Die Klangkörper von Streich- und Zupfinstrumenten erhalten in der Regel viel Beachtung. Oft sind sie historisch oder aufwendig restauriert und entsprechend wertvoll. Die Saiten dagegen erhalten vergleichsweise wenig Aufmerksamkeit. Zu Unrecht, erkannte ein Forschungsteam rund um den Musikwissenschaftler Kai Köpp, Professor an der Hochschule für Künste Bern (HBK).

Denn die Saiten, wie sie heute aufgezogen werden, sind etwas ganz anderes als jene, die früher Standard waren. Und damit veränderte sich auch der Klang der Streich- und Zupfinstrumente.Saiten aus Schafsdarm waren einst das normale Material für Saiteninstrumente, auch für Gitarren und Harfen. Doch vor über 60 Jahren verschwanden sie von den Streich- und Zupfinstrumenten. Heute sind die günstigeren synthetischen Saiten verbreitet, und als Darmsaiten kommen in der Regel Rinderdarmsaiten zum Einsatz.

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Um zu erfahren, wie die Stücke im Original geklungen haben, wurde die historische Schafsdarmsaiten-Herstellung erforscht und untersucht, wie solche Saiten für Musikerinnen und Musiker heute wieder produziert werden können.

Augenschein im Schlachthof
Jane Achtman, wissenschaftliche Mitarbeiterin an der HKB und selber auf Alte Musik spezialisierte Musikerin, nahm für das Projekt eine grosse Auswertung vor. Zunächst studierte sie historische Quellen von 1750 bis 1950. Die Recherchen führten sie sodann in die Stadt Markneukirchen in Sachsen (D). Hier war einst ein Zentrum des Instrumentenbaus, «das auch die halbe Welt mit Darmsaiten versorgte», erzählt Achtman.

Noch 1930 gab es in Markneukirchen rund 2100 Beschäftigte in der Saitenindustrie, sagt sie, «heute ist es noch ein einziger». Krisenjahre und Kriege, die bessere Verfügbarkeit von Rinderdarm und vor allem die Konkurrenz durch die aufkommende Wurstindustrie, die bis heute grosse Mengen Schafsdarm benötigt, führten zum Niedergang. Als Schafsdarmsaiten durch Saiten aus Rinderdarm, Metall und später Kunststoff abgelöst wurden, geriet auch das Wissen um die Herstellung in Vergessenheit.

In den Quellen gab es zwar Beschreibungen der Methode, «aber häufig war es nicht detailliert», erklärt die Forscherin. Manches sei auch einfach mündlich innerhalb der Familien weitergegeben worden. Doch der Herstellungsprozess der Saiten spielt bei der Suche nach der Originalität des Klangs ebenfalls eine wichtige Rolle. Um weitere Informationen einzuholen, wurden in England und Deutschland Betagte interviewt, die noch über entsprechende Kenntnisse verfügten.

Geigenbauer als Saiten-Tüftler
Im In- und im Ausland erfuhren die Projektbeteiligten bei Besuchen in Schlachthöfen, wie die Därme der Schafe verarbeitet werden. Die Gespräche sollten nicht zuletzt Aufschluss darüber geben, ob Darm von Schweizer Schafen für Saiten zugänglich gemacht werden könnte. «Die Leute waren offen und konstruktiv», sagt Achtman, aber auch: «Der Kostendruck in der Schweiz ist auch im Schlachtgewerbe hoch.» So ist die Verfügbarkeit von gereinigtem, für die Saitenherstellung geeignetem Schweizer Schafsdarm derzeit noch nicht gegeben.

Für die Umsetzung der Erkenntnisse war Geigenbauer Stephan Schürch aus Burgdorf BE besorgt. Er studierte die Grundlagen, tüftelte, testete. Für das Projekt erlernte er in Markneukirchen beim weltweit letzten Saitenhersteller, der noch einen Meisterbrief hat, das Handwerk. Dann fand sich eine syrische Familie, die sich seit Generationen mit Därmen befasst und ihn in Details der Darmreinigung einweihte. Schliesslich reinigte er im Keller seines Geigenbauateliers in Burgdorf selber 35 Schweizer Schafsdärme – was im ganzen Haus zu riechen war. 

Seither hat der Geigenbauer unzählige bereits gereinigt angelieferte Schafsdärme verschiedener Herkunft eingelegt, weiter gereinigt, zu Saiten gedreht, gespannt und getrocknet. In Zusammenarbeit mit einem Ingenieur wurde dafür der Prototyp einer Maschine entwickelt. Auch für eine manuelle Variante hat er eine Lösung gefunden. «Was die Herstellung der Schafsdarmsaiten, die Methode, betrifft, sind wir in diesem Projekt sehr weit gekommen», sagt Schürch.

Saite reagiert sensibler
Schafsdarm ist jedoch nicht gleich Schafsdarm. Darm von Steppenschafen aus Spanien schnitt beim Qualitätstest am besten ab. Dies soll aber nicht als generelle Absage an Darm von Schweizer Tieren verstanden werden. Schürch sagt: «Es bezieht sich lediglich auf das Testmaterial, das wir zu dem Zeitpunkt hatten.» Die Qualität des Darms sei abhängig vom Schaf, vom Alter, von der Rasse und vor allem von der Haltung und Ernährung.

Hier müsste man noch weiter Erfahrungen sammeln und ausprobieren. Sicher sei, dass Mastschafe und ältere Tiere aufgrund des zu hohen Fettanteils nicht geeignet seien. Das Schaf dürfe nicht zu schnell wachsen. «Es ginge nun zum Beispiel darum, das ideale Schlachtalter zu finden, und zwar bezogen auf die Herkunft, Rasse und die Jahreszeit der Schlachtung der Tiere», erklärt Schürch.

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Was die Musiker beim Einsatz von Saiten aus Schafsdarm sofort spüren, ist, dass diese viel flexibler sind und eine bessere Reaktionsfähigkeit auf Impulse des Bogens haben. Die Schafsdarmsaite reagiert viel sensibler als jene aus Rinderdarm. Erklärbar wird dies dadurch, dass die Saite physikalisch anders beschaffen ist. Bei Schafsdarmsaiten werden andere Bestandteile verwendet. Bestehen normale Saiten aus Rinderdarm-Aussenhaut, ist es bei Schafsdarmsaiten Bindegewebe. Auch für Tennisschläger wurden früher die elastischen Schafsdarmsaiten verwendet. 

Rund 20 Musiker haben im Verlauf des Projekts immer wieder Schafsdarmsaiten aus Schürchs Keller zum Test erhalten. Sie seien von den Eigenschaften begeistert, berichtet das Forschungsteam. Kommt dazu, dass sich die Saiten als im Vergleich recht langlebig erweisen. Das Produkt habe auf jeden Fall Marktpotenzial, es bestehe ein Bedarf an kunsthandwerklich hergestellten Saiten. Gerade die Schweiz mit ihrer langen Tradition an historisch orientierter Aufführungspraxis der Alten Musik wäre ein guter Standort für die Herstellung solcher Saiten. 

Hörbarer UnterschiedDie Ergebnisse aus dem Projekt «From Field to Fiddle» der Hochschule der Künste Bern wurden im November 2019 an einer internationalen Konferenz vorgestellt und diskutiert. Zum Abschluss zeigte das Orchester Camerata Bern, wie es klingt, wenn auf den neuen Saiten aus Schafsdarm aus der Burgdorfer Produktion gespielt wird. Rückmeldungen bestätigten gemäss Stephan Schürch, dass klanglich ein klarer Unterschied zur Rinderdarmsaite hörbar gewesen sei.

In Zukunft dürfte öfters Musik auf mit Schafsdarmsaiten bespannten Instrumenten gespielt werden. Die Saite kommt dieses Jahr auf den Markt. Der Produktname: «wild».