Isabelle Tompkins’ Vision fängt irgendwo dort an, wo der Horizont beginnt. Von einer windgepeitschten Anhöhe blickt die 26-Jährige über eine abenteuerlich schroffe Berglandschaft. Weit im Nordwesten liegt ein Gipfel, auf dem die letzten Reste eines überraschenden Schneefalls in der Sonne glitzern. «Da drüben liegt der Camdeboo-Nationalpark», sagt sie, «von dort könnten die Tierherden irgendwann einmal wieder frei bis zum Mountain-Zebra-Nationalpark ganz im Osten wandern.»

Wer der jungen Frau mit dem Geländewagen durch ihr Traumland im Herz Südafrikas folgt, taucht ein in eine der spektakulärsten Naturlandschaften am Kap. Nicht weit von ihrem Aussichtspunkt grasen ein paar Bergzebras vor einem schwindelerregenden Abgrund. In einiger Entfernung wirbelt eine Herde Weissschwanzgnus im Galopp eine Staubwolke auf. So weit das Auge reicht – keine Strasse, kein Strommast, keine Menschenseele. Die harsche Wildnis der Karoo scheint vom Gipfelplateau des Kondoa aus betrachtet keine Grenzen zu kennen.

Das Samara-Wildreservat inmitten der Grossen-Karoo-Halbwüste ist mit 27 000 Hektar eines der grössten privaten Schutzgebiete Südafrikas. Seit 1997 kauften Isabelles Eltern, der englische Unternehmer Mark Tompkins und seine Frau Sarah aus Johannesburg, nach und nach das Weideland von elf Farmen auf. Sie liessen die Viehzäune niederreissen und träumten von einem Wildtierparadies mit atemraubender Bergkulisse.

Leoparden kamen von selbst
«Anders als die privaten Reservate, die an den Kruger-Nationalpark angrenzen, begannen wir quasi bei null», sagt Isabelle Tompkins. Dort musste man einfach die Zäune zum Nationalpark entfernen und hatte die Big Five auf seinem Grundstück. «Hier war es ein sehr viel längerer Weg.» Zunächst begannen die Tompkins das überweidete Grasland langsam wieder mit ursprünglich hier heimischen Pflanzenarten wie den Speckbäumen aufzuforsten. Über die Jahre wurden eine ganze Reihe an Tierarten angesiedelt.

Inzwischen leben wieder mehr als 50 Giraffen, 250 Elenantilopen, 200 Oryxantilopen, 250 Weissschwanzgnus, 200 Steppen- und 35 der seltenen Bergzebras in Samara. Über 1500 Springböcke ziehen durch das Buschland. Als Pioniere unter den Raubkatzen, die eine neue Heimat in dem Schutzgebiet fanden, kamen vor 15 Jahren Geparden hinzu. Mehr als 20 ihrer Nachkommen wurden seither in anderen Reservaten ausgesetzt. Auch für Büffel, Breit- und Spitzmaulnashörner ist Samara ein Rückzugsort geworden.

Die einzigen Grosstiere, die von selbst einwanderten, waren Leoparden. Für sie sind auch hohe Zäune kein Hindernis. Fotos von Kamerafallen belegen, dass sie noch immer durch das Gebirge streifen. Ob sie sich allerdings langfristig in Samara ein Revier suchen, ist nur schwer zu sagen.

Mehr als 20 Jahre lang warteten die Tompkins auf den Moment, als die ersten Elefanten ins Reservat entlassen wurden. «Ich war selbst dabei, als sie für den Transport von einem Helikopter aus betäubt wurden», erzählt Tompkins. «Fünf Stunden lang waren sie mit Lastern nach Samara unterwegs.» Erst kam eine Herde von sechs Tieren aus dem Kwandwe-Reservat in die Karoo. Später folgten zwei ausgewachsene Bullen aus dem Phinda-Reservat nach Samara – die ersten Elefanten in der Gegend seit 150 Jahren.

Am Hang des Kondoa-Massivs trifft Isabelle auf die Biologin Penny Pistorius. Mit dem Fernglas beobachtet die 36-Jährige von der Artenschutz-Initiative Elephants Rhinos People die sechsköpfige Dickhäuterfamilie, die sich gerade in einiger Entfernung ihren Weg durch das Dickicht bahnt. Sie ist verantwortlich, dass sich die Tiere in ihrem neuen Habitat gut zurechtfinden. «Wo sie herkommen, gibt es keine Berge», erklärt Pistorius, «aber sie haben sich schnell an das Terrain gewöhnt und scheinen sich besonders die Cussonia-Bäume schmecken zu lassen.» 

Den jüngsten Zuwachs erhielt Samara erst 2019. Zum ersten Mal seit fast 200 Jahren ist in der Camdeboo-Ebene und den Bergen der Karoo nun wieder das Brüllen von Löwen zu hören. Dem König der Tiere scheint es hier zu gefallen: Gerade erst um die Jahreswende haben die Tompkins drei Löwenbabys entdeckt. Mit der Rückkehr der Löwen ist Samara nun offiziell ein Big-Five-Reservat.

Akademie für Spurenleser
Für die Geparden bedeuten die Löwen indes eine potenzielle Gefahr. Platz sei jedoch für beide Katzen genug und Beutetiere gebe es im Überfluss, sagt Tompkins. Bisher scheinen sich die beiden jedenfalls weitgehend aus dem Weg zu gehen. «Unser nächstes Projekt steht schon an», sagt die Artenschützerin, «weil mit den Löwen nun auch mehr Kadaver zurückbleiben, liegt es nahe, auch Aasfresser wie Schabrackenhyänen anzusiedeln.» Die ersten Tiere sollen in diesem Jahr ankommen.

Auch Karel Benadie freut sich über die Raubtiere. «Sie werden die Natur wieder ins Gleichgewicht bringen», sagt er. Der 55-Jährige, den in Samara alle Pokkie nennen, kennt den Busch wie kein Zweiter. Er ist einer der besten Fährtenleser Südafrikas. 2013 wurde er wegen seiner einzigartigen Fähigkeit, die Spuren der Savanne zu lesen, und wegen seines Engagements für den Artenschutz neben Nelson Mandela und Desmond Tutu zu den «21 Ikonen» des Landes gewählt.

In Samara leitet er die einzigartige Tracker Academy, wo junge Einheimische im Spurenlesen ausgebildet werden. «Es ist wichtig, dass wir das Wissen unserer Ahnen an die nächsten Generationen weitergeben», sagt der Master Tracker, während er sich mit einer Gruppe Schüler seinen Weg durch den Busch bahnt. «Sie lernen hier alle Spuren vom Skorpion bis zum Löwen kennen.» Eine Elefantenfährte mag auch ein Laie von einer Pavianspur auseinanderhalten können. Wie aber unterscheidet sich der Hufabdruck eines Kudus von dem eines Impalas? Pokkie liest den Busch wie ein Buch. «Hier war heute Morgen ein Steinböckchen unterwegs», sagt er mit Blick auf zwei winzige Rillen im Sand.

Ökotourismus für die Frauen wichtig
Seit in Samara die Löwen los sind, müssen Pokkies Tracker auch lernen, wie man sich in Gefahrensituationen bedacht in der Wildnis verhält. Nicht alle in der Karoo sind begeistert über die Rückkehr der Raubkatzen. «Einige Farmer finden die Idee grossartig», sagt Isabelle Tompkins, «andere sind sehr skeptisch und schies­sen auf jeden Leoparden.»

Die Tompkins wollen zeigen, dass eine intakte Natur auch Nutzen für die Menschen bringt. «Es ist hart in dieser trockenen Gegend eine Farm zu unterhalten», sagt Isabelle Tompkins, «mit Ökotourismus kann man mehr und besser bezahlte Arbeitsplätze schaffen – gerade auch für Frauen.» Während auf den verbleibenden Farmen vor allem Männer tätig sind, können sich Frauen im Tourismus vom Servicebereich zum Management hocharbeiten. Mit 55 Angestellten ist Samara inzwischen einer der grössten Arbeitgeber in der Region.

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Reisetipps
Anreise: Mit Swiss nach Johannesburg und mit South African Airways weiter nach Port Elizabeth. Von dort per Mietauto nach Samara. www.samara.co.za www.southafrica.net