He Tanja», ruft Florian Plattner in die Weide bei Avenches VD hinaus und in seiner Stimme schwingt die Liebe und Begeisterung mit, die am Anfang des Abenteuers Bison stand. Der Anfang, der liegt bald ein Vierteljahrhundert zurück. Die Liebe zu den Tieren ist geblieben, die Begeisterung für das Projekt ist ein bisschen abgeflaut. Aber davon später, denn jetzt hebt Bisonkuh Tanja ihren Kopf, grunzt, trottet auf den Bauern zu und holt sich Streicheleinheiten. Dabei wird sie von ihrer Herde beobachtet, die respektvoll Abstand hält. «Tanja ist eine Ausnahme», sagt der 51-Jährige. «Sie kam als Zwilling zur Welt, ein eher seltenes Phänomen bei Bisons, die in der Regel nur ein Kalb werfen.» Und weil in freier Wildbahn zwei Kälber kaum überleben, wird eines oft von der Mutter verstossen.

Aber Avenches liegt nicht im Wilden Westen, nur im Westen der Schweiz, und hier lässt man kein Tier einfach verkommen. So nahm sich Plattner des kleinen Bisonkalbs an und zog es mit der Flasche auf. «Heute zahlt Tanja es mir zurück, indem sie die Leitkuh für die abgesetzten Kälber spielt.» Während sich Tanja von ihrem Chef kraulen lässt, bildet der Rest der Herde einen schützenden Kreis um den Nachwuchs. Man weiss ja nie, was Fotografen und Journalisten so im Sinn haben.

Das tönt nach Idylle pur auf dem Bisonhof. Doch diese Idylle trügt. Das liegt nicht an den Tieren, auch nicht an Plattner, der den 59-Hektar-Hof zusammen mit seinem Bruder Christian führt. Es liegt an den Umständen, den Paragrafen, den Gesetzen und Vorschriften. Und vielleicht auch an den Menschen, welche diese umsetzen. Dabei hatte doch alles so gut begonnen. «Wie so viele Buben hatte ich schon immer von Nordamerika, der Prärie, den Indianern und den Büffelherden geträumt», erzählt der Bauer. Doch zunächst kümmerten sich die Plattners um Mastmunis, um Milchwirtschaft und um Getreidefelder.

Durch die USA gereist
«Ich ahnte aber, dass die Agrarpolitik allenfalls in eine Sackgasse, zu Überfluss an konventionellem Fleisch und Milch führen würde», erinnert sich der Landwirt. Denn da waren die Stimmen, die den Bauern Nischen, neue Wege und Diversifikation empfahlen. Der damalige Jungbauer glaubte den Politikern und Verbandsmenschen und fackelte nicht lange. Er erinnerte sich seiner Bubenträume, packte 1991 den Rucksack, flog in die USA und sah 48 der Vereinigten Staaten und verschiedene der riesigen Bisonherden, welche früher über die Prärie und heute durch die Nationalparks ziehen.

Zurück in der Schweiz besuchten die Waadtländer Bauern Laurent Girardet, einen der ersten Bisonhalter der Schweiz in Genf. «Wir wollten nur eine oder zwei Stunden mit ihm reden», erinnert sich Plattner. «Aber aus den zwei Stunden wurde ein Tag und wir kauften eine kleine Herde Bisons, welche
eigentlich für Italien gedacht war.» Die junge Herde fühlte sich am Murtensee sofort wohl, die Besucher bei den Plattners gaben sich die Klinke in die Hand. Schnell waren auch Abnehmer für das fettarme, butterzarte und wohlschmeckende Fleisch gefunden.

Und eigentlich möchte man die Geschichte hier mit einem Happy End abschliessen. Doch das geht nicht, denn langsam schlichen sich die Probleme ins Leben der Plattners und der Bisons. «Wir wollten zusammen mit einem Koch eine Table d’hôte, zu Deutsch etwas weniger edel Besenbeiz, mit Nose-to-tail aufziehen», erzählt Plattner. Das Raumplanungsamt war jedoch nur gewillt, eine Bewilligung für maximal 20 Gäste zu erteilen. Die daraufhin organisierten Bisonfeste zogen jedoch bis zu 2500 Besucher an.

Dann ist da noch die Geschichte mit den Bundesbeiträgen an die Rinderhalter. Obwohl Bisons offiziell Rinder wie die hiesigen Sim­mentaler oder Brown Swiss sind, erhalten die Plattners kaum die Hälfte der Tierwohl-Beiträge für das Raus-Programm des Bundes.

Ein weiteres Problem ist die Genetik: In Europa gibt es nur drei Bison-Linien, Inzucht droht. Der Import von lebenden Bisons in die Schweiz aus Nordamerika ist aber nur via die EU möglich. Die verlangt seit einigen Jahren, dass sämtliche Tiere der Herde, aus der die importierten Bisons stammen, auf fünf verschiedene Seuchen getestet werden. Das wiederum sehen die Amerikaner nicht ein.

Was die Zukunft bringt
Die wenigen Schweizer Bisonhalter hoffen nun auf eine Ausnahmebewilligung des zuständigen Bundesamtes. Aber das kann dauern. «Es ist wie ein Puzzle», sagt Florian Plattner. «Lauter kleine Einzelteile, die jedes für sich nicht so schwer wiegen. Aber alle zusammen können dir den Rest geben.» Zu diesen Einzelteilen gehört auch die Unge­wissheit, wie lange es den Schlachthof in Avenches noch geben wird, eine Notwendigkeit, da die Tiere auf der Weide geschossen und innert 45 Minuten in einem anerkannten Schlachthof geschlachtet sein müssen.

Tanja hat offenbar genug geschmust und verabschiedet sich mit einem zufriedenen Grunzen. Sie ist eines von rund 150 bis 200 Tieren, die in verschiedenen Herden auf dem Plattner-Betrieb leben. Die Bisonkuh zieht zufrieden mit ihrer Herde davon, ein paar Kälber spielen vergnügt und unbeschwert zwischen ihren Tanten und Müttern. Wenn sie wüssten, wie unsicher ihre Zukunft ist, wären sie vielleicht nicht so friedlich.
 

Dieser Artikel erschien erstmals 2019 in der «Tierwelt».