Um 13 Uhr geht beim TierRettungsDienst in Winkel in der Nähe des Zürcher Flughafens ein Notruf ein. Ein kleiner Hund habe sich mit seinem Gestältchen in einer Holzbeige verfangen. Die Besitzerin, eine ältere Dame, wirkt am Telefon verzweifelt. Claus Feurstein schwingt sich hinter das Steuer seines roten Rettungsfahrzeuges. Sein letzter Einsatz mitten in Zürich ist gerade glücklich zu Ende gegangen: Ein scheinbar herrenloser Hund fand seinen glücklichen Besitzer, beziehungsweise umgekehrt. 

Ruhig und besonnen steuert Feurstein durch den dichten Verkehr. Mit dabei hat er, was zur Grundausrüstung der drei Tierrettungsfahrzeuge gehört, nämlich Kescher, Netz, Katzenkörbe, Hundebox, Greifvogelkorb, verschiedene Leinen und Halsbänder, Verbandsmaterial und eine Sauerstoffbox. «Etwa für Katzen mit Atemproblemen», sagt Feurstein. Sirene und Blaulicht hingegen stehen dem Tierrettungsfahrer nicht zur Verfügung.

Es droht eine eiskalte Nacht
Im aktuellen Fall wäre dies auch nicht nötig; das Leben des Hundes ist laut bisherigen
Erkenntnissen nicht in Gefahr. Bekannt ist, dass das Tier in einer Holzbeige verschwunden ist – und zwar in einer sehr grossen Holzbeige, wie Feurstein wenig später bei seinem Eintreffen vor Ort feststellt. Rund drei Meter hoch türmen sich Stämme und Äste – und vom kleinen Hund, eine Dackelmischung aus Ungarn, wurde zum letzten Mal vor mehr als einer Stunde ein leises Bellen gehört.

Es ist bitterkalt. Keine schöne Vorstellung, dass der Dackel vielleicht die Nacht im Freien verbringen muss. «Hier ist Milo hineingeschlüpft», sagt die Besitzerin und zeigt auf eine Lücke zwischen den Stämmen, während ihr zweiter Hund Milla brav neben der zusammengeknüllten Leine seines verschwundenen Kollegen sitzt. Dass der Dackel einem Tier nachgejagt sein und die Holzbeige längst verlassen haben könnte, hält sie für unmöglich: «Er läuft nie weg.» 

Geduldig hört Feurstein der Besitzerin zu und erkundigt sich auf deren Bitte hin bei der Polizei, ob diese womöglich einen Suchhund vorbeibringen und auf den Dackel ansetzen könnte. Zwar lehnt die Polizei diese Anfrage ab, verspricht aber, mit einer Wärmebildkamera vorbeizukommen, um den Vermissten zu lokalisieren. Damit könnten Hund und Frauchen der bereits von der Betroffenen angedachte nächste Schritt – die gigantische Holzbeige durch einen Förster abtragen zu lassen – erspart werden. 

Polizei verspricht Hilfe
So überraschend die Anfrage bei der Polizei nach einem Spürhund auch scheint, für den Tierrettungsdienst ist die Zusammenarbeit mit den Hütern des Gesetzes nicht ungewöhnlich. In aller Regel verläuft der Kontakt allerdings umgekehrt. So fanden 2017 insgesamt 491 Einsätze auf Veranlassung von Polizei, Feuerwehr, Rettungsdiensten oder dem Veterinäramt statt. Damit jedes Tier – nicht zuletzt Wildtiere – auf schnellstem Weg die bestmögliche Hilfe erhält, ist der Dienst mit Organisationen wie Igel-, Eichhörnchen- und Greifvogelstation und Vogelwarten vernetzt. Gerade im Sommer wird der Notruf sehr häufig und zudem oft wegen wilden Jungtieren gewählt. Bis zu dreissig Einsätze pro Tag finden dann jeweils statt. 

Im kalten Winterwald ist derweil von Dackel Milo noch immer kein Laut zu hören. Und dies, obwohl seine Besitzerin immer und immer wieder verzweifelt seinen Namen ruft. Auch Hündin Milla wird eingesetzt – allerdings ohne Erfolg. Sie schnuppert einen Moment lang an einem der gewaltigen Stämme, um sich dann Interessanterem – einem Büschel Gras – zuzuwenden. 

Inzwischen sind mehrere Spaziergängerinnen und Spaziergänger mit ihren Hunden am Ort des Geschehens vorbeigekommen. Sie versprechen auf ihrem weiteren Spaziergang Augen und Ohren offen zu halten und sich, sobald sie den Dackel irgendwo sehen oder hören, umgehend zu melden. «Ich weiss, wie man als Hundehalter in seiner solchen Situation durch die Hölle geht», sagt ein Hundehalter und schüttelt mitleidig den Kopf. 

Um nicht einfach tatenlos herumzustehen und weil ausser der Besitzerin kein Mensch noch daran glaubt, dass Dackel Milo seit nunmehr zwei Stunden lautlos in der Holzbeige sitzt, macht sich das Team der «Tierwelt» zusammen mit «TierRettungsDienst»-Mediensprecherin Jana Bauer auf, die nähere Umgebung nach dem Vermissten abzusuchen. Kaum fünf Minuten später erreicht Bauer ein Anruf ihres Kollegen Feurstein, der Hund habe tatsächlich in der Beige gesessen und sei nun draussen. 

Zurück auf Feld 1
Eiligst zurückkehrt, bietet sich dem Such-Trupp dann aber ein überraschendes Bild: Kein Dackel ist zu sehen, dafür eine lange Leine, die auf direktem Weg in die Holzbeige hineinführt. Kaum herausgekommen, war der Hund seiner Besitzerin erneut entwischt. Diese unerwartete Entwicklung der Dinge scheint nun sogar den geduldigen Feurstein aus der Ruhe zu bringen: Entschlossen wirft er sich auf den Waldboden und versucht den Hund an der Leine herauszuziehen. Zwar windet sich der Flüchtende erneut erfolgreich aus seinem Gestältchen, aber Feurstein hat bereits zugepackt – und hält den Dackel fest. Nun gibt es für den kleinen Schlaumeier kein Entrinnen mehr. Die Flucht ist vorbei. 

Lachend und schnaufend steht der Tierretter auf und klopft sich den Dreck von den Hosen. Dann nimmt er sein Handy aus der Tasche und meldet der Einsatzzentrale sichtlich erleichtert: «Claus am Apparat, das Hündchen ist draus­sen.» 

Dieser Artikel erschien erstmals 2019 in der «Tierwelt».

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