Ein regnerischer Herbstnachmittag in einem Wald im Oberaargau. Die nasskühle Luft verbreitet einen Duft, der Erinnerungen weckt: an die Kindheit beim Pilzlen – und das Risotto von letzter Woche. Es ist, als würden die Pilze die Duftnote absichtlich freisetzen, um Besucher anzulocken, vom reich gedeckten Tisch des Waldes zu kosten. Ganz so einfach ist das mit dem Pilzesammeln jedoch nicht.

Denn was den Geruchssinn im Wald so verführerisch reizt, sind längst nicht nur Champignon, Steinpilz und Eierschwamm. Über 7000 verschiedene Pilzarten sind in der Schweiz bekannt. 300 davon sind essbar, aber nicht alle schmecken im Risotto lecker. Weitere 200 Arten sind giftig, einige von ihnen können nach dem Verzehr gar zum Tod führen. 

Mit diesem Wissen im Hinterkopf haben sich rund ein Dutzend Männer und Frauen für den Anfänger-Grundkurs bei Pilzkontrolleur Johannes Kurth und der Pilz-Sachverständigen Nicola Wyss eingefunden. Die beiden geben als «Pilzspürnasen» ihre Kenntnisse rund um die begehrten «Früchte des Waldes» weiter. 

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Wie wichtig diese Einführung gerade am Anfang sein kann, weiss Nicola Wyss nur zu gut. Als sie 2005 zum ersten Mal auf Pilzsuche ging, war sie von der unendlichen Fülle an Pilzarten schier erschlagen. Mit dem richtigen System, intensivem Selbststudium und
Johannes Kurth als Mentor hat sie sich das Gebiet der essbaren Pilze nach und nach erschlossen. Die halbtägigen Kurse sollen diesen beschwerlichen Weg etwas abkürzen und den Einstieg ins Pilzlen erleichtern. So erhalten die Teilnehmer ein paar Anhaltspunkte zur Bestimmung einiger Speisepilze. 

Zwei Faustregeln erleichtern Einstieg
Dabei geht es zunächst an die grobe Zuteilung eines Pilzes zu einer bestimmten Unterart. Da gibt es etwa die Röhrlinge, zu denen der bestens bekannte Steinpilz gehört. Röhrlinge haben unter dem Hut einen Schwamm aus lauter kleinen Röhrchen, der sich leicht vom Fleisch lösen lässt. Sind die Röhrchen mit dem Hutfleisch fest verbunden, handelt es sich nicht um Röhren, sondern um Poren. Der entsprechende Pilz gehört dann zu den Porlingen, die wiederum vor allem an Baumstämmen wachsen. Während sie verschiedene Röhrlinge in der Runde herumgibt, verrät Wyss die erste Faustregel des Tages: «Röhrlinge mit braunem oder schokobraunem Hut sind höchstwahrscheinlich essbar. Jene mit olivgrünem oder silberweissem Hut meistens nicht.» 

Die zweite Faustregel scheint noch einfacher: Leistlinge sind essbar. Das wohl bekannteste Beispiel für einen Leistling ist der Eierschwamm. Um zu veranschaulichen, was diese Pilzgruppe ausmacht, erklärt Wyss den Unterschied zwischen den Leisten der Leistlinge und den Lamellen der Lamellen- oder Blätterpilze: «Letztere sind wie Blätter, die an der Unterseite des Huts befestigt sind, sich aber mit einer Messerspitze oder dem Fingernagel leicht ablösen lassen.» Die Kursteilnehmer machen die Probe aufs Exempel – und schon bald säumen losgelöste Lamellen den Holztisch im Wald. «Dahingegen sind die ähnlich ausschauenden Leisten der Leistlinge wie Adern fest mit dem Pilz verwachsen und lassen sich nicht ablösen, ohne den Pilz zu beschädigen.» Mit diesem Kriterium kann man den Eierschwamm von seinem Doppelgänger, dem Falschen Pfifferling, unterscheiden, der als Speisepilz nicht zu empfehlen ist. Dessen Lamellen lassen sich nämlich leicht vom Hutfleisch ablösen, womit er als Nicht-Leistling enttarnt werden kann. 

Mit diesen zwei Regeln können die Teilnehmer bereits einige Speisepilze identifizieren. Einen Freipass erhalten sie aber damit nicht, wie Wyss festhält: Der Kurs gebe zwar Hilfestellungen für den Einstieg in die Pilzsuche, entbinde den Einzelnen aber nicht von der Verantwortung für die Gesundheit derer, die das Sammelgut verspeisen. «Bevor ein Pilz in der Pfanne landet, muss er mit 100-prozentiger Sicherheit bestimmt worden sein. Entweder vom Pilzler selber oder von einem Pilzkontrolleur.» Diesen Grundsatz wird Wyss an diesem Tag noch einige Male wiederholen. «Das kann Leben retten», sagt sie. 

107 Pilzvergiftungen im letzten Jahr
Wem es nach einem Pilzgericht unwohl ist, kann sich rund um die Uhr an die Hotline 145 des Schweizerischen Toxikologischen Informationszentrums (Tox Info Suisse) wenden. Dort gingen in diesem Jahr bereits rund 350 Anfragen zu Pilzvergiftungen ein. Zwar bestätigt sich der Verdacht auf eine Vergiftung nicht in jedem Fall, und auch geniessbare Speisepilze können auf den Magen schlagen (siehe Box Seite 14). Trotzdem sollte man das Thema ernst nehmen: So mussten im vergangenen Jahr gemäss Tox Info Suisse 107 Personen wegen einer Pilzvergiftung behandelt werden. «Bei jedem Zweifel – und sei der noch so klein – ist der Gang zur Pilzkontrolle unabdingbar», sagt Wyss erneut. 

Einer der rund 164 eidgenössisch diplomierten Pilzkontrolleure der Vereinigung amtlicher Pilzkontrollorgane VAPKO ist Johannes Kurth aus Herzogenbuchsee BE. Er kennt unzählige Pilzarten aus dem Eff-Eff. Sein Ziel am Kurs: Die Teilnehmer sollen am Ende nicht mehr nur die üblichen Verdächtigen wie Maronenröhrling, Steinpilz und Eierschwamm kennen, was mit den zwei Grundregeln schon einigermassen gelingt, sondern auch weitere Pilzarten. So erklärt er mit Anschauungsmaterial, wie sich der Fichten- vom Sommersteinpilz unterscheidet, woran Maronenröhrlinge und Schwarzblauende Röhrlinge zu erkennen sind, dass sämtliche Röhrlinge mit Schuppen am Stiel geniessbar sind und wieso der Gallenröhrling nicht giftig ist, aber «nur mit ganz viel Rahm» schmeckt. 

Gerade als sich bei den Teilnehmern allmählich ein wenig Sicherheit im Bestimmen einzelner Pilze einstellt, lässt Kurth sie beim nächsten Thema kurz leer schlucken: Jetzt geht es um die sogenannten Wulstlinge oder Knollenblätterpilze, zu denen die giftigsten aller Pilze gehören wie der Grüne Knollenblätterpilz, der Panther- und der Fliegenpilz. «Einer dieser Wulstlinge ist superlecker», sagt Kurth und präsentiert den Perlpilz in der Runde. «Erkennbar ist er an der nur leicht verdickten Knolle am Fuss und dem rostrosafarbenen, rötenden Fleisch, das hervortritt, wenn man einen Teil der Haut am Hut abreisst.» 

Kantone legen Regeln fest
Den Knollenblätterpilzen ähnlich sind so genannte Riesenschirmlinge wie der Parasol oder der Safranschirmling. Auch sie verfügen über eine Knolle am Fuss, Lamellen und eine kragenartige Manschette am Stiel. «Anders als bei den Wulstlingen lässt sich die Manschette beim Riesenschirmling aber verschieben», erklärt Kurth. Ein gutes Erkennungsmerkmal sei die nötige Höhe von mindestens 20 Zentimetern, geniessbar lediglich der Hut. «Richtig zubereitet kann ein gebratener Parasol-Hut geschmacklich mit jedem Kalbsplätzchen mithalten», gerät der Experte ins Schwärmen. 

Mit diesem Wissen im Gepäck geht es schliesslich noch gemeinsam eine Runde durch den Wald, wo gefühlt nach jedem zweiten Schritt ein Pilz aus dem Boden spriesst. Darunter auch ein paar tolle Speisepilze, wie die Teilnehmer mit, aber auch immer öfters ohne Hilfe des Kursleiters herausfinden. Doch so sehr der Magen inzwischen knurrt: Die Pilze pflücken darf nur Kurth, und auch das nur zu Bestimmungszwecken.

Der Grund: Es ist verboten, in Gruppen Pilze zu sammeln. Dabei kommt es nicht so sehr auf die Anzahl der Menschen, sondern mehr auf die Zusammenstellung an, wie der Pilzkontrolleur erklärt. So dürfen Eltern mit zwei Kindern gemeinsam Pilze sammeln gehen, weil sie als zusammengehörige Gemeinschaft nicht als Gruppe gelten. «Gehen mehrere befreundete Paare hingegen zusammen in die Pilze, verstossen sie gegen das Gesetz.» 

Doch auch alleine darf man beim Pilzesammeln nicht unbegrenzt zuschlagen. Der Wald ist gemäss Gesetz grundsätzlich für alle frei zugänglich und in Natur- und Pflanzenschutzgebieten herrscht ein Pilzsammelverbot. In allen anderen Wäldern gilt: Ob, wann und wie viele Pilze gesammelt werden dürfen, hängt vom jeweiligen Kanton ab. Während es in Basel-Stadt, Neuenburg, Solothurn, Wallis und Zug keine besonderen Verordnungen gibt, werden in anderen Kantonen Schonzeiten und Mengenbegrenzungen sowie weitere Vorschriften festgelegt. Da kann es bisweilen knifflig werden, wenn man wie die Kursteilnehmer im Oberaargau unterwegs ist, das zum Kanton Bern gehört, aber an die Kantone Luzern, Aargau und Solothurn grenzt. 

www.pilzsammler.ch

Der Text erschien erstmals 2019 in der «Tierwelt».