufen muss.

Natürlich werde sie als Kontrolleurin oft zuerst nicht für voll genommen, erzählt die 45-Jährige. «Aber in der Regel merken die Bauern schnell, dass wir miteinander auf Augenhöhe reden.» Seit Oktober 2015 arbeitet die Veterinärmedizinerin aus dem Luzernischen beim Amt für Lebensmittelsicherheit und Tiergesundheit (ALT) der Kantone Graubünden und Glarus, wo sie die Fachstelle Tierschutz im Bereich der Nutztiere leitet. 550 Tierschutzkontrollen führten sie und ein Pool aus amtlichen Fachassistenten im Jahr 2019 durch. Diese jeweils unangemeldet. «Sonst machen die Kontrollen meiner Meinung nach wenig Sinn.»

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Messgeräte offenbaren Mängel
Auf dem Hof von heute ist Brunhart zum ersten Mal. Sie weiss also nicht, was sie erwartet und wie der Landwirt reagieren wird, zumal die Kontrolleurin zusätzlich noch eine Journalistin und einen Fotografen im Schlepptau hat. Ausserdem ist Freitag, der 13. – hoffentlich kein schlechtes Omen. Als der Bauer schliesslich mit einem Lächeln um die Ecke kommt, ist die Sorge schnell verflogen. Er habe nichts zu verbergen, sagt er sofort. Dafür stehe er auch mit seinem Namen hin: Georg Willi.

Zuerst gehts zu den rund 40 Schafen, die sich bereits blökend bemerkbar machten und den Besuch nun neugierig beäugen. Brunhart schaut sich um, greift in die Tasche und holt ein Messgerät hervor, mit dem sie Stall und Krippe vermisst. «Die Schafe haben genug Platz», kommentiert sie. Nach einem kurzen Blick ins Kontrollhandbuch tippt sie Zahlen in den Taschenrechner. «Für die aktuelle Anzahl Tiere ist die Futterkrippe allerdings ganz knapp zu klein bemessen.»

Bauer Willi wirkt überrascht. Doch Brunhart zeigt Verständnis. Gerade bei Schafherden, in denen die Grösse je nach Geburtenstärke zwischenzeitlich variieren kann, könne das mal vorkommen. Sie rät dem Bauern, die Krippe am besten um ein Element zu verlängern. «Dann sind Sie beim nächsten Mal auf der sicheren Seite.» 

Auch das Lichtmessgerät bringt einen Mangel zutage: Für die Schafe ist es hier zu dunkel. «Bisher sagten alle Kontrolleure immer, das sei hier von der Helligkeit her ein Luxusstall», sagt Willi. Brunhart deutet auf eine Strohlage, die eines der grossen Fenster verdeckt. «Wenn Sie die entfernen und die Fenster sauber halten, sollte es wieder hell genug sein.» Auch bei den Rindern, den Hühnern, den Pferden und den Ziegen notiert Brunhart kleinere Mängel. So könnte etwa eine Liegebox bei den Rindern mehr Einstreu vertragen, und im Hühnerstall fehlt eine zusätzliche Sitzstange.

Entscheidend, wie der Bauer reagiert
Der elektronisch entstandene und von Willi unterzeichnete Kontrollbericht wird anschliessend im ALT zu einem Kontrollbericht verfasst, der ihm auf dem Postweg zugestellt wird. Eine Kopie davon geht ans Amt für Landwirtschaft und Geoinformation, das basierend auf dem Kontrollergebnis allfällige Kürzungen von Direktzahlungen veranlasst. Je nach Art der Mängel wird deren Behebung mittels einer Zusatzkontrolle im Folgejahr überprüft.  

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Brunhart ist zufrieden. «Einen schönen Betrieb haben Sie hier», sagt sie am Schluss zu Landwirt Willi. «Die Tiere sind gepflegt. Man merkt, dass Sie gut zu ihnen schauen.» Ein Lob trotz mehrerer Mängel – wie geht das auf? «Die Mängel sind nicht gravierend. Auch in den besten Betrieben gibt es Verbesserungsmöglichkeiten. Gehen diese mit einer Abweichung von den geltenden Bestimmungen einher, werden sie als Mangel erfasst», sagt Brunhart. Oft seien die Bauern betriebsblind und würden nicht an jedes Detail denken – etwa, dass die Futterkrippe bei Zuwachs grösser werden sollte. 

Entscheidend sei auch, wie ein Bauer auf festgestellte Mängel reagiert. Daran erkenne man, ob er das Beste für seine Tiere wolle, was bei Willi eindeutig der Fall sei. Tatsächlich: Georg Willi folgt den Erläuterungen der Tierschutzkontrolleurin stets aufmerksam und nimmt ihre Ratschläge dankbar an. Wie sehr der Landwirt um das Wohl seiner Tiere bemüht ist, wird spätestens im Pferdestall klar, wo er gemeinsam mit Brunhart über eine noch bessere Einteilung der Boxen fachsimpelt. Und auch wenn er öfters mal durchblicken lässt, dass die immer strengeren Richtlinien seiner Arbeit zusetzen, so scheinen sich die Kontrolleurin und der Bauer in diesem Fall auf Augenhöhe zu begegnen.

Auch in den besten Betrieben gibt es Verbesserungsmöglichkeiten.

Iris Brunhart
Tierschutzkontrolleurin

Dasselbe bei der nächsten Kontrolle an diesem Tag. Eine Privatperson hatte dem Amt gemeldet, im Kanton Graubünden Alpakas mit zu langen Zähnen gesehen zu haben. Auch das gehört zur Arbeit von Brunhart. 2019 gingen rund 80 solcher Meldungen zu Nutztierhaltungen von Drittpersonen beim Amt ein. Jeder einzelnen wird nachgegangen. So auch in diesem Fall. Vor Ort zeigt sich, dass die Halterin der Tiere, die nicht namentlich erwähnt werden will, sich der Problematik bewusst ist. Aufgrund schlechter Erfahrungen wisse sie aber nicht, an wen sie sich wenden solle.

Brunhart nimmt die Mängel auf und erteilt der Frau die Auflage, sich bei einem Fachmann ein Gutachten mit Rückmeldung ans Amt einzuholen, dessen Kontakt sie ihr herstellt. Basierend auf dem Gutachten wird das Amt die zu treffenden Massnahmen anordnen. «So ist letztlich allen geholfen, den Tieren und auch der Halterin.»

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Nebenerwerb ist keine Ausrede
Es geht aber auch anders. Da bei einer Schafherde vor einem Jahr Mängel festgestellt worden waren und in der Zwischenzeit der Betreiber gewechselt hat, will Brunhart nun eine Zusatzkontrolle durchführen. Schon von Weitem entdeckt sie erste Mängel. So ist der Miststock im Auslauf nicht genügend abgetrennt und dadurch für die Schafe zugänglich. Die Einzelboxen für die Auen mit ihren Lämmern sind zu klein und für die angetroffene Anzahl Schafe sind zu wenig Fressplätze vorhanden. Ausserdem fällt im Stall ein beis­sender Ammoniakgeruch auf, die Einstreu ist übermässig mit Schafurin und -kot verschmutzt. Brunhart erklärt dem Bauern, wieso das der Gesundheit der Schafe schadet und wie er dies künftig verhindern kann.

Der junge Mann nimmt die festgestellten Mängel sowie die Tipps während der Schlussbesprechung zur Kenntnis. Wirklich zu kümmern scheint es ihn aber nicht. Ob es daran liegt, dass er die Schafherde im Nebenerwerb hält und deshalb weniger Zeit für sie aufwenden kann? Diese Erklärung lässt Iris Brunhart nicht gelten. «Wenn jemandem die Tiere am Herzen liegen, spielt es meiner Erfahrung nach keine Rolle, ob er nun voll von ihnen lebt oder nicht. Es steht und fällt mit dem Tierhalter und seiner Einstellung.»