Hansruedi Blaser steht in seiner hellen Werkstatt und beugt sich über ein langes Lederstück, das er auf einem Brett ausgelegt hat. Er schneidet es zu einem Riemen und stanzt Löcher. Blaser trägt dabei ein kariertes Hemd, die Überhose wird von breiten Hosenträgern gehalten, auf deren Bändern Steinbock, Murmeli und Edelweiss prangen. Der 54-Jährige lächelt still in sich hinein. Trotz Stress lässt er sich nicht aus der Ruhe bringen.

Blasers Liebenswürdigkeit und Feingefühl übertragen sich auf die Pferde, die er sozusagen einkleidet. Er fertigt Zaumzeug und Kummet, also gepolsterte Bügel, die um Pferdehälse gehängt werden; sie sind ihnen auf den Leib geschnitten. Rund 85 Stunden benötigt er dazu. Wird das nicht sorgfältig gemacht, können die Tiere den Wagen kaum ziehen. «Das Brustblatt muss anatomisch geformt sein», sagt der Sattler. Andernfalls würde dem Pferd das Atmen schwerfallen, wenn es den Wagen aufwärtsziehen müsse. «Ein Kummet für das Pferd ist wie ein Schuh für den Menschen», sagt der Spezialist. Er müsse sich ans Individuum anpassen.

Reisen zu den Kunden
Blaser und seine Mitarbeiter bieten etwas, das es sonst kaum noch gibt. Wenn heute das meiste industriell und standardmässig gefertigt, Defektes einfach durch Neues ersetzt wird, individuelle Wünsche bei Firmen ins Leere laufen, so funktioniert all dies bei der Sattlerei Blaser gegenteilig.

Möchte ein Liebhaber vier Pferde vor einen Landauer spannen, mit unzähligen Lederriemen, Metallringen und Leinen pro Pferd zum Kutscher, so ist er in Wasen BE richtig. In der Sattlerei Blaser kann alles selber angefertigt werden. «Wir können jeden Geschirrteil separat liefern und reparieren auch alles», sagt Blaser.

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Einen Schuh probiert man, bevor man ihn kauft, so auch ein Kummet. Oft wird das Pferd in einem Transporter zu Blaser nach Wasen gefahren. Manchmal aber fährt Blaser mit Kummet und Zaumzeug zum Kunden, um alles anzuprobieren. Reisen nach Davos und Zermatt sind somit für ihn normal. Ein Kummet begleitet ein Pferd schliesslich durch sein Leben, da ist es ausschlaggebend, dass er passt. Blaser scheint die Pferdesprache zu sprechen. Die Tiere lassen sich von ihm berühren und machen mit wie ein kooperatives Kind beim Schuheanprobieren.

Immer, wenn Blaser mit Pferden zu tun hat, erinnert er sich an seine Kinder- und Jugendzeit. «Mein Vater war auf einem Hof in den Wynigenbergen zwischen dem Emmental und Oberaargau Karrer und Pferdeknecht. Auch ich musste helfen und arbeitete meist mit dem Pferd auf dem Feld.» Blaser war ein stiller Beobachter, spannte schon als Kind die Pferde vor den Pflug, die Egge und vor Wagen, wusste, worauf es ankommt, wenn er die zahlreichen Lederriemen befestigte, einhängte oder lockerte.

Damit wollte er auch beruflich zu tun haben. Als Blaser den Sattlerberuf erlernte, wurde ihm auch das Tapezieren beigebracht. «Diese beiden Berufsrichtungen sind heute getrennt», sagt er. Das Zaumzeug alleine besteht aus unzähligen Einzelteilen. «Ich musste 64 Masse auswendig lernen», erinnert sich Blaser.

Nach dem Zweiten Weltkrieg hat das Pferd als Arbeitstier immer mehr an Bedeutung verloren. Die Armee baute ihren Pferdebestand ab. Bauern im Emmental allerdings setzten sie noch bis in die 1970er-Jahre regelmässig auf den Feldern ein, bis sie ganz den Traktoren Platz machen mussten. Sattlereien starben mit den Pferden aus.

Nicht so Blasers Betrieb. Im Gegenteil, er wuchs! 1990 gründete Blaser, der 1986 nach Wasen kam, sein Geschäft. «Ich begann in einem kleinen, rund 20 Quadratmeter grossen Raum ausserhalb des Dorfes», sagt der Lederfachmann. Er habe sein Geschäft von Anbeginn an auf das Arbeitspferd ausgelegt. Immer mehr sprach sich herum, dass da einer am Werk ist, der sein Handwerk versteht. Inserate in der «Tierwelt» seien die einzige Werbung, die er mache.

Sonntagsgeschirr für Pferde
Als das grosse, ehemalige Restaurant von Wasen den Betrieb aufgab und zum Verkauf stand, hatte Blaser schlaflose Nächte. Schliesslich wagte er es, erwarb das Gebäude und baute es aus. Heute betreibt er zentral im Emmentaler Dorf Wasen die mit rund 1000 Quadratmetern wohl schweizweit grösste Sattlerei, die auf Zugpferde spezialisiert ist. Seine Kunden sind teilweise noch immer Bauern, die beispielsweise mit Pferden aus unwegsamen Gebieten im Wald Baumstämme schleppen.

Landwirte sind aber in der Minderzahl. «Wir arbeiten heute oft mit Kutschereibetrieben in Ferienkurorten», sagt Blaser. Einer davon ist Ueli Reichenbach aus Lauenen bei Gstaad BE. Er lobt: «Hansruedi Blasers Material hat sich bewährt, alles ist sauber ausgearbeitet, robust, und er hat grosse, praktische Kenntnisse.» Blaser sei mit dem Pferd vertraut. «Probieren, zurückgeben, wenn es nicht passt, das ist alles kein Problem bei ihm», schwärmt Reichenbach, der mit zehn Freibergern Wagen- und Schlittenfahrten durchführt.

Blaser ist einer der wenigen, die das Handwerk heute noch beherrschen. Gefragt bei Kutschbetrieben ist das Bündnergeschirr. «Es handelt sich um ein typisches Schweizer Sonntagsgeschirr», erklärt Blaser. Kutschbetriebe würden heute gerne schöne, dekorative Geschirre verwenden. Das Kummet des Bündnergeschirrs habe oben zu beiden Seiten hin abgebogene Spitzen und könne mittels eines verbindenden Lederriemens in der Grösse verstellt werden. Im Gegensatz dazu laufe der Spitzkummet oben in einer Spitze aus. «Das Kummet des Bündnergeschirrs ist etwa vergleichbar mit einem Schuh zum Binden, während der Spitzkummet einem Schlüpfer gleichkomme», sagt der Sattler. Ein Kummet sei mit Roggenstroh und Rosshaaren gefüllt.

Geschirre für den Berner Sennenhund
Sieben Angestellte sind in der Sattlerei tätig. Dazu gehören auch zwei der drei Töchter, Barbara und Angela, sowie Hansruedi Blasers Frau Ruth. Zur Sattlerei gehören grosse Verkaufsräume, in denen Utensilien weit über den Sattlerbereich präsentiert werden. Ob Feriengäste aus den USA und Japan oder Einheimische, die originelle Schweizer Geschenke suchen, die 24-jährige Tochter Barbara berät sie.

Ein typisches Geschenk sei eine Glocke mit entsprechend besticktem Band. «Schweizer Firmen, die in China tätig sind, verschenken regelmässig Glocken», sagt Blaser. Verarbeitet werde Kuhleder. «Wir beziehen es aus dem europäischen Ausland, weil es nicht mehr genügend Schweizer Gerbereien gibt», sagt der Sattler.

Im Ladenlokal stehen auch kleine Hunde aus Holz, die einen Wagen ziehen. Die winzigen Geschirre dazu hat Hansruedi Blaser gefertigt. Natürlich stellt er auch Geschirre für richtige Berner Sennenhunde her, die vor Wagen gespannt werden, ebenso wie Geschirre für Kamele. «Selbst Hunde, Esel und Ziegen, bringen wir fast zum Fliegen», steht auf seinem Prospekt. Mit einem guten Schuh lässt sich eben weit und freudig wandern.

www.blaser-sattlerei.ch

Dieser Artikel erschien erstmals 2019 in der «Tierwelt».