Sehr ungewohnt mutet sie an, die Ruhe an diesem Morgen im Zoo Zürich. Wo sich normalerweise Besucherinnen, Besucher und fröhliche Kinder in Scharen tummeln, steht heute nur ein einsamer Pfau auf dem Weg. Das Einzige, was es hier zur Zeit in Massen gibt, ist Schnee.

Den Pfau scheint nichts von all dem zu stören. Auch die Tiere, die sich trotz Schnee in ihren Aussenanlagen aufhalten, zeigen keine besondere Reaktion auf uns. «Die meisten Tiere verhalten sich nicht anders, nur weil sie jetzt kein Publikum mehr haben», sagt Zoodirektor Severin Dressen. «Einzig die Menschenaffen scheinen die Besuchenden zu vermissen. Es ist ein bisschen, als hätte man ihnen das Fernsehen abgestellt.» Die Gorillas zum Beispiel interagieren gerne mit den Zuschauern. Die Gruppe funktioniere aber gut und die Tiere können sich bestens miteinander unterhalten, erklärt Dressen. «Sie zeigen keine Entzugserscheinungen.»

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Antilopen in der Kälte
Dressen, der sein Amt im vergangenen Sommer antrat, führt nun durch den tief verschneiten Zoo. Die Schneemassen ziehen auch einige logistische Probleme nach sich. So sind Mitarbeitende damit beschäftigt, den Schnee von den Dächern der Volieren zu schaufeln, damit diese nicht einbrechen. Ein Gärtner bedauert den Verlust seiner Sträucher, die er umtun musste. Und die Grosskatzen dürfen wegen des vielen Schees aus Sicherheitsgründen noch nicht nach draussen. Sollte ein Baum umstürzen und auf einen Zaun fallen, ist es doch besser, wenn die Tiger, Schneeleoparden und Löwen dies nicht mitbekommen. Der Löwe grüsst aus seinen Innenräumen mit einem herzhaften Brüllen – obwohl er natürlich nicht wissen kann, dass wir gerade seine Anlage passieren.

Es ist, als hätte man den Gorillas das Fernsehen abgestellt.

Severin Dressen
Direktor Zoo Zürich

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Im Gegensatz zu den Löwen dürfen die anderen Tiere selber entscheiden, ob sie sich in die Kälte begeben wollen oder nicht. Diese Option wählen doch einige – darunter auch solche, von denen man dies nicht unbedingt erwarten würde, wie die Oryx-Antilopen von der Arabischen Halbinsel oder die Emus aus Australien. Sie seien sich die Kälte aber gewohnt, sagt Dressen. Denn auch in ihrer Heimat könne es nachts sehr kalt werden. «Auch Tieren aus tropischen Gefilden macht die Kälte nichts aus – solange sie einen Ort haben, wo sie sich aufwärmen können.» Bei den Elefanten müsse man sogar schauen, dass sie nicht zu lange draussen bleiben. Sie könnten sich an den dünnen Rändern ihrer Ohren Erfrierungen zuziehen.

Pinguine auf neuen Wegen
In der Nähe des verlassenen Eingangsbereichs tauchen nun seltsame Abdrücke im Schnee auf. «Es sind Königspinguine», sagt Dressen. «Sie sind wahrscheinlich die einzigen Profiteuere des Lockdowns. Sie dürfen nämlich jetzt neue Wege ausprobieren.» Damit die antarktischen Vögel, die in freier Natur einen grossen Teil ihres Lebens im Wasser verbringen, auch genug Bewegung bekommen, findet die sonst bei den Besuchenden sehr beliebte Pinguinparade auch weiterhin statt. Die Tiere dürfen aber jetzt von ihrer gewohnten Route abweichen und neue Teile des Zoos erkunden.

Während die munteren Pinguine also die Zeit ohne Publikum zu nutzen wissen, zeigten sich bei den Mitarbeitenden des Zoos «erste Ermüdungserscheinungen» in dieser schon fast ein Jahr dauernden Situation, wie Dressen sagt. «Es ist für uns alle keine angenehme Zeit und schlägt dem einen oder andern schon aufs Gemüt.»

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Viele Spenden und Patenschaften
Die meisten Mitarbeitenden könne man nicht in Kurzarbeit schicken und der Zoo hat hohe Fixkosten. Staatliche Unterstützung gab es bisher keine. Für das Tierwohl aber sei jederzeit gesorgt. «Wir haben im ersten Lockdown eine unglaubliche Unterstützung in Form von Spenden und Tierpatenschaften erhalten und hatten einen guten Sommer», sagt Dressen.

Wie das ganze Zoopersonal hofft auch der Direktor, im März wieder aufmachen zu dürfen. «Im Frühling wollen die Leute raus. Es zieht sie in die Natur und in den Zoo.» Dann wäre auch der Pfau nicht mehr so allein auf seinen Wegen. Wobei, ihm ists ja einerlei.