Der Anblick ist nichts für schwache Nerven. Die Nüstern eines Hengstes der spanischen Rasse Pura Raza Española sind fast vollständig abgerissen und hängen buchstäblich am seidenen Faden. Das Pferd hat sich die Verletzung zehn Tage zuvor im Stall zugezogen und wurde dort bereits einmal genäht. Ohne Erfolg.

Eine erneute Operation ist notwendig. Für das zuständige Team ist es ein Routine-Eingriff. Entsprechend gelassen wirkt es. Sorgfältig bereiten Pfleger das stattliche Pferd auf die OP vor. Sie spülen das Maul mit Wasser aus, damit der Beatmungsschlauch später möglichst sauber in die Luftröhre eingeführt werden kann.

Danach ist die Anästhesistin am Zug. «Ich sediere jetzt das Pferd und verabreiche ihm anschliessend ein Anästhesiemittel. Es dauert bis zu einer Minute, bis es wirkt», erklärt Elisabeth Ranninger in ruhigem Tonfall. Ihre Hände arbeiten ebenso ruhig. Keine Spur von Nervosität. Kurz darauf ist es so weit: Der mit einem Kopfschutz abgesicherte Hengst sackt in sich zusammen.

Behutsam hievt ihn der auf OPs spezialisierte Pfleger Armin Zimmerli mit einem Kran auf den Behandlungstisch. Dort stehen bereits die durchführende Oberärztin Andrea Bischofberger und der ihr assistierende Tierarzt Corsin Heim bereit. 

Operieren und unterrichten
Bei den Helfern, die die Wunde gründlich säubern, macht sich Skepsis breit, ob die Nüstern noch zu retten seien, weil bereits Teile des Gewebes abgestorben sind. Bischofberger lässt sich davon nicht beirren. «Seid mal nicht so negativ!» Sie macht sich auf die Suche nach lebendigem Gewebe und frischt dieses mit einem Ultraschall-Wundreinigungsgerät auf. Dies sei eine schonende Methode, totes Gewebe und Bakterien zu entfernen. 

Es folgt eine kurze Diskussion mit Corsin Heim, wo man am besten schneiden solle. Anschliessend beginnt das Annähen. Konzentriert und sicher führt Bischofberger Nadel und Faden durch die lädierten Nüstern, als würde es sich um eine leichte Übung wie das Annähen eines Knopfes handeln.

Ohne den Blick von ihrem Patienten abzuwenden, stellt sie einer anwesenden Studentin Fragen: «Warum sind die Nüstern besonders heikel? Würde die Heilung am Bein besser oder schlechter verlaufen?» Die Getestete antwortet souverän und schaut beim Eingriff genau zu. Schliesslich wird sie eines Tages selbst am OP-Tisch stehen, um kranken und verletzten Tieren zu helfen.

Derweil nimmt die Anästhesistin Elisabeth Ranninger dem Pferd arterielles Blut ab, um es mit einem speziellen Laborgerät zu untersuchen. «Das ist wichtig, um unter anderem die Sauerstoffsättigung zu überprüfen. Die Pferdelunge wird nämlich in einer Liegeposition nicht gut belüftet.» Ihre Analyse ergibt, dass alles in Ordnung ist. 

In der Zwischenzeit wurde die Aufwachbox mit Polstern und Wärmelampen ausgestattet. Ranninger nimmt sie genau unter die Lupe: Die Box ist optimal vorbereitet. Bis der Hengst dort aufwachen wird, dauert es allerdings noch eine Weile. Und bis feststeht, ob die OP erfolgreich verlief, ist noch mehr Geduld gefragt. «Das können wir erst nach rund zwei Wochen beurteilen», sagt Bischofberger.

Ein geschultes Ohr für Herzen
Mittlerweile hat Colin Schwarzwald den OP-Saal betreten. Im Flüsterton bietet der Leiter der Pferdeklinik an, einer Ankaufsuntersuchung in einem anderen Raum beizuwohnen. Es geht um ein vierjähriges American Paint Horse, das verkauft werden soll. Ein Tierarzt hat auffällige Herzgeräusche wahrgenommen und das Pferd deshalb zur Abklärung überwiesen. Aus gutem Grund: Die Pferdeklinik Zürich ist eine von nur zwei Kliniken auf dem europäischen Festland, die auf Herzerkrankungen beim Pferd spezialisiert ist. 

Dieses Gebiet ist die Kernkompetenz von Schwarzwald. Der erfahrene Kardiologe hört das Tier mit seinem Stethoskop ab und simuliert der Besitzerin, wie sich das Herz anhört. «Das ist ein athletischer Typ mit einem gros­sen Herzen. Das Blut wird aus diesem Grund kräftig ins Herz eingesaugt, weshalb es zu den vermeintlich auffälligen Geräuschen kommt», erklärt der Experte. Er sei sich sicher, dass es keinen Grund zur Sorge gibt und das Tier kerngesund ist. Eine Ultraschalluntersuchung und ein EKG bestätigt Schwarzwalds erste Einschätzung. Das Pferd könne ohne Bedenken den Besitzer wechseln, wobei es aber niemals eine hundertprozentige Garantie gebe. 

Auch bei dieser Herzuntersuchung sieht eine junge Tierärztin mit Argusaugen zu, um von Schwarzwald zu lernen. Der Ausbildungscharakter des Tierspitals in Zürich ist nämlich stark ausgeprägt. «Wir sind wohl die deutschsprachige Veterinärfakultät, die am meisten international anerkannte Spezialisten in einer Vielzahl verschiedenster Fachrichtungen ausbildet», erzählt der Vorsteher des Departements für Pferde, der sich in den USA weitergebildet und dort praktiziert hat.

Spezialisten arbeiten Hand in Hand
Das Fundament der Pferdeklinik bilden laut Schwarzwald die 26 international anerkannten Spezialisten der Fachgebiete Chirurgie, Innere Medizin, Sportmedizin, Augenheilkunde, Fortpflanzungsmedizin, Anästhesie und Diagnostische Bildgebung. Sie arbeiten als Team vorbildlich interdisziplinär zusammen.

Das zeigt sich auch an der morgendlichen Stallvisite, an der die Notfälle der Nacht und die stationären Intensivpatienten gemeinsam besprochen werden, um die bestmögliche Lösung für jedes Pferd zu finden. «Bei uns gibt es immer einen sehr regen Austausch. Weiss jemand einmal nicht weiter, springt ein anderer in die Bresche.» Zudem seien alle Mitarbeiter bis ins Ausland bestens vernetzt, was auch sicherstelle, dass die Pferdeklinik immer die neusten Methoden auf höchstem Niveau anwenden könne. 

Zu den Spezialisten gehört der Oberarzt Jan Kümmerle. Er kümmert sich an diesem Tag um die Lahmheitsuntersuchungen. «Viele Patienten kommen mit krankhaften Belastungsstörungen, die man im Schritt nicht sieht», sagt er, ohne den Blick von einem gerade longierten Schimmel abzuwenden. «Die Schwierigkeit liegt oft darin, die schmerzende Stelle im Bein zu lokalisieren.» Eine bewährte Methode in solchen Fällen sei die diagnostische Anästhesie. Dabei werden die Nerven im Bein nach und nach
betäubt. Sobald sich die Lahmheit markant verbessert, ist davon auszugehen, dass der Bereich der Erkrankung lokalisiert ist.

Colin Schwarzwald nimmt die Ausführungen seines Kollegen zufrieden zur Kenntnis. Nach einer kurzen Pause erzählt er mit einem Lächeln, wie schön es sei, wenn sein Team Pferden helfen könne und sich die Besitzer dankbar zeigen. «Manche schicken Dankeskarten oder Präsentkörbe.» Es gebe aber auch schwierige Momente, etwa wenn ein Pferd nicht mehr zu retten sei oder Halter Probleme machen, weil sie mit bestimmten Massnahmen nicht einverstanden seien, sagt Schwarzwald und stellt klar: «Die Besitzer sind zwar unsere Kunden, aber die Pferde stehen immer im Zentrum.»

Der Text erschien erstmals 2019 in der «Tierwelt».