Kaum hat das kleine Motorboot vom Ufer abgelegt, bekommen wir ungewöhnliche Gesellschaft. Eine Kolonie neugieriger Kormorane erkundet im Tiefflug ihren menschlichen Besuch. Die Tiere nehmen lautstark auf nahe gelegenen Bäumen Platz und sorgen für ein imposantes Bild: Von Ästen und Blättern ist kaum noch etwas zu sehen, weil unzählige Vogelkörper sie überdecken. Wir können unsere Blicke von diesem Naturschauspiel nicht lösen, bis der Bootsführer unsere Aufmerksamkeit auf Sumpfschildkröten lenkt. Sie sonnen sich genüsslich auf einem Baumstamm, der gemächlich auf dem Wasser treibt. Daneben stellen (ungiftige) Schlangen ihre Schwimmkünste unter Beweis.

«Wir befinden uns hier in einem der grössten und wichtigsten Sumpfgebiete Europas», sagt unser Kapitän. Stolz klingt in seiner Stimme mit. «Allein 300 verschiedene Vogelarten leben im Naturreservat Kopački rit.» Kaum ist die Information notiert, fliegt ein Seeadler mit seiner gewaltigen Spannweite knapp über unsere Köpfe. Die Begegnung war kein Zufall, wie wir zunächst vermutet hatten. Kopački rit weist die weltweit höchste Dichte der hierzulande längst ausgerotteten Könige der Lüfte auf. Angesichts ihrer majestätischen Präsenz verblassen da sogar die zahlreichen Eisvögel rundherum. 

Zufrieden verlassen wir schliesslich die Drau, einen Nebenfluss der Donau, und setzen unsere Expedition zu Land fort. Dabei gesellt sich der österreichische Biologe Georg Frank hinzu. Er ist Leiter des Projekts Danubepark, ein Netzwerk zum Schutz der Donau-Auengebiete. Zu Forschungszwecken zieht es ihn regelmässig in den nordöstlichen Teil Kroatiens. «Die Landschaft in Kopački rit wurde über Jahrhunderte hinweg von regelmässigen Überschwemmungen geformt und sieht wie ein Binnenflussdelta aus», erklärt der Fachmann. «Das Kräftespiel der Gewässer schafft ideale Bedingungen für viele Arten von Flora und Fauna. Es ist eines der bedeutendsten Fischlaichgebiete der Donau.»

Neuer Vogelpark lädt zum Verweilen ein
Die Augen des Biologen strahlen, wenn er von der Auenlandschaft spricht. Seine Begeisterung ist ansteckend und macht Lust auf weitere Erkundungen im 23 000 Hektar grossen Park. In der Ferne entdecken wir dank Franks Feldstecher ein paar der rund tausend Hirsche, die hier leben und gerade mit ihrem Röhren um Aufmerksamkeit buhlen. Unweit davon grasen slawonische Podolacs, eine einheimische Rinderrasse. Sie sind Teil der nachhaltigen Beweidung auf ehemaligen Auenflächen. Ein paar Meter weiter verrät der Anbau von Paprika, dass die Grenze zu Ungarn nur einen Katzensprung entfernt liegt.

Dank unserer ortskundigen Begleitung erreichen wir problemlos wieder unseren Ausgangspunkt, den Eingang zum Naturpark Kopački rit. Bei der Weitläufigkeit des Geländes kann jedoch schnell einmal die Orientierung auf der Strecke bleiben. Als Besucher sollte man daher unbedingt im Informationszentrum seine Exkursion planen, bevor man sich ins Abenteuer stürzt. Die Mitarbeiter sind wie alle Dienstleister in Slawonien extrem freundlich und hilfsbereit. Sie organisieren gerne Touren mit dem Boot oder Jeep und gehen auch auf individuelle Wünsche ein.

Apropos Boot: Wer noch nicht genug vom gemütlichen Schippern auf ruhigen Gewässern hat, ist im Dorf Nijemci (kroatisches Wort für «Deutsche») richtig. Dort kann man am Fluss Bosut Libellen, Schmetterlinge und Vögel beobachten. Anschliessend lädt ein neu entstandener Vogelpark zum Verweilen ein. Neben Singvögeln lassen sich in diesem Arboretum auch Fischreiher, Kormorane und Seeadler blicken. Das «Bird Watching Centre» wurde mit EU-Geldern gefördert und setzt auf Nachhaltigkeit. So stammt etwa das Holz der Aussichtstürme aus der Region und der Strom aus Solarzellen. Auf einem grossen Spielplatz können sich Kinder austoben. Die Geräte sind dabei einheimischen Vögeln wie Störchen, Eulen und Enten nachempfunden.

Auf den Spuren von Tito
Nach den vielen Naturimpressionen ist eine Oase der Ruhe Gold wert, um wieder zu Kräften zu kommen. Wo könnte das besser gelingen als in einem abgelegenen Waldhotel ohne Nachbarhäuser? Das «Lovačka kuća Kunjev­ci» bei Vinkovci liegt mitten in einem Wildgehege. Der zuständige Förster bietet uns grosszügig an, am nächsten Morgen gemeinsam auf die Pirsch zu gehen, allerdings mit Stift und Fotoapparat statt Gewehr. Klingt reizvoll, hat aber einen Haken: Es soll bereits um fünf Uhr morgens losgehen. Wir willigen trotzdem ein. Eine sehr gute Entscheidung, wie sich wenige Stunden später herausstellt.

Die Stimmung des Morgengrauens ist überwältigend. Die ersten Sonnenstrahlen brechen durch den zarten Nebel und tauchen den Wald in ein märchenhaftes Licht. Als eine Wildschwein-Familie und mehrere Mufflons unseren Weg kreuzen, erstarren wir fast vor Ehrfurcht. Wann kommt man solchen Wildtieren schon einmal so nah? «Jetzt wisst ihr, wofür ihr so früh aufgestanden seid. Etwas später hättet ihr all das nicht mehr erleben können», sagt Bicanic und bietet uns einen Kaffee an. Dabei sind wir längst hellwach. Der junge Rehbock Joseph auch. Er zeigt keinerlei Scheu vor uns. «Joseph ist unser Maskottchen. Er ist so zahm, dass wir ihn enthornen mussten, weil er Gäste gerne mal freundschaftlich geboxt hat», erzählt der Förster, lacht und fügt beiläufig an, dass in «seinem» Wald sogar der einstige jugoslawische Staats­chef Josip Broz Tito der Jagd frönte. Noch heute wandeln Jäger aus der ganzen Welt in Kunjevci auf seinen Spuren.

Wein für die britische Königsfamilie
Wir machen uns lieber auf die Jagd nach weiteren Wow-Effekten. In Đakovo werden wir fündig. Die Kleinstadt beherbergt nicht nur eine der schönsten Kathedralen Kroatiens, sondern auch das berühmte Lipizzaner-Staatsgestüt (siehe «Tierwelt» Nr. 38/2015). 1972 besuchte Queen Elizabeth II. die Stallungen, worauf die Bewohner mächtig stolz sind. Hier werden alle sieben Linien der seltenen Pferderasse gezüchtet, wie die Expertin Dubravka Čota berichtet. Ein Ausritt auf einem der edlen Tiere ist übrigens auf Anfrage möglich. 

Dafür bleibt uns leider keine Zeit. Uns zieht es nämlich noch in die östlichste Stadt des Landes, nach Ilok. Genuss wird hier grossgeschrieben. Wir blicken mit unserem Reiseleiter Ivor Mayer aus erhöhter Lage gedankenversunken auf die Donau. «Jenseits des Flusses seht ihr Serbien», erklärt uns Mayer, der in Deutschland aufgewachsen ist und immer noch ein perfektes Deutsch spricht. 

In diesem Moment ist es unvorstellbar, dass wir uns gerade auf einem blutigen Kriegsschauplatz der 1990er-Jahre befinden. Mayer wischt die trüben Gedanken aber schnell beiseite und zeigt uns stattdessen die endemische Karst-Eidechse vor einem Weinkeller, der ebenfalls mit einer Besonderheit auftrumpfen kann: Prinz William bestellte für seine Hochzeit etliche Liter der verschiedenen Weine, die in gigantischen Holzfässern lagern. Da darf eine Kostprobe des Rebensaftes natürlich nicht fehlen! Er mundet und ist fast so berauschend wie die malerische Naturidylle Slawoniens, aber eben nur fast. 

 

 

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Anreise und Tipps

Anreise: «Swiss» und die kroatische Fluggesellschaft «Croatia Airlines» bieten täglich Flüge von Zürich nach Zagreb an. Von dort sind es mit dem Mietwagen (günstig) rund zwei Autostunden bis nach Slawonien. Die Strassenverhältnisse sind hervorragend und der Verkehr überschaubar. Dafür ist eine Maut zu entrichten.

Tipps: Wer seinen Reisefokus nicht ausschliesslich auf die Flora und Fauna der Region legen, sondern auch urbane Luft schnuppern möchte, kann einen Ausflug nach Osijek unternehmen. Die 100 000-Einwohner-Stadt ist das wirtschaftliche und kulturelle Zentrum Slawoniens. Sie hat neben einer lebendigen Altstadt und einer schönen Uferpromenade am Fluss Drava (Drau) auch eine historische Festung zu bieten. Ebenfalls empfehlenswert ist eine Wanderung durch das Weinanbaugebiet in der Nähe von Ilok und ein Abendessen im Schloss Principovcu bei Ilok. Die Aussicht ist grandios!

➡️ Dieser Artikel ist erstmals in der «Tierwelt»-Nummer 9, 2016 erschienen.