Etwas erschöpft trottet Kolin am Strick neben seinem persönlichen Betreuer Mändel Nussbaumer her. Ein berühmter Muni zu sein, fordert seinen Tribut. Den ganzen Tag schon leistet er Medienarbeit. Er lässt sich für die Kameras herausputzen, wird herumgeführt und fotografiert. Auch so kann ein Stierenleben in der Schweiz aussehen. Seit Kolin am Zuger Stierenmarkt als Siegermuni für das Eidgenössische Schwingfest (ESAF) von diesem Wochenende in Zug auserkoren wurde, ist für ihn und Mändel Nussbaumer nichts mehr wie vorher.

Drei Jahre ist es mittlerweile her, dass sich Kolin am Zuger «Stieremärt» gegen seine Konkurrenz durchsetzen konnte. Erst gute zehn Monate alt war der Jungstier damals. Zu seiner Wahl führte nicht nur sein stimmiges Aussehen, sondern auch andere wichtige Werte. «Er musste vor allem einen angenehmen Charakter haben, da er später auch in grossen Menschenmengen ruhig bleiben soll», sagt Kurt Häfliger, Gabenchef des ESAF 2019. Auch die Genetik war wichtig für Kolins Sieg. «Dabei haben wir uns von Experten von Braunvieh Schweiz beraten lassen», sagt Häfliger. Und so avancierte Kolin zum wichtigsten Lebendpreis des diesjährigen ESAF. «Für Landwirte ist es immer eine grosse Ehre, wenn ihre Stiere, Rinder oder Pferde als Lebendpreis am Eidgenössischen auftreten dürfen», sagt Häfliger.

Kolin lebt auf dem Betrieb von Otto Nussbaumer in Unterägeri ZG, der ihn als Kälbchen kaufte. Damals hiess er noch Rubel. Seit seiner Taufe heisst er nun Kolin, benannt nach einem berühmten Lokalhelden. Der Zuger Bannerherr und Ammann Peter Kolin starb 1422 in der Schlacht von Arbedo TI beim Retten der Zuger Landesfahne den Heldentod. Bis heute ist der Name Kolin in Zug allgegenwärtig. Und jetzt auch auf dem Hof von Otto Nussbaumer: Hoch über dem Stall prangt ein blaues Schild mit «Kolinplatz» – so wissen alle gleich, wer auf diesem Betrieb derzeit den Ton angibt. 

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Finanzierungshilfe

Zwei Firmen aus der Region Zug, die Jego AG und die Landis Bau AG, sind offizielle Stierenpartner. Sie haben die Finanzierung von Kolin ermöglicht, der noch dem Organisationskomitee des ESAF gehört. Prominente Taufpaten des Stiers sind die vierfache Schwingerkönigin Sonia Kälin und der Schwingerkönig von 1986, Harry Knüsel.

Doch den engsten Bezug hat Kolin zu seinem Betreuer Mändel Nussbaumer. Er ist der Bruder von Otto Nussbaumer, der als Landwirt zu wenig Zeit hätte, um sich ausreichend um Kolin zu kümmern. Mändel Nussbaumer verbringt viel Zeit mit dem gut 1200 Kilogramm schweren Stier mit den schön geformten Hörnern. «Dass der Siegermuni des Eidgenössischen schöne Hörner hat, war uns ein grosses Anliegen», sagt Kurt Häfliger und verweist damit nochmals auf die Auswahlkriterien für den Siegermuni. Auch Mändel Nussbaumer mag Kolins schönen Kopfschmuck: «Hörner gehören für mich bei einem Original-Braunvieh-Stier einfach dazu.»

Über Spiegelbild erschrocken

Wenn er mit Kolin am Strick über Hof und Weiden trottet, kann man sich kaum vorstellen, dass der Muni gefährlich werden könnte. Doch ist der Umgang mit Stieren letztlich immer mit Risiken behaftet. «Ich lasse Kolin niemals aus den Augen. So kann ich in jeder Sekunde registrieren, wie hoch sein Stresspegel gerade ist», sagt der Betreuer. Er sehe Kolin auf einen Blick an, wie es ihm gehe. So könnte er sofort eingreifen, wenn der Muni zu viel Stress hat.

Dabei mit einer Führstange zu arbeiten, die er im Notfall benutzen könnte, um Kolin auf Abstand zu halten, würde ihm aber nicht einfallen. «Darüber habe er noch gar nie nachgedacht», sagt Nussbaumer lachend. Vielmehr hat er mit dem Stier in den letzten Monaten einige Auftritte in grossen Menschenmengen eingeplant. So kann Kolin sich an den Lärm und den Trubel gewöhnen und Nussbaumer kann besser einschätzen, was ihn Ende August am Eidgenössischen allenfalls erschrecken könnte. Die beiden waren gemeinsam am «Märet» und am Grümpelturnier in Unterägeri. Höhepunkt des «Sozialtrainings» war der Fastnachtsumzug.

Kolin habe das gut gemacht, meint Nussbaumer. «Gleich von Anfang an hat er solche Situationen immer sehr gut gemeistert.» Einzig vom eigenen Spiegelbild, das ihm aus einem Schaufenster entgegensah, erschrak der Stier gewaltig. «Deshalb habe ich ihn von da an regelmässig vor einen Spiegel geführt, wo er sich selber betrachten konnte», sagt Nussbaumer. So hat sich Kolin mittlerweile auch an den Anblick seines Selbst gewöhnt. Während dieser Zeit sind der ESAF-Siegermuni und sein Betreuer ein eingeschworenes Team geworden. Woche für Woche arbeitet der Mann einen ganzen Tag lang mit dem Stier. Dabei ist eine enge Verbindung zwischen Mensch und Tier entstanden, welche Nussbaumer gar nicht zu beschreiben vermag. «Sie funktionert ganz ohne Worte», sagt er.

Ein goldener Nasenring

Wie sehr ihm die Verbindung zu Kolin unter die Haut geht, demonstriert das Tattoo auf Nussbaumers rechtem Oberarm. Kolin, noch in etwas jüngerer Form, blickt da dem Betrachter hoffnungsvoll entgegen. Doch was wird aus dieser besonderen Freundschaft, wenn der Schwingerkönig den Lebendpreis mitnimmt? «Darüber mache ich mir keine Gedanken. Von klein auf durften wir uns zwar um Tiere kümmern, mussten sie dann aber eines Tages wieder abgeben», sagt Nussbaumer. Meistens kamen die Tiere dann in die Metzgerei. «Daran bin ich gewöhnt», sagt er und sprayt mit viel Hingabe Haarspray auf Kolins Kraushaare. Auch ans Stylen musste er den Muni erst gewöhnen. Ob das Toupieren der Schwanzhaare, das Besprayen der Klauen mit schwarzem Glanzspray oder das Einreiben der Hörner mit Melkfett: Mittlerweile lässt Kolin alles gerne mit sich geschehen. So kommt er zumindest an die frische Luft und raus aus dem Stall, in welchem er wie fast alle Stiere in der Schweiz fast ständig lebt.

«Er ist bereit fürs ESAF», ist sich Nussbaumer sicher. Auch der goldene Nasenring liegt schon bereit, welcher von da an seine Nase zieren wird. Was danach mit Kolin passieren wird, ist noch offen. «Für einen KB-Stier ist er bereits etwas zu alt und für einen Natursprungstier zu schwer», sagt Kurt Häfliger. So kann es gut sein, dass Kolin nach dem Schwingfest noch einige wenige Jahre auf Otto Nussbaumers Hof bleiben wird und sein Gnadenbrot erhält. Für Nachkommen hat er jedenfalls bereits gesorgt, springen doch schon einige Königskälbchen auf Schweizer Betrieben herum.