Trotz der «Warnung vor dem Hunde» am Gartenzaun bleibt das Bellen nach dem Klingeln an der Tür von Stefanie Seeholzer. Freundlich wedelnd begrüsst der blaue American-Staffordshire-Terrier-Rüde Paco den Besuch. Hinter ihm springt Welpe Cayenne etwas ungestümer die fremden Beine hoch, die blauen Mandelaugen erwartungsvoll aufgerissen. 

Die zwei Hunde könnten optisch als Vater und Tochter durchgehen – Cayenne gehört derselben Rasse an wie Paco. Verwandt sind die beiden aber nicht. Während Paco seit zwei Jahren hier wohnt, ist Cayenne erst seit Kurzem und nur auf Zeit bei Seeholzer. Die Hündin wurde im November zusammen mit zwei Geschwistern vom Veterinäramt provisorisch beschlagnahmt, weil der Halter nicht über die im jeweiligen Kanton benötigte Bewilligung verfügte. Nachdem Anfang Jahr die Beschlagnahmung definitiv und rechtskräftig geworden ist, gelangten die Welpen unter der Federführung des Vereins Bullstaff Hilfe in Pflegefamilien wie jene von Seeholzer und ihrem Partner. 

Verein übernimmt die Vermittlung
Für die Halter eines Hundes ist die Geschichte mit der Beschlagnahmung meist zu Ende. Für den beschlagnahmten Hund aber beginnt im Idealfall ein neues, hoffentlich besseres Leben. Um den Hund schnellstmöglich sichern zu können, bringen Veterinärämter ihn zunächst in einem Tierheim unter. Sobald die Rechtslage geklärt und die Beschlagnahmung definitiv ist, wird der Hund weitervermittelt. 

In bestimmten Fällen arbeiten die Veterinärämter auch mit Vereinen zusammen, die sich der Vermittlung spezifischer Hunderassen verschrieben haben. Einer davon ist Bullstaff Hilfe. Die 2013 gegründete gemeinnützige Organisation gilt als Ansprechpartnerin, wenn es um Listenhunde geht – also um Hunde, die einer Rasse angehören, die in Kantonen als gefährlich aufgelistet sind, darunter auch der American Staffordshire Terrier. 

166 Hunde hat der Verein seit seiner Gründung weitervermittelt. Mit schätzungsweise 70 Prozent stammte der grösste Teil aus Beschlagnahmungen in der ganzen Schweiz, wie Vereinspräsidentin Sandy Birrer aus Triengen LU sagt. Die konkreten Hintergründe der Hunde erfährt der Verein nicht. «Datenschutz», sagt Birrer. Jene Hunde, die sie zur Vermittlung aufnehmen, wurden entweder aus Tierschutzgründen oder wegen fehlenden Bewilligungen beschlagnahmt. «Gefährliche oder kranke Hunde vermitteln wir nicht weiter.» 

Ein etwas anderer Welpe
Ältere beschlagnahmte Hunde bringt der Verein meist in Pensionen oder bei erfahrenen Haltern unter, bis sie vermittelt werden. Handelt es sich jedoch um Welpen, arbeitet Bullstaff Hilfe mit sogenannten Pflegefamilien zusammen. So auch bei Cayenne, die als «Temperance Brennan» vom Verein aufgenommen wurde. Pflegefamilien werden vom Verein jeweils auf Herz und Nieren geprüft, bevor ein Welpe auf Zeit einziehen darf. Wenn aber plötzlich Not am Hund ist, muss es schnell gehen. So wurde Bullstaff Hilfe Anfang Jahr gleich für zwei beschlagnahmte Würfe von den Veterinärämtern angefragt; neben dem Dreierwurf, aus dem Cayenne stammt, nahm sich der Verein weiteren fünf beschlagnahmten Welpengeschwistern an. Dazu kamen zwei ebenfalls beschlagnahmte Junghunde.

Als Stefanie Seeholzer den Aufruf des Vereins auf Facebook las, zögerte sie nicht lange und bot sich als Pflegestelle an. «Wir haben Paco damals von einer ähnlichen Organisation übernommen und wissen, wie schwer es Listenhunde haben, einen guten Platz zu finden», sagt die 28-Jährige. Da sie zurzeit im Homeoffice arbeitet, die Hunde aber auch mit ins Büro nehmen kann, verfügt sie über eine der laut Sandy Birrer wichtigsten Ressourcen als Pflegestelle für beschlagnahmte Welpen: Zeit. «Unsere Pflegefamilien führen den Welpen an die Grundregeln des Haushalts heran, bringen ihnen die Umwelt näher und legen so den Grundstein für alles, was noch kommt», erklärt Birrer. Das sei sehr aufwendig und brauche einiges an Geduld.

Was das bedeutet, hat Stefanie Seeholzer nach wenigen Tagen mit Cayenne erlebt. Seriöse Züchter sensibilisieren Welpen schon früh auf verschiedene Reize; sie fahren mit ihnen Auto und Bus, nehmen sie mit an belebte Orte und gewöhnen sie mittels CDs an Geräusche. Bei Cayenne ist das wohl nie passiert, wie Seeholzer schildert.

Die Hündin ist selbst im Alter von bald vier Monaten noch nicht stubenrein und kennt grundlegende Umweltreize nicht. «Heute fuhr ein Auto mit einem lauten Motor bei uns vorbei. Da hat sie sich extrem erschrocken.» Nach zehn Minuten Spaziergang durchs Quartier sei die Kleine meist schon fix und fertig. Trotzdem fällt es dem aufgedrehten Welpen im Haus schwer, zur Ruhe zu kommen. 

Pflegestellenversagen droht

Daran gilt es für Seeholzer und ihren Partner zu arbeiten. Dabei verfügen die beiden über ideale Voraussetzungen: Da am Garten ihres Hauses der Schulweg vorbeigeht, kann Cayenne etwa Kinder beobachten und sich an Velofahrer und Jogger gewöhnen. Paco bringt der Hündin als grosser Pflegebruder das Einmaleins der Hundesprache bei und mit der gelassenen Art von Maine-Coon-Kater Gigi lernt Cayenne den Umgang mit Samtpfoten.   

Auch ihr Partner beteiligt sich an der Pflege der Hündin. «Er hat die Nächte übernommen und schläft jeweils im Wohnzimmer neben der Box, damit Cayenne schnell rauskann, wenn sie nachts rausmuss», sagt Seeholzer, die froh um diese Arbeitsteilung ist. «Alleine wäre das schon happig.» Allerdings birgt die Mitarbeit ihres Partners auch Gefahren: Er habe sich bereits sehr in Cayenne verliebt, sodass sich das Paar überlegt, sie zu behalten.

Zuerst möchte sie aber schauen, wie sich die Hündin entwickelt. «Sogenannte Pflegestellenversager gibt es immer wieder», sagt Birrer. Auch sie selber habe zwei Pflegehunde behalten. Und als würde Cayenne erahnen, wovon gesprochen wird, reisst sie ihre Mandelaugen erwartungsvoll auf. Verständlich, wer diesem Blick nicht widerstehen kann ...