Morgens vor fünf Uhr am Zurzacherberg ganz im Nordosten des Kantons Aargau. Ein lautstark krähender Schwarm Raben und das leise Glockengebimmel weidender Kühe durchbrechen die Stille. Es ist noch nicht hell, als Jan Dietsche, Jagdaufseher und Pächter der Reviere Klingnau und Tegerfelden, mit zwei Jagdkollegen vorfährt. Sieben Wiesen gilt es an diesem Juni-Morgen nach Rehkitzen abzusuchen, weil die Bauern sie endlich mähen wollen.

Dietsche kniet sich hin und öffnet einen Koffer, der fast alles enthält, was nötig ist für die «Mission Rehkitzrettung». Er nimmt die Drohne heraus, bestückt sie mit der Wärmebildkamera, dem Sender und dem Akku, der 25 Minuten lang hält, und stellt sie auf die Kühlerhaube seines Autos. Kaum gibt Dietsche mit der Fernsteuerung den Startbefehl, hebt das Gerät ab und schiesst rasant in die Höhe. Zu hören ist bald nur noch ein Surren. Ungeübte Augen haben Mühe, dem Punkt zu folgen, der im dunklen Himmel auf 75 Metern Höhe die Wiese abfliegt. Auf diesem grossen Feld ist die Drohne auf einer im Voraus programmierten Route unterwegs. Dann wisse er, wo sie schon war, erklärt Dietsche. Bei kleineren Wiesen steuert er das Gerät von Hand.

«Da hat es etwas in der zweiten Bahn», sagt Jan Dietsche und zeigt auf den Bildschirm seiner Fernsteuerung. Dort ist ein schwarzer Punkt zu sehen. «Es könnte aber auch ein Stein sein oder etwas anderes Rundes, das wärmer ist.» Dietsche tippt auf einen Schachtdeckel. Er zoomt es auf der Echtbildkamera heran und bekommt Recht. Auch in den nächsten Feldern, die die Drohne mit einem gemächlich aussehenden Tempo von 14 Kilometer pro Stunde überfliegt, entpuppen sich die dunklen Flecken als Steine und einmal als Katze – aber nicht als Rehkitze.

Eindrücke von der Rehkitzrettung (Video: Jörg Bellingen und Petra Stöhr)

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Frühreife Rehkitze
«Wir sind extrem spät dran», sagt Dietsche, «es war lange kalt und sehr feucht.» Im Normalfall wären diese Felder schon vor einem Monat gemäht worden. Ausserdem haben die Jäger das Gefühl, dass viele Geissen ihre Kitze dieses Jahr früher gesetzt haben als üblich: Anfang Mai schon statt Mitte Mai bis Ende Juni. 2020 haben Dietsche und seine Kollegen mithilfe der Drohnen 26 Rehkitze aufgespürt. Dieses Jahr waren es elf bis zum Zeitpunkt, als die Sonne an diesem Morgen aufgeht.

Bei der letzten Wiese kommen vier weitere hinzu. Das erste Tier, das die Drohne entdeckt, ist allerdings ein Hase, der zackig weghoppelt. Nur Sekunden später: «Ein Kitz», sagt Dietsche – «nein zwei.» Dann zeigt das Kamerabild, dass es sogar drei Junge sind, die die Geiss im hohen Gras abgelegt hat. Das sei sehr, sehr selten, sind sich die Jäger einig, vor allem, dass alle überlebt haben und dass die Geiss sie am gleichen Ort abgesetzt hat.

Nun geht es an ihre Rettung. Im Normalfall werden die Kitze mit einer Kiste abgedeckt und die Stelle mit Pfosten markiert, damit der mähende Bauer sie auch von seinem hohen Sitz in der Maschine aus sieht. Die Gründe für die vielen Dramen während der Mähzeit sind die immer wuchtigeren Maschinen und das natürliche Verhalten der Tiere.

Die Geiss legt ihre Jungen in ein Feld, wo sie in gefleckter Tarnkleidung kaum sichtbar sind. Besonders gefährlich ist der angeborene «Drückreflex» in den ersten Lebenswochen, der die Kleinen regungslos im Gras liegen lässt. Anstatt vor anrückenden Maschinen zu fliehen, ducken sie sich. Diese drei aber springen auf und rennen davon. Laut Dietsche sind sie etwa einen Monat alt. Sie verharren zwar noch im Gras und fiepen bei Hunger und Angst, bis die Mutter kommt. «Doch sie sind schon mobil genug, um selbstständig auf den Beinen zu gehen.»

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Das letzte Rehkitz, das die Drohne an diesem Morgen einfängt, ist zwei bis drei Wochen alt. Es hat noch die weissen Flecken auf dem Fell und rennt auch nicht weg, sondern schaut die Menschen mit seinen gros­sen Augen an. Da es sich ausserhalb der zu mähenden Wiese befindet, lässt Dietsche es liegen.

Endlich ein bezahlbares System
«Wenn man ein Kitz findet, ist das die Bestätigung für die Arbeit», betont der Jagdaufseher und gelernte Forstwart. Rehkitze mithilfe von Drohnen zu retten, sei schon immer sein Ziel gewesen. Was auf dem Markt war, war entweder gut, aber mit über 10'000 Franken viel zu teuer, oder zahlbar und schlecht. Deshalb begann er, an einer neuen Lösung zu tüfteln und nach zwei Jahren war das Clip-on-System spruchreif: Wärmebildkamera, Sender inklusive Halterung und Akku werden an der Drohne befestigt.

Das Set, das vier Akkus enthält, passt auf alle gängigen Drohnen und kostet knapp 2800 Franken. Es ist nicht nur deutlich billiger als fixfertige Drohnen-Kamera-Lösungen, sondern auch leichter: Dietsches Drohne ist etwa ein Kilogramm schwer, hinzu kommen 105 Gramm Gewicht für die Clip-on-Teile. Ein weiterer Vorteil: «Wenn eine Drohne herunterfällt und kaputtgeht, können wir die Kamera unabhängig von ihr ersetzen.»

Dietsche kam mit seinem neuen System pünktlich auf die letztjährige Mähsaison auf den Markt. Mittlerweile sind über 100 Stück  im Einsatz – in der ganzen Schweiz und im Ausland, und dies bei Jägern, Jagdaufsehern sowie Bauern, die ihre Wiesen vor dem Mähen selber absuchen wollen. 

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